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# taz.de -- Mail aus Griechenland: Die Lücke im Sozialen
> Faschistische Kräfte übernehmen Aufgaben, die der Staat nicht mehr
> erledigt. Vor allem Polizisten gehören zu den Wählern der „Goldenen
> Morgenröte“.
Bild: Faschisten der Goldenen Morgenröte.
ATHEN taz | Noch Tage nach den Wahlen kreisen unsere Gespräche in Athen um
die Neonazis der „Goldenen Morgenröte“. Ihre Wahlerfolge scheinen die
Gesellschaft unvorbereitet zu treffen, in einem Land, das seit dem Zweiten
Weltkrieg mit keinen erwähnenswerten faschistischen Kräften konfrontiert
wurde.
Besonders alarmierend ist, dass die Gewaltangriffe gegen Migrantinnen kurz
vor den Wahlen in keinster Weise als Abschreckung für die Wählerinnen
fungierten. Jetzt ist klar, dass sich die Faschisten bei gut 7 Prozent
stabilisiert haben. Wie kommt es dazu? Was heißt das für die migrantischen
Communitys? Was möchte man dem entgegenstellen?
Diese Fragen stellten wir dem Aktivisten afghanischer Herkunft, Nasim
Lomani, vom „Netzwerk für politische und soziale Rechte-Dyktio“, das eins
der wichtigsten Zentren für Sprachkurse und Rechtsberatung für MigrantInnen
in Athen ist.
Nasim Lomani lebt seit über 10 Jahren in Griechenland, er spricht von
historischer Zäsur. Durch die Verbindung von parlamentarischer Strategie
und offener Gewalt auf der Straße im letzten Wahlkampf gelingt es der
„Goldenen Morgenröte“ zunehmend, faschistische Kriminalität
gesellschaftlich zu legitimieren. Lomani betont, dass die Gewalt nicht nur
Migrantinnen, sondern auch Obdachlose, Sexarbeiterinnen, Homosexuelle und
Linke betrifft.
Die gegen diese Gruppen erzeugte Öffentlichkeit werde, so Nasim, auch von
den Konservativen benutzt, um das Klima für das rechte Lager zu nutzen.
Dafür spricht die in Deutschland wenig skandalisierte Aussage des
Wahlkampfmanagers Nordgriechenlands der Nea Demokratia Psomiadis, der die
„Goldene Morgenröte“ in seiner Auflistung rechter Schwesterparteien
prominent miterwähnte, oder die Tatsache, dass die „Migrantenproblematik“
zentrale Säule des konservativen Wahlkampfs war.
Weitaus weniger indirekte Unterstützung bekommen die Nazis aus dem Inneren
der griechischen Polizei: In den Wahllokalen, in denen die Polizei wählte,
erlangten die Nazis horrende Ergebnisse von 17 bis 25 Prozent. Durch solche
Haltungen von Teilen des Establishments steigt die Gefahr, dass die noch
jungen, faschistischen Kräfte sich langfristig als salonfähig etablieren.
## Elend und Besen
Aus unserer Erfahrung mit Anti-Nazi-Aktivitäten in Deutschland heraus
fragen wir nach Strategien gegen die schwarze Pest. Nasim berichtet von
antifaschistischen Demos in Stadtteilen wie Perama oder Kallithea, wo sich
migrantische Communitys mit griechischen Aktivisten organisieren – sie
würden allerdings nicht ausreichen. Denn die Nazis verwurzeln sich durch
Nachbarschaftsarbeit.
Erfolgreicher Präzedenzfall ist ihr seit über zwei Jahren währender Aufbau
im Stadtteil Agios Panteleimonas. Sie helfen den neuen Armen mit
medizinischer Grundversorgung, verteilen Nahrungsmittel, helfen Omas über
die Straßen oder fahren Notfälle ins Krankenhaus. „Die Krise hat das
soziale Netz durchlöchert, und sie füllen die Lücken“, so Nasim, „da kö…
unsere Netzwerke noch so viel Antifa-Arbeit machen. Sie wirkt wenig, wenn
die öffentliche Hand nicht dafür aufkommen kann, soziale Sicherheit zu
gewährleisten – die Menschen verelenden, begehen Selbstmord, haben Angst.“
Ein wichtiger Weg wäre, die Lehrer bei der Präventionsarbeit in Schulen zu
unterstützen. Sie sind schutzlos gegen den Aufbau faschistischen
Nachwuchses, vielen wird offen gedroht. All das sei auch die Verantwortung
Europas. Die Brüsseler Spardiktate bringen die Gesellschaft an ihre
Grenzen, ohne Rücksicht auf die Folgen. Mit Verweis auf Dänemark oder
Frankreich argumentiert Lomani, dass die faschistische Gefahr im Begriff
ist, sich in ganz Europa aufzustellen.
Dominant ist seine Argumentation über die Verantwortung der europäischen
Politik auch in Bezug auf die Probleme von Migranten. „Griechenland ist das
offene Internierungslager Europas“, sagt er und bezieht sich auf den
Dublin-II-Vertrag, der Migranten auf dem Weg nach Zentraleuropa in
Griechenland festhält. Die Europäer und vor allem Deutschland würden gerade
über das griechische Budgetrecht verfügen und stellen dem Staat Ressourcen
zur Bildung von Abschiebelagern und Verfolgung von Illegalen zur Verfügung.
Abends laufen wir im Zentrum Athens durch die Evripidou-Straße. Zwei
Polizeiwannen versperren die Straße. An einer Häuserwand sitzen Migranten
auf dem Boden. Ein Polizist in Zivil steht vor ihnen und ruft: „Wer ist der
Nächste?“ Eine Straßenecke weiter kontrolliert ein anderer mit
ausgefahrenem Teleskop-Schlagstock die Ausweise von drei jungen Migranten.
Wie wir später erfahren, läuft an diesem Abend des Fußballspiels
Griechenland–Deutschland eine weitere Operation „Besen“.
24 Jun 2012
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