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# taz.de -- Fremdenfeindlichkeit in Griechenland: „Gestorben wird hier schnel…
> Die Gewalt gegen Migranten in Griechenland nimmt stetig zu. Die Polizei
> rät, selbst zurückzuschlagen. Ein Bericht von „Human Rights Watch“.
Bild: Ali Kaser sagt, er sei von Mitgliedern der „Goldenen Morgenröte“ ang…
„Mir wurde klar, wie schnell man hier sterben kann. Wir kommen von so weit
her und können hier einfach getötet werden“, erzählte Ali Rahimi, ein
afghanischer Asylbewerber, der im September 2011 mit fünf Messerstichen
niedergestreckt wurde.
Rahimi ist nur eines von vielen Gewaltopfern in Griechenland. Im Zuge der
Wirtschaftskrise und zunehmender sozialer Spannungen werden Asylbewerber
immer häufiger zum Ziel von blinder Fremdenfeindlichkeit. Bei den
Recherchen zu unserem [1][Bericht über xenophobe Gewalt in Griechenland]
sprachen wir mit Dutzenden Migranten, die in den vergangenen Monaten
geschlagen, getreten, aus Bussen gezerrt oder durch die Straßen gehetzt
wurden, darunter auch zwei schwangere Frauen.
Seit Anfang Mai allein meldeten die Medien sieben solcher brutalen
Übergriffe. Doch viele Opfer – wie unser somalischer Übersetzer Saleh
Ibrahim, dem bei einem Angriff Ende Juni die Hand gebrochen wurde –
erstatten niemals Anzeige.
## Jagd auch auf Schwangere
Rahimis Schicksal ist keinesfalls eine Ausnahme. Der Bezirk Agios
Panteleimonas im Athener Stadtzentrum, wo Rahimi gemeinsam mit einer Gruppe
Afghanen von einem mit Flaschen bewaffneten Mob angegriffen wurde, wird von
Migranten und Asylsuchenden gemieden, seit sich dort vor einigen Jahren
eine „Bürgergruppe“ gegründet hat, um die Anwohner zu schützen. Human
Rights Watch hat zahlreiche gewaltsame Übergriffe in dem Viertel
dokumentiert.
Das einzig Ungewöhnliche an Rahimis Geschichte ist, dass seine mutmaßlichen
Angreifer verhaftet wurden. Den meisten Opfern werden beträchtliche
Hindernisse in den Weg gelegt, wenn sie die Justiz einschalten wollen. So
rät die Polizei oft ausdrücklich von einer Anzeige ab, mit der Begründung,
diese sei aussichtslos. Stattdessen empfehlen die Ordnungshüter den
Gewaltopfern, einfach zurückzuschlagen, oder sie warnen Migranten ohne
gültige Aufenthaltspapiere, eine Anzeige könne sie selbst ins Gefängnis
bringen.
Wer dennoch auf eine Anzeige besteht, muss eine Gebühr von 100 Euro
bezahlen. Verhaftungen wie jene im Juni sind die klare Ausnahme – in der
Regel bleibt die Polizei tatenlos.
Obwohl der Prozess wegen der Messerattacke auf Ali Rahimi im beschleunigten
Verfahren geführt wird, wurde er bereits sechsmal vertagt und ist nun für
September 2012 vorgesehen. Ob die Staatsanwaltschaft ein rassistisches
Motiv für die Tat zugrunde legen wird, ist offen. Das vor vier Jahren in
Griechenland eingeführte Gesetz gegen Hasskriminalität ist bislang noch
nicht angewendet worden.
## Enormer Migrationsdruck
Für all das kann es keine Entschuldigung geben. Es bleiben allenfalls
Erklärungsversuche. Griechenland steht zweifellos unter einem enormen
Migrationsdruck. Schätzungen zufolge gelangen täglich etwa 300 Migranten
aus der Türkei ins Land. Obwohl die meisten von ihnen in andere europäische
Staaten weiterreisen möchten, verpflichtet das EU-Recht Griechenland, die
Durchreise irregulärer Migranten zu verhindern und alle Asylanträge vor Ort
zu prüfen.
Da das schlecht funktionierende griechische Asylsystem der Antragsflut
jedoch nicht gerecht werden kann, erleben viele Migranten Griechenland
mittlerweile als „ein einziges großes Gefängnis“, wie ein sudanesischer
Flüchtling treffend beschrieb.
Es kann nicht sein, dass diese Wiege der westlichen Zivilisation in eine
Epoche institutionalisierter Gewalt gegen Migranten zurückfällt. Die EU
sollte alles daran setzen, die grundlegenden Menschenrechte jener zu
schützen, die in der Hoffnung auf eine besseres und vor allem sichereres
Leben nach Europa kommen.
Der Zustrom mittelloser Migranten, die größtenteils auf der Straße leben,
verändert Griechenlands Städte, allen voran Athen, in beunruhigender Weise.
Im Vorfeld der jüngsten Parlamentswahlen standen die Zunahme der
Kriminalität und der Verfall von Städten hoch auf der Agenda.
Nationalistische und rechtsextreme Parteien wie die „Goldene Morgenröte“
konnten in den letzten Jahren an Einfluss und Popularität gewinnen, indem
sie auf die migrationsfeindliche Stimmung setzen. Bei den Wahlen im Mai und
Juni 2012 gelang der Partei erstmals der Einzug ins Parlament, wo sie nun
über 18 Sitze verfügt.
## Die Goldene Morgenröte
Es gibt Anzeichen dafür, dass Mitglieder und Sympathisanten der „Goldenen
Morgenröte“ in Angriffe auf Migranten und Asylsuchende verwickelt waren,
auch wenn die Partei die Übergriffe nicht selbst geplant oder durchgeführt
hat. Eine wegen des Angriffs auf Ali Rahimi angeklagte Frau hatte zuvor für
die „Goldene Morgenröte“ bei den Parlamentswahlen kandidiert. Anfang Juni
wurden drei Parteimitglieder zu gewaltsamen Übergriffen gegen Migranten
vernommen; es kam jedoch nicht zur Anklage. Mitglieder der Goldenen
Morgenröte sollen auch an anderen Übergriffen beteiligt gewesen sein.
Die wirtschaftlichen Belastungen und das unfaire EU-Asylrecht nehmen
Griechenland nicht aus der Verantwortung. Die neue Regierung von Antonis
Samaras muss gegen fremdenfeindliche Gewalt vorgehen. Sie muss dafür
sorgen, dass die Polizei verstärkt präventiv handelt und Berichte über
ausländerfeindliche Gewalt sorgfältig prüft und verfolgt. Ferner muss sie
den Opfer einen uneingeschränkten Zugang zu Rechtsmitteln verschaffen.
Daran sollte die EU das Land immer wieder aufs Neue erinnern.
Griechenland braucht aber auch die Hilfe der Europäischen Union. Sie soll
technische und finanzielle Hilfe für die griechische Polizei und Justiz zur
Verfügung stellen. Und das Dubliner Übereinkommen reformieren, wonach das
Land für das Asylverfahren verantwortlich ist, in dem der Flüchtling das
erste Mal EU-Boden betritt. Die damit für Griechenland verbundene Belastung
ist absolut unfair.
13 Jul 2012
## LINKS
[1] http://www.hrw.org/de/news/2012/07/10/griechenland-migranten-leben-angst
## AUTOREN
J. Egeland
J. Sunderland
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