| # taz.de -- Bundesregierung will Rechtssicherheit: „Beschneidungen müssen st… | |
| > Die Bundesregierung will religiös begründete Beschneidung jetzt doch | |
| > rechtlich absichern. Die Justizministerium lässt Möglichkeiten prüfen. | |
| > Opposition will mitziehen | |
| Bild: So ein kleiner Schnitt und so viel Wirbel. | |
| BERLIN taz | Die Bundesregierung will klarstellen, dass | |
| Vorhautbeschneidungen in Deutschland nicht strafbar sind. Das sagte | |
| Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Religiöse Bräuche | |
| dürften nicht eingeschränkt werden. | |
| „Es bereitet uns Sorge, dass sich die Ausübung dieser alten, uralten | |
| religiösen Bräuche derzeit nicht in einer Situation des Rechtsfriedens | |
| befindet“, sagte Seibert vor Journalisten. „Uns ist bewusst, dass gerade | |
| für die jüdische Religion die frühe Beschneidung von großer Bedeutung ist | |
| und dass es auch zeitlich dringend geboten ist, diesen Rechtsfrieden | |
| wiederherzustellen.“ | |
| Wie dies geschehen könne, werde derzeit mit den zuständigen Ressorts | |
| besprochen. „Wir wissen, da kann nichts auf die lange Bank geschoben | |
| werden“, sagte Seibert. Die Freiheit der religiösen Betätigung sei für die | |
| Bundesregierung „ein hohes Rechtsgut“. | |
| Eine Sprecherin des Justizministeriums erklärte, Ministerin Sabine | |
| Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) prüfe derzeit gesetzliche Maßnahmen, um | |
| rituelle Beschneidungen von Jungen straffrei zu stellen. Zu Wochenbeginn | |
| hatte sie noch dafür plädiert, die Strafbarkeit vom Bundesgerichtshof oder | |
| dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich klären zu lassen. | |
| Auslöser der Debatte ist ein Urteil des Kölner Landgerichts, das | |
| Beschneidung als Körperverletzung bewertet, in die Eltern nicht wirksam | |
| einwilligen können. Orthodoxe Rabbiner und muslimische Verbände kritisieren | |
| das – für andere Gerichte nicht verbindliche – Urteil. | |
| Nun scheint also eine zeitnahe Klärung möglich. „Religionsbedingte | |
| Beschneidungen bei Jungen dürfen in Deutschland nicht strafbar sein“, | |
| erklärte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter | |
| Steinmeier sagte, die SPD sei bereit, fraktionsübergreifend eine Regelung | |
| zu suchen, „um zum einen die Ausübung jahrhundertealter religiöser Riten | |
| weiterhin zu ermöglichen und zum anderen die Ärzte vor dem Risiko der | |
| Strafverfolgung zu schützen“. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, | |
| der zurückliegende „Sturm der Entrüstung“ habe die Bundesregierung „end… | |
| zur Einsicht gebracht“. Jetzt müssten sich die Fraktionen zusammensetzen | |
| und „eine Lösung finden, die Rechtssicherheit schafft“. | |
| Aber wie soll das gehen? Eine Möglichkeit wäre, die Straflosigkeit der | |
| Vorhautbeschneidung im Strafgesetzbuch zu regeln, eine andere wäre ein | |
| entsprechendes Fachgesetz. In einem solchen „Beschneidungsgesetz“ würden | |
| Vorschriften und Mindeststandards festgelegt, der Gesetzgeber könnte darin | |
| zugleich auch die Strafen für Verstöße festschreiben. | |
| Beschneidungen im Strafgesetzbuch zu regeln, empfiehlt sich dann, wenn der | |
| Gesetzgeber das Verbot betonen möchte. Also wenn klargestellt werden soll, | |
| dass die Beschneidung von Mädchen eine Straftat darstellt – dass aber die | |
| Vorhautbeschneidung von Jungen durch einen Arzt diesen Tatbestand nicht | |
| erfüllt. | |
| Eine dritte Möglichkeit ist, die Beschneidung im Patientenrechtegesetz zu | |
| verankern, die demnächst im Bundestag abgestimmt wird. | |
| FDP-Integrationspolitiker Serkan Tören sagte der taz: „Das könnte man | |
| relativ schnell über einen Änderungsantrag lösen, Beschneidung aus | |
| religiösen Gründen wäre dann mit Einwilligung der Eltern zulässig.“ Die | |
| Regelung über das Strafgesetzbuch sähe Tören „nicht so gerne“. | |
| Volker Beck ist noch unschlüssig. Der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen | |
| will sich eingehend mit Rechtsexperten und Religionsvertretern beraten. „Da | |
| sollte man jetzt bei Vorschlägen nicht aus der Hüfte schießen“, sagte Beck | |
| der taz. | |
| 13 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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