# taz.de -- Pläne der Schlecker-Frauen: Sie machen es einfach selbst | |
> Die Schlecker-Frauen wollen eine Genossenschaft gründen und geschlossene | |
> Filialen zu Mini-Supermärkten machen. Mit fünf Filialen soll es losgehen. | |
Bild: Schlecker-Frauen wissen, was Schlecker-Kunden wünschen. | |
MARKELFINGEN taz | 900 Filialen. Das hatte Christina Frank einfach keine | |
Ruhe gelassen. 900 Filialen der pleitegegangenen Drogeriemarktkette | |
Schlecker, denen es auch zum Schluss wirtschaftlich noch gut ging. Die | |
jährlich einen Umsatz von 500.000 Euro erzielt haben. „Wir haben die ganze | |
Zeit versucht, dass wenigstens diese Filialen noch beliefert werden“, sagt | |
die Stuttgarter Gewerkschaftssekretärin. Vergebens. Deshalb hat die | |
Ver.di-Frau die Sache selbst in die Hand genommen. | |
Zusammen mit 35 ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterinnen will Frank eine | |
Genossenschaft gründen und damit schaffen, woran andere gescheitert sind: | |
den Schlecker-Frauen eine berufliche Zukunft bieten und in dörflichen | |
Regionen eine Nahversorgung sicherstellen. | |
Frank sitzt auf einer Caféterrasse mit Blick auf den Bodensee. Eigentlich | |
will sie hier, im baden-württembergischen Markelfingen, zwei Tage | |
abschalten. Einfach mal die Seele baumeln lassen. Den Stress aus Stuttgart | |
vergessen. Die 57-Jährige trägt ein sommerlich mit lila Blumen dekoriertes | |
T-Shirt. | |
Seit Monaten ist Frank im Dauereinsatz. Sie kümmert sich um die entlassenen | |
Frauen, berät sie, tröstet sie. Mit einigen von ihnen ist sie im Juni zur | |
Gläubigerversammlung gefahren, auf der das endgültige Aus besiegelt wurde. | |
„Da sind wir auch beim Anton vorbeigefahren, weil wir mal sehen wollten, | |
wie der so wohnt.“ Anton Schlecker ist der Firmengründer. Gegen ihn | |
ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. | |
## Viele wollen einen Neuanfang | |
Während am Wochenende [1][schwere Vorwürfe gegen Anton Schlecker] bekannt | |
werden, versucht Frank den Frauen am Bodensee etwas Ablenkung zu bieten. | |
Sie sind in Markelfingen im Jugendcamp des Deutschen Gewerkschaftsbundes | |
zusammengekommen. Direkt am Ufer, mit komfortablen Zelten auf einer großen | |
Grünanlage. Doch natürlich werden auch hier die Sorgen ausgetauscht, | |
bittere Erfahrungen mit dem Arbeitsamt geschildert. Viele Frauen seien nach | |
ihrem ersten Besuch bei der Arbeitsagentur zu Frank gekommen. „Die wollten | |
einen Neuanfang, merkten aber, dass das da nichts wird.“ | |
Doch der engagierten Gewerkschafterin geht es nicht nur um die | |
Jobperspektive. Dass die Nahversorgung in dörflichen Regionen immer | |
schlechter werde, sei bislang als Problem viel zu stark ignoriert worden. | |
„Da ist die Politik gefordert“, sagt Frank. Doch vom Wirtschaftsministerium | |
habe sie nach einem Arbeitsgespräch nicht viel mehr erhalten als einen | |
Leitfaden. „Was darin steht, wussten wir zu dem Zeitpunkt alles schon | |
selbst.“ | |
Frank schwebt die Idee vor, aus den ehemaligen Schlecker-Läden | |
Mini-Supermärkte zu machen, in denen neben Drogerieartikeln auch | |
Milchprodukte angeboten werden sowie Obst, Gemüse, Fleisch und Brot. „Und | |
dafür bekommen wir Unterstützung von Seiten, von denen wir es gar nicht | |
gedacht hätten.“ | |
Täglich telefoniert Frank mit Bürgermeistern, die die Genossenschaft | |
finanziell oder zumindest ideell unterstützen wollen, um den einzigen Laden | |
vor Ort zu retten. Vermieter würden ihr anbieten, die Miete zu senken, wenn | |
der Laden zeitnah wieder betrieben würde. Viel Zeit wollen sich Frank und | |
ihre Mitstreiterinnen ohnehin nicht lassen. „In vier Wochen soll es die | |
erste Versammlung geben“, sagt Frank. Wenn, dann müssten die Filialen bald | |
wieder öffnen. „Sonst ist es zu schwer, die Kunden wiederzugewinnen.“ | |
## Kosten werden geteilt | |
Doch allein die jeweilige Markt- und Standortanalyse kostet pro Filiale | |
3.000 Euro. Für fünf Filialen, die der Anfang sein sollen, teilen sich die | |
Kosten zu unterschiedlichen Teilen Ver.di in Baden-Württemberg, die | |
Evangelische Betriebsseelsorge und die Partei Die Linke. | |
Auch auf eine Ausstattung könnte die Genossenschaft zurückgreifen. Der | |
Insolvenzverwalter habe den Frauen zugesagt, dass sie die zurückgebliebenen | |
Regale, Kassenbänder oder Faxgeräte übernehmen könnten. Würde also noch die | |
Ware fehlen. Doch auch um die macht sich Frank keine Sorgen. „Wenn unser | |
Businessplan gut ist, bekommen wir die Waren.“ Frank, kurze, blondierte | |
Haare, gibt den Takt vor. Wenn andere um ihre Zukunft bangen, strahlt sie | |
Energie und Zuversicht aus. | |
Zwei, die sich von Anfang an mitreißen ließen, genießen an diesem | |
Wochenende auch die Ruhe am Bodensee. Karin Meinerz und Bettina Meeh stehen | |
unter einer Birke nahe dem Ufer. Wenn sie an die Tage zurückdenken, in | |
denen das Aus der Firma besiegelt wurde, für die Meinerz 11 und Meeh 19 | |
Jahre gearbeitet haben, werden ihre Augen für einen kurzen Moment feucht. | |
„Wir haben wirklich gehofft, dass es nach der ersten Kündigungswelle im | |
März noch weitergeht. Wir wurden aber enttäuscht“, sagt Meinerz. | |
Doch eigentlich blicken sie gerade lieber nach vorn. „Wir sind Kämpfer“, | |
sagt Meeh. Und so wollen sie motiviert an die Gründung der Genossenschaft | |
gehen. „Natürlich haben wir auch Gedanken im Hinterkopf, ob das alles | |
klappt, ob die Kunden wiederkommen, wie der Umsatz sein wird. Aber wir | |
lassen uns nicht unterkriegen und werden das versuchen.“ Als wirklichen | |
„Neustart“ wollen sie die Genossenschaft aber nicht ansehen. „Wir sind es | |
ja gewohnt, im Laden zu stehen. Wir sind ja schon viele Jahre dabei“, sagt | |
Meeh. Und auch das persönliche Risiko sei gering, da sie nicht mit ihrem | |
Privatvermögen haften werden. | |
## Sie kennen ihre Kunden | |
Die Läden sollen jeweils als Mini-GmbH an die Genossenschaft angeschlossen | |
werden. So könnten unrentable Filialen saniert werden, ohne die Existenz | |
der gesamten Genossenschaft zu gefährden. Für jede Filiale haben die Frauen | |
versucht, so viele Daten wie möglich zu sammeln. Inzwischen wissen sie, wie | |
gut oder schlecht es um welchen Laden stand. Und sie glauben zu wissen, was | |
insgesamt schiefgelaufen ist. | |
Ihr Vorteil: Sie kennen ihre Kunden und deren Bedürfnisse. „Wir würden mit | |
dem Sortiment auf die Leute zugehen, beispielsweise wenn wir wissen, dass | |
nebenan eine Schule ist oder ein Altenheim“, sagt Meinerz. „Wir wollen | |
einfach mehr auf die Kundenwünsche eingehen.“ Meeh ergänzt: „Wir wollten … | |
früher schon viel ändern und haben nach einem anderen Sortiment gefragt, | |
aber leider ist das nie umgesetzt worden.“ | |
Eins wird auf jeden Fall geändert: der Name. Bisher gibt es nur einen | |
Arbeitstitel: „Geno SF“ – Genossenschaft der Schlecker-Frauen. Aber | |
Schlecker soll das Ganze nicht mehr heißen. | |
14 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] /Schlecker-Pleite-drohte-schon-2009/!99522/ | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
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