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# taz.de -- Debatte Verfassungsschutz: Im Geheimdiensttheater
> Immer mehr wird von einer Reform der Nachrichtendienste geredet. Eine
> zeitnahe strukturelle Veränderung ist jedoch immer weniger zu erwarten.
Wenn Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am heutigen Mittwoch in
Berlin seinen bisherigen Ministerialdirigenten Hans-Georg Maaßen als
zukünftigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorstellt,
dann werden die beiden bei diesem Treffen wohl viel von notwendiger
Transparenz, von besserer Zusammenarbeit, von dringenden organisatorischen
Reformen und von endlich effektiver Kontrolle der Geheimdienste reden.
Mit anderen Worten: über die Schlussfolgerungen und Konsequenzen, die aus
dem beispiellosen Versagen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der
Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zu ziehen sind.
Auf Hans-Georg Maaßen, der bislang die Abteilung Terrorismusbekämpfung im
Innenministrium leitet, lastet ein enormer Druck, das Kölner Bundesamt aus
seiner gegenwärtigen tiefgreifenden Krise zu führen. Aber auch er wird wohl
keine Reformen durchführen, die diesen Namen verdienen. Schon jetzt
zeichnet sich ab, dass die Verfechter struktureller Reformen auf großen und
hinhaltenden Widerstand stoßen werden.
## Deutsche Ämterinflation
Seit Jahren sich Experten und Beobachter etwa darin einig, wie wenig Sinn
es ergibt, wenn sich in der Bundesrepublik ein Bundesamt, 16 Landesämter
und ein Militärischer Abschirmdienst mehr oder weniger parallel mit den
Aufgaben des Verfassungsschutzes befassen. Doppelte Strukturen mit
einhergehenden Reibungsverlusten unter den mehr als 5.000 Beschäftigten
sind ebenso eine Folge wie Ressorteitelkeiten und Eifersüchteleien unter
Mitarbeitern und Ämtern.
Es ist auch schlicht absurd, wenn selbst die kleinsten der Landesbehörden
glauben, wie etwa das Saarland oder Bremen, das ganze Spektrum der
Verfassungsschutzaufgaben übernehmen zu müssen – vom politischen
Extremismus über islamistische Gefährdungen bis hin zu Terror- und
Spionageabwehr.
Entsprechende Vorstöße zur möglichen Zusammenlegung einzelner Landesämter
oder zu einer Neuverteilung des Aufgaben unter den Behörden scheitern aber
regelmäßig vor allem an den Landesregierungen, die fürchten, weniger
Einfluss auf Bundesebene nehmen zu können.
Entsprechend wurden die Thüringische Ministerpräsidentin Christine
Lieberknecht (CDU) und in Berlin die Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sofort auf ihre Plätze verwiesen. Sie
hatten gefordert, mehrere Ämter zusammenzulegen.
Auch Bundesinnenminister Friedrich ordnete am Dienstag im
Frühstücksfernsehen per Dekret an, „wir brauchen einen leistungsfähigen und
auch in der Stärke wie vorhanden aufgestellten Verfassungsschutz und keinen
Schrumpfverfassungsschutz“. Der Verfassungsschutz dürfe nicht geschwächt
werden, „sondern er muss effektiver werden“. Der Herr Minister meint wohl:
Masse statt Klasse.
## Liebevoll gehegte Feindbilder
Der Satz gilt auch, untersucht man die einzelnen Aufgabenfelder der
Verfassungsschützer. So ist beispielsweise schwer vermittelbar, mit welchem
Ressourcenaufwand sich die Hüter der Verfassung geradezu liebevoll
Splittergruppen wie der Deutschen Volksunion (DVU), der
Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) oder der Türkischen
Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) widmen, die
augenscheinlich die Verfassungsordnung als solche zu keiner Zeit infrage
stellen.
Keine Bedrohung, das gilt auch für die Partei Die Linke. Dennoch werden 27
ihrer Bundestagsabgeordneten, darunter Fraktionschef Gregor Gysi, nach
Auskunft der Verfassungsschützer beobachtet – ohne dass die Geheimen
schlüssig erklären können, welche Gefahr für die freiheitlich-demokratische
Grundordnung von ihnen ausgehen soll. Reform hieße, dass sich der
Verfassungsschutz auf die Beobachtung tatsächlich militanter Bestrebungen
zum Sturz der freiheilichen Gesellschaft zurückzöge und den politischen
Wettstreit der Zivilgesellschaft überlässt.
Geht es hingegen um wirklich ernsthafte Gefährdungen, dann sind die rund
5.000 Geheimdienstler der Bundes- und der Landesbehörden über Jahre hinweg
immer überrascht worden. Das Zwickauer Terrortrior ist dafür nur ein
Beispiel, wenn auch ein besonders grausames.
Zu Dutzenden, so weit ist bisher aus der Aufarbeitung der Mordserie
bekannt, warben die verschiedenen Verfassungsschutzämter im Umfeld der
abgetauchten Neonazizelle sogenannte Vertrauensleute an, die ihnen –
teilweise für viel Geld – über die Enwicklung in der Szene Bericht
erstatten sollten. Wie sich heute zeigt, hat das nur wenig gebracht –
allenfalls die unbequeme Erkenntnis, dass staatliche Stellen über bezahlte
V-Leute den rechten Sumpf auch noch alimentierten.
## Das V-Mann-Dilemma
Wie ambivalent der Einsatz von V-Leuten ist, hat schon das gescheiterte
Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht 2003
gezeigt. Weil die Richter sich nicht mehr in der Lage sahen, zwischen einer
„authentischen“ und einer vom Verfassungsschutzinformanten unterwanderten
NPD zu unterscheiden, lehnten sie den Verbotsantrag der Bundesregierung ab.
Auf den Einsatz von V-Leuten will dennoch auch heute keiner der Zuständigen
verzichten, allenfalls sollen sie straffer geführt und im Fall, dass sie
Straftaten begehen, „abgeschaltet“ werden. Dann aber dürfte es selbst für
die Befürworter von V-Mann-Einsätzen schwierig werden, Informanten
anzuwerben. Straftaten sind im rechtsextremen Milieu schließlich an der
Tagesordnung.
Die viel geforderte Reform des Verfassungsschutzes und der Polizeibehörden
beschränkt sich gegenwärtig im Wesentlichen auf das Austauschen des
Führungspersonals. Das zeigt der Wechsel an der Amtspitze im Kölner
Bundesamt und in der Thüringer Landesbehörde wie im Bundeskriminalamt,
dessen Chef zum Jahresende in den Ruhestand geschickt wird.
Die bisherigen Überlegungen und das ganze Gerede von Reformen sind einfach
nur von der Idee getragen, wonach sich vieles verändern muss, damit alles
beim Alten bleibt.
18 Jul 2012
## AUTOREN
Wolfgang Gast
## TAGS
MLPD
Schwerpunkt Stuttgart 21
Schwerpunkt Rechter Terror
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