# taz.de -- Kolumne Back on the Scene: Nur kein schlechtes Gewissen | |
> Bizarre Häppchen und reichlich Cocktails. Am besten sind die Feiern, auf | |
> die man gar nicht eingeladen ist. | |
Bild: Chi-Chi-Event mit bizarren Häppchen und subventionierten Drinks. | |
Wie soll man eigentlich reagieren, wenn man auf seiner eigenen | |
Geburtstagsfeier auf Menschen trifft, die man gar nicht kennt? Also solche | |
Leute, die etwas verdruckst herumstehen, klammheimlich und mit schlechtem | |
Gewissen das Buffet abessen und an der Bar ausschließlich subventionierte | |
Drinks bestellen (Wein, Bier, Softdrinks). Am besten umarmt man sie einfach | |
und sagt: „Schön, dass du da bist!“ | |
So fühlte ich mich dann doch noch wohl bei dieser Feier eines jungen, | |
freundlichen Mannes, der gerade seinen 30. Geburtstag beging und den ich im | |
Weiteren nur indirekt kennenlernen durfte, nämlich bei | |
Hintergrundgesprächen in der Raucher-Lounge. Mit seiner Mutter. | |
Anders verhält es sich, wenn man über einen „Plus Eins“-Vermerk zu einem | |
Chi-Chi-Event geschmuggelt wird, so wie neulich zu einer | |
Edel-Boutique-Eröffnung in Berlin-Mitte. Bei solchen Veranstaltungen muss | |
man sich nicht am Buffet herumdrücken, weil alle zwei Minuten junge | |
Servicekräfte, die eigentlich BWL oder Europäische Ethnologie studieren, | |
mit bizarren Häppchen vorbeikommen. Kartoffelsalätchen mit Trüffel, | |
Lachsschaum-Pralinés, Apfelschwein-Bäckchen auf Sellerie-Mousse. Zu trinken | |
gibt es Drinks von Dr. Seltsam, zum Beispiel Holunder-Wodka-Cocktails, | |
dafür aber reichlich. | |
Weil die Häppchen winzig sind und es sich nicht geziemt, drei auf einmal | |
vom Tablett zu nehmen, hat man recht schnell die Lampen an – und nie würde | |
die Event organisierende Gräfin Hardenberg von „Hardenberg Concept“ jetzt | |
einfach auf einen zukommen, einen in den Arm nehmen und sagen: „Ich begrüße | |
Sie ganz herzlich, auch wenn Sie nun ganz bestimmt nicht auf der Gästeliste | |
stehen. Sie würden doch auch sicher nicht davon ausgehen, dass Ihre Zeitung | |
zu den bevorzugten Medienpartnern des Gastgebers gehört? Und ist Ihnen | |
schon aufgefallen, dass in Ihrem Hemd ein Loch ist?“ | |
Die Gräfin wäre sicherlich zu gut erzogen, so etwas auch nur zu denken – | |
vielmehr entstehen solche Dialoge ja nur im eigenen Kopf. Das schlechte | |
Gewissen meldet sich, und ich bilde mir ein, das die Security mich auf | |
Schritt und Tritt überwacht, damit ich ja nicht einen goldenen | |
Manschettenknopf oder ein T-Shirt im Gegenwert eines Monatsgehaltes unter | |
mein Hemd stopfe, das wirklich nur ein ganz winziges Loch hat. Tröstlich | |
ist nur, dass hier auch noch ganz viele andere Leute rumstehen, als wären | |
sie bestellt und nicht abgeholt. Verloren zwischen Models, Soap-Stars, | |
hoffnungsvollen Nachwuchstalenten und der großen, anonymen Masse der | |
tatsächlichen Zielgruppe: Menschen in mittleren Jahren mit dickem | |
Bankkonto. | |
Die Geburtstagsparty mit dem Buffet nahm dann allerdings noch eine | |
wunderbare Wendung. Nach zehn Jahren treuer Kundschaft lernte ich dort | |
meinen polnischen Autoschrauber kennen. „Lange nicht mehr gesehen“, sagte | |
er, und ich sagte: „Ich habe kein Auto mehr.“ Aber was um Gottes willen | |
hatte er auf der Geburtstagsfeier eines jungen, schwulen Künstlers zu | |
suchen? Bei einer Menthol-Slimline Zigarette kamen wir ins Plaudern: Seine | |
Frau ist Chansonsängerin und tritt regelmäßig zusammen mit dem Gastgeber | |
auf. Der Abend endete mit einer Einladung nach Polen. Und mit einer | |
Gegenumarmung in Richtung Gastgeber: „Danke, dass ich hier sein durfte.“ | |
Vielleicht lerne ich ihn demnächst ja mal bei einer Party kennen. | |
26 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
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