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# taz.de -- Kolumne Back on the Scene: Zwischen Penetration und Tischgebet
> Haben Heterosexuelle auch Sex? Oder machen sie nur Liebe?
Wer weiß schon wirklich, wie er auf andere Menschen wirkt? Man kann in den
Spiegel schauen, man kann sich selbst fotografieren oder fotografieren
lassen – aber die Bilder, die man in den Köpfen der anderen erzeugt, man
wird sie nie zu fassen bekommen. Mann kann sie nur bedingt gestalten, gar
manipulieren.
So geht es auch den Homosexuellen: Sie können sich auf den Kopf stellen,
eingetragene Lebenspartnerschaften eingehen, kilometerlang im Rahmen von
Paraden durch Innenstädte laufen und mit Schlagbohrmaschinen hantieren: Am
Ende bleiben meist die Bilder in den Köpfen der Menschen hängen, die den
Stereotypen entsprechen.
Wenn Heterosexuelle mit dem Begriff Homosexualität konfrontiert werden,
leuchtet in irgendeinem Hirnareal scheinbar automatisch der Begriff
Analverkehr auf, gleich im Anschluss werden große Dosen von Stress- und
sonstigen Hormonen und körpereigenen Drogen durch die Blutbahn gejagt und
lassen den Heterosexuellen in Ambivalenz erschauern: Penetrationen an
dunklen, verbotenen Orten. Verschwitzte Leiber winden sich in
Orgienkellern. Stöhnen, Schreie. Unsägliches, Verbotenes, Finsteres und
Schmutziges findet hinter verschlossenen Türen statt – faszinierend und
beängstigend zugleich, doch wer auf Nummer sicher gehen will – weiterhin
sicher sein will, das Richtige und Gebotene zu tun, wird nun höchstens kurz
erröten und sich dann schamvoll abwenden.
In Abwehrhaltung gehen: Diese Türen sollen bitte verschlossen bleiben, denn
gleich hinter ihnen könnte sich ein Abgrund auftun, der einen auf direktem
Weg in die Hölle führt.
Aber wie ist das eigentlich, wenn Homosexuelle mit Heterosexualität
konfrontiert werden? Ich versuche einen kleinen Bilderdurchlauf: Kinder,
Kombi und Reihenhaus. Männer, die über Ytong-Steine debattieren, sich mit
Sportverletzungen rühmen und im Haushalt helfen, indem sie staubsaugen.
Frauen, die liebevoll und nachhaltig im Risotto rühren und stets darauf
achten, dass die Blumen im Garten genug Wasser bekommen. Urlaube im
vollgedrängten Family-Resort. Bausparverträge und Kita-Rallye.
Funktionskleidung und Tischgebete. Vorort-Gartenfeste, bei denen jeder
einen Salat mitbringt.
Bei diesen Bildern schlafen einem ja die Füße ein. Null Hormonkick, keine
Schweißausbrüche. Fehlt was? Da fehlt was, aber was? Ach ja, klar: Sex!
Warum kommen da jetzt überhaupt keine Sex-Bilder? Hallo! Wo kommen denn die
Kinder eigentlich her? Ich frage einen heterosexuellen Kollegen. Er sagt:
„Wenn man Kinder erzeugt, hat man keinen Geschlechtsverkehr, man macht
Liebe.“
Ach so, klar.
Aber in dem Wort Heterosexualität versteckt sich doch auch das Wort
Sexualität? Ich versuche es noch einmal mit Gefühl, irgendwas muss da sein:
Zwangsprostitution, Vergewaltigung, Blow-Jobs, Swinger-Clubs, Bordelle,
Genitalbeschneidung, Gang-Bang. Reeperbahn, Wohnwagen an Ausfallstraßen.
Geht doch.
Aber trotzdem: Irgendwas ist hier verrutscht mit den Bildern. Ich habe
nichts gegen Analverkehr, aber ich habe auch eine Regenjacke von Jack
Wolfskin im Schrank, gieße regelmäßig meine Blumen auf dem Balkon und kann
gut Risotto kochen. Ob die Zeugung von Kindern nicht doch auch mit
ungeschütztem Vaginalverkehr zu tun hat?
5 Aug 2012
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Papst
Party
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