# taz.de -- Kolumne Back On The Scene: Mit Saddam im Orgienkeller | |
> Warum es manchem mulmig wird, wenn die Klischees nicht ordnungsgemäß | |
> bedient werden. | |
Wer sich in das nächtliche Leben stürzt, muss oft genug mit künstlichen | |
Substanzen selbst dafür Sorge tragen, dass die Welt endlich mal ein | |
bisschen kopfsteht. Angestelltenfreizeitkultur ist ja nicht per se | |
aufregend, nur weil die Beleuchtung schummerig ist und Musik zu hören ist. | |
So ist das auch im schwulen Nachtleben, da weiß man in der Regel auch schon | |
vorher, was auf einen zukommt. Dachte ich. | |
Nts-Nts-Nts, Kirmes-House und gekühlte Getränke, Nts-Nts-Nts. Eine Bar in | |
Berlin-Schöneberg, man kommt ins Gespräch. Ein junger Mann setzt sich mit | |
an den Tisch, ein Bekannter eines Bekannten. Alles gezupft, bisschen | |
überpflegt, zu enge Klamotten, und wieder ein freundlicher kleiner Friseur, | |
der sich in seiner Freizeit für Orchideen interessiert und Musicals und so | |
weiter. Dachte ich. Dann nämlich erzählt mein Bekannter, dass er neulich | |
Zeuge wurde, wie dieser kleine flamboyante Hüpfer zwei Jugendlichen, die | |
ihn als Tunte gehänselt und bedroht hatten, ruck-zuck die Nasenbeine | |
gebrochen hatte. | |
Zack, Kleingeld gespart, das für den Anruf beim schwulen Überfalltelefon | |
fällig gewesen wäre. Es stellte sich heraus, dass der junge Mann kein | |
Friseur ist und mit Orchideen nichts am Hut hat. Und ich fasse mir rasch | |
mal an meine eigene Nase, sogar das Nts-Nts-Nts entpuppt sich bei näherem | |
Hinhören als Latest Hottest Shit aus New York oder so. | |
Im nächsten Laden sollte die Welt wieder in Ordnung sein. | |
Whitney-Houston-Gedenk-Playlist, vereinzelte Herren an vereinzelten | |
Tischen, rauchend, Bier trinkend. Eine sich mühende, bisschen dabei | |
quietschende Discokugel. Großartiges, latent tragisches | |
Großstadt-Homomilieu-Kino mit Achtziger-Retro-Touch. An der Bar sitzt ein | |
Daddy, der aussieht wie Saddam Hussein auf der Suche nach ein bisschen | |
Druckabbau im Dunkeln. | |
Nun betreten die Transen das Feld. Groß gewachsen, High Heels, Big Hair. | |
Der Kinofilm geht weiter, schön. Fehlen nur noch der zitternde Jungmann im | |
Coming-out, ein Gay-Skinhead, zwei Leder-Trinen und und drei vier bis vier | |
Hobos mit Bärten, um den Stereotype-Zoo zu komplettieren, "Ja, da sind wir | |
wieder in Berlin", pfeife ich mir innerlich ein Liedchen von Christiane | |
Rösinger. Die Welt war wieder in Ordnung. | |
Dann allerdings packte eine der beiden Transen ihre Brüste aus, die | |
geradezu frappierend echt wirkten. Entblößte sich auch untenrum, und das, | |
was das von schwarzen Korsagen gehaltene Mieder umrahmte brachte nun Saddam | |
Hussein völlig aus dem Häuschen. "Watt denn, watt denn, ich dachte, das ist | |
hier ein Schwulenladen?" sagte die Dame. Dachte ich auch. | |
"Na, wen ditt so ist, dann können wir ja auch schön f…", sprachs und | |
schritt die Treppe hinunter in den finsteren Orgienkeller, Saddam nichts | |
wie hinterher. Und dort unten kam es nun zum Äußersten. Zwischen Mann und | |
Frau! | |
Völlig überfordert von der ganzen Situation waren allerdings die anwesenden | |
Homosexuellen. "Das ist aber jetzt nicht orthodox", sprach der eine, ein | |
anderer konnte nur "ich brauche jetzt dringend noch ein Bier" sagen. | |
Niemand traute sich mehr in den Keller hinunter, aber wenigstens hat an | |
diesem Abend die Welt mal so richtig schön kopfgestanden. Bekommt man | |
gleich klarere Gedanken. | |
19 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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