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# taz.de -- Kolumne Back on the Scene: Auf du und du mit Seeräuber-Jenny
> Wäre es nicht großartig, wenn keine Kränkung ungesühnt bliebe?
Man mag es kaum glauben, wenn man gerade in einer Gay Bar mit schlechter
Musik sitzt, aber der Homo ist immer auch ein Homo politicus; man sieht es
derzeit im US-Wahlkampf: Während Barack Obama am Ende seiner Amtszeit
plötzlich die gleichgeschlechtliche Ehe preist, sieht sich sein
republikanischer Gegner zeitgleich mit dem Vorwurf konfrontiert, in den
sechziger Jahren (!) einen homosexuellen Mitschüler gemobbt zu haben. Er
und seine Kumpane sollen seinerzeit in der Schule einem Jungen, der sich
die Haare blond gefärbt hatte, die selbige gewaltsam abgeschnitten haben.
Unter anderem.
Wieder mal nur eine Instrumentalisierung von Minderheiten im Rahmen
politischer Machtkämpfe? Wie dem auch sei: Toll daran ist die Idee, dass
man seinen Mitschülern Jahrzehnte später endlich die Hammelbeine dafür
langziehen könnte für das, was sie einem seinerzeit angetan haben. Volker
P., einst Sportheld und Großmaul aus der zehnten Klasse, will
Oberstaatsanwalt in Oldenburg werden? Ha! Zur Aktenlage: Da war noch dieser
Vorfall im Jahr 1987, jungen Mann einfach zu Boden getreten und als
„Milchgesicht“ beschimpft? Sie erinnern sich nicht? Tja, das nützt Ihnen
gar nichts, das war’s dann mit der Oberstaatsanwaltschaft, zurück in die
Müllstelle oder sonst irgendetwas Beschämendes verwalten.
Rache! Seien wir ehrlich: Es ist doch immer wieder schön zu sehen, wenn
gewisse ungeliebte Menschen über ihre eigenen Trampelfüße stolpern und in
der Pfütze landen. Zum Beispiel politisch aktiv gewordene Juristen, die
ihren Doktortitel zurückgeben müssen – und bei denen es sich genau um die
Leute handelt, die seinerzeit an der Universität in grüne Barbour-Jacken
gewandet Bücher aus dem „Handapparat“ hinter der Manitoba Review of
Literature versteckten, Kommentare schwärzten oder gleich ganze Seiten
herausrissen, um sich einen „Informationsvorsprung zu sichern“.
Wen könnte man noch aufs Schafott schicken? Vielleicht Dieter mit den
Gelhaaren, der mir Anfang der Neunziger beharrlich „Schwuchtel“
hinterherzischte und hoffentlich auch so noch immer unter den niemals
verschwundenen Narben seiner seinerzeitigen Akne leidet. Holger B., dafür,
dass er mir mit voller Absicht einen Ball ins Gesicht geworfen hat, weil er
mich nicht in seiner Fußballmannschaft haben wollte. Ganze Klassenverbände
der Mittelstufe für Hänseleien auf dem Schulhof. Eine komplette Kleinstadt
für Unduldsamkeit gegenüber allem und jedem, der oder die anders ist. Es
würde ein Blutbad: „Und ein Schiff mit acht Segeln / Und mit fünfzig
Kanonen / Wird liegen am Kai!“
Das alles geht mir durch den Kopf, als ich allein auf einem Barhocker
sitze, ein Bier vor mir auf dem Tresen. Schön, mit sich allein auszugehen –
ab durch die Berliner Nacht, die Bedrängnisse aus Jugendzeiten, sie liegen
weit zurück. Die Welt, sie gehört mir, und ich bin inmitten von ganz, ganz
vielen anderen Homos, seien sie nun politisch oder nicht.
Einer von ihnen guckt freundlich herüber, sodass ich mich irgendwann traue,
ihn anzusprechen. Ich gehe zu ihm an den Tisch, „Lust auf ein Bier“, frage
ich? Sagt er mit hochmütiger Herablassung und so, dass es alle hören
können: „Heute nicht.“ Also, wenn dieser Typ mal Bundespräsident werden
will, dann werde ich das zu verhindern wissen.
13 May 2012
## AUTOREN
Martin Reichert
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