# taz.de -- Konsequenzen aus dem Fall Chantal: Ärzte sollen Kinder schützen | |
> In Hamburg sollen substituierte Eltern ihre Ärzte von der Schweigepflicht | |
> entbinden, damit sie das Jugendamt informieren können. Es gibt aber | |
> keinen Zwang. | |
Bild: Sollen künftig besser verhindert werden: Tode von Kindern Drogenabhängi… | |
HAMBURG taz | Künftig sollen Hamburger Ärzte alle Patienten, denen sie die | |
Ersatzdroge Methadon verschreiben, fragen, ob Kinder in ihren Haushalt | |
leben und ob sie sie von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Nachdem | |
im Januar das Pflegekind Chantal (11) an Methadon gestorben war, haben nun | |
Ärztekammer, Suchthilfe, Bezirke, Behörden und die Kassenärztliche | |
Vereinigung eine entsprechende Vereinbarung getroffen. | |
Chantal war zu Pflegeeltern gekommen, die mit Methadon substituierten und | |
diesen Stoff auch zu Hause hatten. Im Jugendamt hatte man davon nichts | |
gewusst. Der Fall löste eine Diskussion über einen besseren Schutz der | |
Kinder von substituierenden Eltern aus. | |
„Auch diese Kinder sollen in ihrer eigenen Familie gut aufwachsen können“, | |
sagt Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Damit dies | |
gelinge, brauche man ein „Frühwarnsystem“, das Unterstützungsbedarf der | |
Eltern und Gefährdungen der Kinder rechtzeitig anzeige. | |
Die Einwilligung der Patienten ist freiwillig, man könne sie zur | |
Schweigepflichtentbindung „nicht zwingen“, betont ihr Sprecher Rico | |
Schmidt. Der Arzt könne aber so oder so das Jugendamt informieren, wenn es | |
Hinweise auf Kindeswohlgefährdung gebe. Und dies kann, je nach | |
Gefährdungslage, mit oder ohne Wissen des Patienten geschehen. | |
Dafür wurde ein abgestuftes Verfahren vereinbart, dessen Grundlage das im | |
Januar in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz ist. Die Ärzte erhalten | |
eine Liste mit 22 „Indikatoren“. Nimmt ein Patient zum Beispiel nebenher | |
illegale Drogen oder leben er und das Kind in ungesicherten | |
Wohnverhältnissen, gilt das als Hinweis, der mit dem Jugendamt zu klären | |
ist. Sind Ärzte unsicher, können sie den Fall anonymisiert unter einer | |
zentralen Rufnummer geschulten Kinderschutzkoordinatoren vortragen. | |
In Hamburg waren 2011 rund 600 opiatabhängige Eltern offiziell bekannt, bei | |
denen an die Tausend Kinder leben. Es gibt aber nur Zahlen über jene, die | |
sich im Hilfesystem melden. Es könnten mehr sein. | |
„Es galt hier, einen gangbaren Weg zu finden, der kein Bedrohungsszenario | |
für die Menschen ist, die sich substituieren wollen“, erläutert die | |
Sprecherin der Ärztekammer, Sandra Wilsdorf. Das Ziel der Vereinbarung sei | |
auch, dass alle am Hilfesystem beteiligten – Ärzte, Jugendhilfe und | |
Suchthilfe – besser miteinander verzahnt sind. So sollen die Eltern auch | |
Suchtberater und Jugendamtsmitarbeiter von ihrer Schweigepflicht entbinden, | |
damit sie wiederum mit Ärzten reden können. Schon bisher erhalten die | |
Eltern eine psychosoziale Betreuung. Die 2008 in Hamburg eingeführte | |
Begrenzung auf zwei Jahre pro Patient wurde für diese Gruppe aufgehoben. | |
Die Hamburger CDU forderte härtere Konsequenzen. Die Entbindung von der | |
Schweigepflicht müsse verpflichtend sein, ohne sie dürfe keine | |
Substitutionsbehandlung zustande kommen, forderte der Jugendpolitiker | |
Christoph de Vries. Doch das verstoße nach Einschätzung der Fachleute in | |
Hamburgs Behörden gegen geltendes Recht. | |
3 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Hamburg | |
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