# taz.de -- (Über)Leben in Berlin (Teil 8): "Ich sehe jeden Tag Armut" | |
> Eva Högl ist Bundestagsabgeordnete. Von ihren Diäten kann die SPD-Frau | |
> gut leben. Aber es stört sie, dass Politik generell ein so schlechtes | |
> Image hat. | |
Bild: Eva Högl hat es nicht weit zum Arbeitsplatz Reichstag: Ihr Bürgerbüro … | |
taz: Frau Högl, seit wann sind Sie in Berlin? | |
Eva Högl: Seit 2001. | |
Warum? | |
Dazu kam es durch einen Wechsel des Arbeitsplatzes. Ich hatte seit 1999 im | |
Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Bonn gearbeitet, wollte nach | |
Berlin und habe mich dann auf eine Stelle innerhalb des Ministeriums in | |
Berlin beworben. | |
Würden Sie gerne in einer anderen Stadt arbeiten? | |
Nein, Berlin ist meine Lieblingsstadt, und ich bin sehr glücklich, dass ich | |
hier leben und arbeiten kann. | |
Wo arbeiten Sie? | |
Im Deutschen Bundestag als Abgeordnete. Ich bin direkt gewählt im Wahlkreis | |
Berlin-Mitte und vertrete diesen im Bundestag. | |
Wem gehört Ihr Arbeitgeber? | |
Dem Steuerzahler, den Bürgerinnen und Bürgern, uns allen. | |
Haben Sie noch einen anderen Job? | |
Nein. Bundestagsabgeordnete ist eine Vollzeitarbeit. Ich habe, bis ich 2009 | |
Abgeordnete wurde, zehn Jahre im Bundesministerium für Arbeit und Soziales | |
gearbeitet und bin als Beamtin beurlaubt. | |
Wie lang arbeiten Sie am Tag? | |
Das sind in der Regel zwölf Stunden, häufig auch mehr. | |
Wie ist es mit Arbeit am Wochenende? | |
Ich arbeite auch am Wochenende. Allerdings habe ich mir vorgenommen, nur | |
einen Tag am Wochenende zu arbeiten. Das klappt nicht immer. | |
Wie sind Sie zu dem Job gekommen? | |
Ich bin seit 25 Jahren Mitglied der SPD und genauso lange politisch aktiv. | |
Ich bin im Januar 2009 als Nachrückerin in den Bundestag gekommen und habe | |
dann im September 2009 meinen Wahlkreis gewonnen. | |
Welche Qualifikationen haben Sie für Ihren Job? | |
Zum einen, dass ich schon so lange politisch aktiv bin. Zum anderen bin ich | |
Juristin, das hilft im politischen Geschäft. Mir gibt es eine Sicherheit, | |
mich mit rechtlichen Regeln auszukennen. Und durch meine zehn Jahre | |
Verwaltungserfahrung war ich für die Abläufe im Bundestag auch gut | |
vorbereitet. | |
Wie haben Sie Ihr Studium finanziert? | |
Über meine Eltern. Die waren beide berufstätig, haben oberhalb der | |
Bafög-Grenze verdient und haben mir das deshalb bezahlt. Ein bisschen habe | |
ich auch dazuverdient, ich war wissenschaftliche Hilfskraft, ich habe | |
Nachhilfe gegeben und in einer Kneipe gearbeitet. Aber die Basis haben | |
meine Eltern gelegt. | |
Würden Sie gern eine andere Arbeit machen? | |
Nein. Ich habe vor, 2013 wieder für den Bundestag zu kandidieren. | |
Welche Arbeiten verrichten Sie? | |
Zum einen ist da der Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern, die ich über | |
meinen Wahlkreis in Mitte vertrete – ich gehe da hin, wo die sind, und lade | |
Leute ein, mit mir zu sprechen, über Kiezprobleme und alles, was hier | |
ansteht. Dann natürlich Gesetzgebung: Ich kümmere mich vor allem um | |
Europapolitik und bin Sprecherin der SPD-Fraktion im | |
NSU-Untersuchungsausschuss. | |
Ist Ihre Arbeit körperlich oder geistig anstrengend? | |
Ja. Es ist eine sehr anstrengende, aber auch sehr angenehme Arbeit. | |
Fühlen Sie sich unter- oder überfordert? | |
Nein. Im Moment habe ich keinen Anlass für Unterforderung. Ich suche mir | |
Arbeit aber auch selbst. Überfordert? Das nicht – aber ich muss zugeben, | |
dass die Europapolitik mit den ganzen Finanzmarktfragen schon sehr | |
kompliziert ist. Und meine Arbeit im Untersuchungsausschuss ist sehr | |
zeitintensiv und eine wirkliche Herausforderung. | |
Erledigen Sie gefährliche Arbeiten? | |
Diese Frage stelle ich mir aktuell gerade, weil ich Mitglied im | |
Untersuchungsausschuss zu den Nazi-Morden bin. Da frage ich mich manchmal | |
doch, ob das zu Reaktionen in der rechtsextremen Szene führt. | |
Was mögen Sie nicht an Ihrer Arbeit? | |
Dass Politik so ein schlechtes Image hat. Außerdem mag ich langweilige | |
Sitzungen nicht. | |
Was verdienen Sie? | |
Ich verdiene wie alle Bundestagsabgeordneten 7.647 Euro im Monat, die ich | |
versteuern muss. Um Mitarbeiter zu bezahlen, kann ich bis zu 15.000 Euro | |
monatlich bekommen. | |
Fühlen Sie sich damit angemessen bezahlt? | |
Ja. Ich habe mein Bürgerbüro im Wedding, ich sehe jeden Tag Armut und bin | |
für meine Tätigkeit sehr gut bezahlt. Wenn ich aber in die andere Richtung | |
schaue, zum Potsdamer Platz – da gibt es natürlich ganz andere Summen. Wenn | |
es eine größere Wertschätzung für Politik gäbe, könnte es auch noch ein | |
bisschen mehr Geld sein: Wie wenig die Kanzlerin im Vergleich zum | |
Deutsche-Bank- oder zum BMW-Chef verdient, das passt nicht zusammen, was | |
die Verantwortung angeht. Ich selbst, ganz individuell, fühle mich bestens | |
ausgestattet. | |
Wo stehen Sie in der Hierarchie bei Ihrer Arbeit? | |
Wir haben etwas mehr als 20 Sprecherinnen und Sprecher für Fachthemen. Ich | |
bin eine davon und stehe damit eine Stufe über einem normalen Abgeordneten. | |
Darüber sind Ausschussvorsitzende, stellvertretende Fraktionsvorsitzende | |
und der Fraktionschef angesiedelt. | |
Wer kontrolliert Sie? | |
Die Wählerinnen und Wähler. Die Medien, die kritische Öffentlichkeit. | |
Wird Ihre Arbeit in Ihrer Familie und von KollegInnen ausreichend | |
wertgeschätzt? | |
Ja, absolut. | |
Was an Ihrer Arbeit sehen Außenstehende nicht? | |
Meine langen Tage und die vielen Themen, die ich bearbeiten muss. Ich bin | |
ja nicht für alle sichtbar von acht bis fünf im Büro, sondern immer | |
irgendwo eine begrenzte Zeit. Es versteht auch nicht jeder, dass auch ein | |
Abendessen politische Arbeit ist, selbst wenn es in netter Atmosphäre | |
stattfindet. | |
Mit wem konkurrieren Sie? | |
Im Herbst 2013 wieder mit meinem Gegenkandidaten im Wahlkreis Berlin-Mitte. | |
Sonst direkt mit niemandem. | |
Sind Sie in einer Gewerkschaft organisiert? | |
Ja, bei Ver.di. | |
Haben Sie schon mal gestreikt? | |
Das durfte ich als Beamtin leider nicht. | |
Trennen Sie klar zwischen Arbeit und Freizeit? | |
Ja, ich versuche es zumindest. | |
Was würden Sie gern machen, wozu Sie aber keine Zeit haben? | |
Mehr Sport. Das fehlt mir ein bisschen. Aber das ist eine Frage der | |
Prioritätensetzung, ich kann da niemandem einen Vorwurf machen: Ich lese | |
lieber eine Akte, als dass ich zum Sport gehe. Jetzt im Sommer klappt es | |
immerhin, regelmäßig im Prinzenbad zu schwimmen. | |
Wie viel Geld haben Sie im Monat zur Verfügung? | |
Die Abgeordnetendiät, die erwähnten 7.600 Euro. | |
Wer lebt von diesem Geld? | |
Mein Mann und ich. Wobei der auch arbeitet und selbst verdient. | |
Wofür geben Sie das Geld normalerweise aus? | |
Für Wohnung, für Essen, viel für Kleidung, ich brauche ja immer etwas Neues | |
in meinem Job. Auch für Literatur, Theater und Urlaub. | |
Wie viel Geld brauchen Sie im Monat, um gut über die Runden zu kommen? | |
Auf jeden Fall weniger als das, was ich habe. | |
Haben Sie Rücklagen? | |
Nicht übermäßig, aber ich habe Eigentum in Form einer Immobilie. | |
Sparen Sie Geld? | |
Auch nicht übermäßig – ich bin Konsumentin. | |
Ist Geld etwas, über das Sie mit anderen Menschen reden? | |
Eher nicht. Geld hat nicht so eine große Bedeutung für mich – ich bin ja in | |
der glücklichen Situation, mit meinem Geld gut zurecht zu kommen. | |
Wissen Sie, was Ihre Freunde verdienen? | |
Nein, höchstens in groben Zügen. | |
Wer würde Ihnen Geld leihen, wenn Sie welches bräuchten? | |
Mein Mann und meine Eltern. | |
Wo wohnen Sie? | |
In der Nähe der Nordbahnhofs in Mitte, aber ich ziehe in diesem Jahr in den | |
Wedding. | |
Wer macht den Haushalt? | |
Mein Mann und ich. | |
Wie viel Platz haben Sie? | |
110 Quadratmeter. | |
Wie viel hätten Sie gern? | |
Das ist schon okay so. | |
Haben Sie Kinder? | |
Nein. | |
War das mit dem Beruf nicht zu vereinbaren? | |
Nein, das hatte andere Gründe. | |
Wie viel schlafen Sie ungefähr pro Nacht? | |
Ungefähr sechs Stunden. | |
Haben Sie Schlafprobleme? | |
Nein, überhaupt nicht – ich kann überall schlafen. | |
Wann waren Sie denn zuletzt krank? | |
Das ist schon lange her, ich bin selten krank. | |
Können Sie dann freinehmen, wenn Sie krank sind? | |
Nein. Ich kann mich aber bei Sitzungen entschuldigen. | |
Wer vertritt Sie, wenn Sie krank sind? | |
Für Bundestagsabgeordnete gibt es keine Vertretung. Wenn ich nicht da bin, | |
vertritt mich niemand. Ich kann aber Kolleginnen und Kollegen bitten, | |
Termine oder Aufgaben für mich zu übernehmen. | |
Wer kümmert sich um Sie, wenn Sie krank sind? | |
Mein Mann, meine Freundinnen und meine Eltern. | |
Fühlen Sie sich manchmal gestresst? | |
Manchmal schon, wenn alles schnell gehen muss und ein Termin den anderen | |
jagt. | |
Sind Sie schon mal arbeitslos gewesen? | |
Ganz kurz, im Frühjahr 1999 zwischen zweitem Staatsexamen und Beginn im | |
Ministerium, in meiner Bewerbungsphase. Beschäftigungslos war ich da aber | |
auch nicht, da habe ich nämlich fürs Europaparlament kandidiert. | |
Hätten Sie Angst vor Arbeitslosigkeit, wenn Sie nicht Beamtin wären? | |
Ja, das wäre die größte Strafe für mich – ich hänge sehr ab von einer | |
sinnvollen Tätigkeit. | |
Machen Sie sich Gedanken über Ihren Lebenslauf? | |
Im Moment nicht. Ich habe vor, 2013 noch mal für den Bundestag zu | |
kandidieren. | |
Können Sie es nachvollziehen, wenn Leute sagen: Ich will weniger arbeiten? | |
Absolut. Das Schönste wäre, wenn alle das verwirklichen könnten. | |
Unterstützen Sie die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen? | |
Ja, auch wenn ich damit in der SPD eine Mindermeinung vertrete. Ich finde | |
es eine interessante Idee und beteilige mich gerne an der Diskussion über | |
verschiedene Modelle. | |
Wenn es ein solches bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, würden Sie | |
trotzdem arbeiten? | |
Ja, natürlich. | |
Haben Sie schon Diskriminierung erfahren? | |
Nein, nicht direkt. Aber als Frau hatte ich auch jede Menge Hürden zu | |
überwinden. Deshalb setze ich mich engagiert für Gleichberechtigung ein. | |
Aus welcher gesellschaftlichen Schicht stammen Sie? | |
Mitte. Meine Eltern waren beide bei der Sparkasse. Beide haben nicht | |
studiert. Ich bin aber nicht die erste Akademikerin in der Familie: Mein | |
Großvater war Arzt, mein Onkel ist auch Arzt geworden. | |
Wo sehen Sie sich jetzt? | |
Auch in der Mitte. | |
Haben Sie Freunde aus einer anderen sozialen Schicht? | |
Ich suche meine Freundinnen und Freunde nicht nach der sozialen Schicht | |
aus, der sie angehören. Mein Freundeskreis ist bunt und vielfältig. | |
Wovor haben Sie am meisten Angst, wenn Sie an die Zukunft denken? | |
Vor Krankheit. | |
Wie wünschen Sie sich Ihr Leben in zehn Jahren? | |
Das kann ruhig so abwechslungsreich bleiben, wie es jetzt ist: genug zu | |
tun, viele Gestaltungsmöglichkeiten und angenehme Menschen um mich herum. | |
Woran liegt es, ob sich das verwirklichen lässt? | |
Im Herbst 2013 werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob ich den | |
Wahlkreis Berlin-Mitte auch weiterhin im Bundestag vertrete. Ich mache | |
meine Arbeit gerne und engagiert und hoffe, dass ich sie zur Zufriedenheit | |
der Bürgerinnen und Bürger erledige. | |
22 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Freibad | |
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