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# taz.de -- Europa-Urteil zu Saatgut: Unfreie Saat
> Der Handel mit den Samen alter Pflanzensorten bleibt mit dem EU-Urteil
> weiter eingeschränkt. Die französischen Kläger hatten auf eine Aufhebung
> des Verbots gehofft.
Bild: Neues oder altes Saatgut: Die Vogelscheuche bewacht alles.
BRÜSSEL taz | Es ist ein Teilsieg, der vor dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) erreicht wurde. Der entschied am Donnerstagmorgen zwar nicht, dass
das Saatguts alter Pflanzensorten völlig frei vermarktet werden darf – wie
viele gehofft hatten. Aber immerhin bestätigte das Gericht, dass alte
Sorten auch dann angebaut werden dürfen, wenn sie nicht alle Anforderungen
für eine amtliche Zulassung erfüllen.
Allerdings nur in beschränkten Mengen und geografisch beschränkt. Letzteres
ist zwar seit 2010 geltendes EU-Recht, aber noch nicht vollständig im
deutschen Recht umgesetzt.
Bei den deutschen Ökobauern war der Jubel nach der Urteilsverkündung des
EuGH in Luxemburg daher groß: Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, sprach
von einem „Sieg der Artenvielfalt“.
Zur gleichen Zeit bedauerte die französische Rechtsanwältin der
Saatgut-Kooperative Kokopelli, Blanche Magarinos-Rey, das Urteil der
Luxemburger Richter: „Wir haben eine unglaubliche Niederlage erlitten. Die
Massenproduktion hat wieder einmal über den Erhalt der Artenvielfalt
gesiegt.“ Gegensätzlicher könnten die Einschätzungen kaum sein.
## Verbot gilt weiter
Die Franzosen sprechen von einer Niederlage, weil der Handel mit amtlich
nicht zugelassenen Pflanzensorten weiter verboten bleibt. Die Richter
bestätigten in ihrem Urteil, dass dieses grundsätzliche Handelsverbot mit
EU-Recht vereinbar ist. Die französische Saatgut-Kooperative hatte geklagt
und gehofft, dass die Richter das Verbot ganz aufheben.
Die Kooperative Kokopelli vertreibt seit den 90er Jahren Saatgut aus alten,
nichtkommerziellen Sorten – zum Beispiel Tomaten, Spargel und Karotten.
„Wir tun, was unsere Großväter bereits getan haben, aber man verlangt von
uns, dass wir unsere Produkte prüfen lassen nach Kriterien wie Medikamente.
Das ist doch nicht normal“, beklagt Jocelyn Moulin von Kokopelli.
Seine Kooperative war von einem französischen Gericht zu
Schadenersatzzahlungen in Höhe von mehreren zehntausend Euro verklagt
worden, weil sie nicht amtlich zugelassenes Saatgut vertrieben hatte. Um
die Zahlung zu verhindern, war Kokopelli nun vor den Europäischen
Gerichtshof gezogen und ist – zumindest nach Ansicht der Anwältin –
gescheitert.
„Die Anforderungen der Behörden zur Zulassung des Saatguts sind praktisch
die gleichen wie für kommerzielle Pflanzen. Kokopelli kann das nicht
leisten. Der Vertrieb des Saatguts ist so nicht möglich“, sagt
Magarinos-Rey.
## Sehr nützliches Urteil
Der ehemalige grüne EU-Abgeordnete Graefe zu Baringdorf betont allerdings,
was die Richter erneut bestätigt haben: Durch eine Ausnahmeregelung ist es
Bauern durchaus erlaubt, Saatgut aus alten Pflanzensorten herzustellen und
– mit einigen Einschränkungen – zu vermarkten.
„Die Richter haben das generelle Handelsverbot nur für gültig erklärt, weil
es diese Ausnahmeregelung gibt. Und genau auf diese Regel können sich
Kokopelli und all die anderen Produzenten nun beziehen.“ Um die
Ausnahmeregel neben Gemüse auch für andere Pflanzensorten einzuführen, sei
das Urteil sehr nützlich, sagt Graefe zu Baringdorf.
Der Meinung ist auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Sie
sagte, der EuGH habe damit gegen die internationalen Saatgutkonzerne
entschieden, „die wie Biopiraten weltweit Patente für die
Hauptnahrungsmittel kapern“. Zurzeit dominieren laut Bauernverband die
großen Hersteller zwei Drittel des Marktes.
Die bekanntesten sind der weltgrößte Agrar- und Biotechnikkonzern Monsanto,
der Schweizer Agrarkonzern Syngenta und die US-Firma Dupont. In Deutschland
gehören dazu Bayer und BASF. Entscheidend ist nun aber, welche Sorten
tatsächlich unter die Ausnahmeregelung fallen. In Deutschland sieht Graefe
zu Baringdorf ein weites Spielfeld. Die Registrierung einer solchen Sorte
beim Bundessortenamt kostet dann nur noch rund 30 Euro.
## Forderung nach voller Kommerzialisierung
Die französische Anwältin dagegen sagt, in Frankreich seien gerade einmal
ein Dutzend Arten als „erhaltungswürdig“ eingestuft worden. Deshalb bringe
die Ausnahme für die französischen Produzenten wie die
Kokopelli-Kooperative kaum etwas.
Anfang des Jahres hatte die EuGh-Generalanwältin Juliane Kokott in ihrem
Schlussantrag noch gefordert, die Ausnahmeregelungen entscheidend zu
erweitern und praktisch eine volle Kommerzialisierung von alten Sorten
zuzulassen. Dem ist das Gericht nun aber nicht gefolgt.
12 Jul 2012
## AUTOREN
Ruth Reichstein
Ruth Reichstein
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Europäisches Patentamt
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