# taz.de -- Kolumne Back on the Scene: Kuscheln hinter eisernem Vorhang | |
> Liebe Russen, liebe Serben, liebe Kroaten! Wenn ihr Spaß haben wollt, | |
> dann lest das! Das ist Propaganda! | |
Nach einem langen Irrlauf durch dunkle Gassen und Hinterhöfe stößt man auf | |
eine verschlossene Stahltür … So beginnen die meisten Geschichten, die von | |
Schwulen und Lesben im ehemaligen Ostblock handeln. In Russland gibt es | |
vielleicht bald gar keine Geschichten mehr über dieses Thema, weil jegliche | |
Thematisierung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen bestraft werden soll. | |
Man will eine solche Propaganda verhindern, zum Schutz des russischen | |
Volkes. | |
Was soll man tun? Am besten Propaganda machen: Liebe Russen, wenn ihr mal | |
wirklich Spaß haben wollt, dann geht in die schwul-lesbischen Clubs von | |
Moskau. Dort sind die Getränke viel billiger als in irgendwelchen | |
Oligarchen-Dissen, die Männer sehen besser aus und tanzen manchmal mit | |
wunderschönen entblößten Oberkörpern. Die Mädchen sind trinkfest, | |
lebenslustig und üben interessante Berufe aus. An einem der schönsten | |
schwul-lesbischen Veranstaltungsorte gibt es zudem den besten Ceasar’s | |
Salad in ganz Moskau, zu erschwinglichen Preisen. Die Lokalität heißt | |
Propaganda, nicht weit vom Moskauer Rathaus entfernt. Hier kann man sich | |
wie in einer richtigen Weltstadt fühlen, ganz ohne Popen mit Bärten und | |
Nationalisten mit Glatzen. | |
Liebe Serben, wenn ihr mal ausnahmsweise keine Lust haben solltet auf Bier, | |
Rockgeschrammel, stiernackige Typen und Stöckelschuhfrauen, dann geht in | |
den Club Apartman, er ist gleich bei der Brankobrücke. Altes Abrisshaus, | |
dritter Stock rechts. Elektronische Musik, queeres Künstler- und | |
Kreativvolk, geile Atmosphäre, irgendwo zwischen Berlin, London, New York. | |
Willkommen in Europa! Zur Vorbereitung einfach den Film „Parada“ von Srdjan | |
Dragojevic anschauen, er ist extra für Schwulenhasser gemacht und wirkt | |
ausgesprochen therapeutisch, weil ihr über euch selbst und euren nationalen | |
Männlichkeitswahn lachen könnt. | |
Liebe Kroaten, wenn ihr gerade keine Zeit haben solltet, Schwule und Lesben | |
zusammenzuschlagen – zum Beispiel in eurer angeblich so weltoffenen | |
Küstenstadt Split –, dann fahrt mal in eure Hauptstadt Zagreb. Ihr könnt | |
zum Beispiel das Queer Arts Festival besuchen, es beginnt am 23. April. | |
Ikonen, Knüppel und alte Kriegswaffen bitte zu Hause lassen und stattdessen | |
einfach mal ein paar entspannte Tage mit internationalen Gästen genießen, | |
die nicht nur darauf aus sind, am Steinstrand herumzuliegen und Rotwein mit | |
Cola und Eis zu saufen. Es gibt Filme zu sehen und Performances, | |
Ausstellungen – und hinterher wird schön zusammen gefeiert. Heilige Maria! | |
Liebe Polen, in eurer wunderschönen Hafenstadt Danzig gibt es leider nur | |
einen Gayclub, also kommt rechtzeitig, damit ihr noch einen Platz bekommt. | |
Der Laden heißt Kogiel-Mogiel und befindet sich in der Nähe des Hafens. | |
Hinter dem Tresen stehen supernette Lesben („In Poland you have to drink | |
vodka“), während auf ihm halbnackte Jünglinge tanzen. Ist mal was anderes, | |
als immer nur Papstbilder anzugucken und Bigosch zu essen. Irgendwie | |
schmeckt an diesem Ort sogar das notorische Schädelbräu Danziger Goldwasser | |
gut. | |
Viel Spaß euch Völkern, verlauft euch bitte nicht bei den Gängen durch | |
dunkle Gassen und Hinterhöfe, und habt keine Angst. Ihr seid willkommen | |
hinter all den geschlossenen Eisentüren. Dort trinken, lachen und feiern | |
bloß Landsleute. | |
15 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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