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# taz.de -- taz-Serie (Über)Leben in Berlin (Teil 9): „Arbeit ist ja kein We…
> Michael W. ist Historiker. Manchmal erstaunt ihn, was alte
> Klassenkameraden so verdienen. Seine Selbsteinschätzung: „prekär
> beschäftigte Mittelschicht“.
Bild: "Das Arbeiten als Wissenschaftler ist oft unsicher und bietet daher wenig…
Wie heißen Sie?
Meinen richtigen Namen möchte ich ungern in der Zeitung lesen. Nennen Sie
mich Michael W.
Seit wann leben Sie Berlin?
Seit Herbst 1990. Ich wollte zum Studium nach Berlin, das hatte ich in der
Oberstufe entschieden, auch, weil ich den ganzen Öffnungsprozess in
Osteuropa so interessant fand.
Würden Sie gern woanders wohnen?
Ich habe immer behauptet, ich könnte überall wohnen, aber das habe ich
inzwischen als Lebenslüge enttarnt. Ich wohne so lange in Berlin, ich kenne
die Stadt, lebe gern hier. Meine Freunde wohnen hier, mein Bruder und seine
Familie …
Wo arbeiten Sie?
Ich arbeite an einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut, eine knappe
Stunde mit dem Zug von Berlin entfernt. Dieses Institut ist selbstständig,
hat ein eigenes Budget und eine eigene Rechtsform. Die Infrastruktur, also
das Haus, die Verwaltung und die Leitung werden vom Land finanziert, die
Wissenschaftler finanzieren sich über Drittmittelprojekte, das Geld dafür
kommt vor allem vom Bund.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Ich habe Geschichte und Germanistik studiert. Obwohl ich auf Lehramt
studiert habe, bekam ich bald mehr Lust aufs wissenschaftliche Arbeiten.
Was auch daran lag, dass ich während des Studiums als studentische
Hilfskraft für einen Professor gearbeitet habe. Ich habe meinen ersten
Aufsatz geschrieben, einen Sammelband herausgegeben, war auf Tagungen, kam
immer mehr in den Wissenschaftsbetrieb hinein. Nach meinem Examen hatte ich
erst ein Promotionsprojekt, dessen Finanzierung sich zerschlug. Nach einer
Zeit der prekären Beschäftigung, in der ich unter anderem Werbebroschüren
Korrektur gelesen habe, bewarb ich mich um ein Promotionsstipendium bei
einem Begabtenförderungswerk, das ich auch bekam. In den drei Jahren wurde
ich aber nicht fertig. Ich habe mit prekären Sachen weitergemacht und
nebenher versucht, die Promotion zu beenden. Das war unter diesen Umständen
sehr schwierig. Der Zug der Professur, sollte er mir je offen gestanden
haben, war da für mich aber schon abgefahren.
Und wie kamen Sie zu Ihrem jetzigen Job?
Ich habe mit einem Freund und Kollegen, der da schon arbeitete, ein Projekt
ausgearbeitet, das hat er über das Institut bei einer Ausschreibung
eingereicht. Als das bewilligt wurde und das Geld kam, sagten sie: Du bist
zwar fachfremd, aber da du das Geld mit eingeworben hast, stellen wir dich
trotzdem ein, für drei Jahre, also die Laufzeit des Projekts. Nach zwei
Jahren stellten wir dem Geldgeber erste Ergebnisse vor. Der fand alles sehr
interessant und legte uns wunderbarerweise nahe, ein Nachfolgeprojekt
auszuarbeiten. Das war im Dezember 2010. Am 1. August wurden unsere
Verträge um weitere drei Jahre verlängert. Es ist trotzdem eine sehr
unsichere Sache, mit der aber momentan sehr viele im Wissenschaftsbetrieb
zu kämpfen haben.
Empfinden Sie das als problematisch?
Im Vergleich zu anderen sind wir mit unserer Laufzeit sogar noch sehr gut
dran, denn es gibt durchaus Projekte, die nur ein paar Monate laufen. Eine
unbefristete Stelle kann es unter den derzeitigen Umständen bei uns nicht
geben. Im besten Fall kommt nach meinem jetzigen Projekt ein neues Projekt,
meine Kollegen und ich arbeiten daran.
Würden Sie gern in einer anderen Form arbeiten?
Ich würde nichts anderes arbeiten wollen, mir gefallen die Themen, auch
weil ich jetzt die Formen erforsche, in denen ich früher selbst studiert
und gearbeitet habe. Jedes Partygespräch mit Wissenschaftlern wird zur
Feldforschung, was ich ganz charmant finde.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Ich arbeite in einem großen, gut ausgestatteten Büro im Institut.
Wissenschaft verlangt flexible Arbeitszeiten: Wir sind häufig unterwegs bei
den Einrichtungen, die wir beforschen, wir machen Interviews, sind auf
Tagungen und Konferenzen, tragen unsere Ergebnisse vor oder sind zur
Recherche in Bibliotheken. Für längere Texte sitzen wir auch mal einige
Tage am Stück zu Hause am Schreibtisch.
Welche Tätigkeiten verrichten Sie?
Wir, also die Kollegen und ich in unserem Projekt, forschen zur
akademischen Lehre. Wir wollen wissen, wer lehrt, also welche
Personalgruppen, und unter welchen Bedingungen sie das tun. Wir kooperieren
dafür mit Hochschulen. Die Daten sind nicht so zentral vorhanden, wie man
meinen sollte. Es ist eigentlich ein schwarzes Loch. Wenn die Hochschulen
an einer Zusammenarbeit interessiert sind, fahren wir hin, treffen
Verantwortliche aus der Leitung und der Verwaltung. Wir versuchen,
verlässliche Daten zu erheben und zu beschreiben, wer tatsächlich wie viel
lehrt. Im qualitativen Teil schauen wir uns Lehrveranstaltungen an,
sprechen mit den Lehrenden über ihre Arbeit, den Aufwand für die Vor- und
Nachbereitung, die Betreuung von Studierenden und so fort.
Ist Ihre Arbeit körperlich oder geistig anstrengend?
Die Arbeit ist manchmal anstrengend, wenn etwa irgendwelche Deadlines
drohen. Ich fühle mich abends manchmal erschöpft und weiß nicht so recht,
warum. Wahrscheinlich liegt es daran, dass man sich oft fragt, ob man genug
geschafft hat.
Was mögen Sie an Ihrer Arbeit?
Ich mag es, zu forschen und zu publizieren. Ich finde es außerdem gut,
Projekte selbst zu entwickeln und die Mittel dafür zu akquirieren, weil man
ein Stück weit das Gefühl hat, nicht nur von irgendwelchen
Haushaltsentscheidungen abhängig, sondern quasi Herr des Verfahrens zu
sein. Das ist natürlich zum Teil eine gefährliche Illusion, weil so ein
Ding auch immer scheitern kann. Ohne dass das an der Qualität deines
Projekts liegen muss, sondern an den Umständen.
Was mögen Sie nicht?
Dass mein Vertrag befristet ist, belastet mich. Unbefristete
Arbeitsverhältnisse sind im Wissenschaftsbetrieb selten geworden, sie sind
außerhalb der Professur eigentlich gar nicht vorgesehen. Und selbst da
würden einige Verantwortliche sie am liebsten abschaffen, die Entfristung
hat im Wissenschaftsbetrieb einen schlechten Ruf bekommen. Häufig heißt es,
man strecke sofort alle viere von sich, sobald man eine solche Stelle habe.
Aber es ist nicht so, dass nur hungrige Wölfe beißen. Ohne Existenzängste
ist der Kopf freier. Ich nenne mal ein paar Beispiele: In einigen Fächern
leisten Lehrbeauftragten einen großen Teil der Lehre: Einige von denen
nehmen aber bis zu fünf Lehraufträge im Semester an, mitunter an
verschiedenen Hochschulen, und kriegen pro Auftrag und Semester vielleicht
800 bis 1.200 Euro, von denen sie sich noch sozialversichern müssen. Das
ist ein Skandal. Ich kenne auch eine Professorin, die hat bis zur Berufung
23 Beschäftigungsverhältnisse gehabt: Stipendien, halbe Stellen, hier mal
gestückelt, da mal eine kurze Phase der Arbeitslosigkeit. Bei dieser Frau
gab es noch ein Happy End im System. Aber viele im Wissenschaftsbetrieb
stecken da drin wie in einem Hamsterrad, hangeln sich von Befristung zu
Befristung und müssen schon ab der Hälfte des Projekts gucken, dass der
nächste Antrag geschrieben wird. Und haben immer im Hinterkopf, dass jetzt
die letzte Chance sein könnte, auszusteigen und in den freien Arbeitsmarkt
zu springen. Jenseits der vierzig wird das immer schwieriger. Das gilt auch
für mich, allerdings scheint es mir in meinem Bereich weniger schwierig als
in anderen. Ich kenne einige, die aus der Wissenschaft in die Verwaltung an
Hochschulen oder auch zu Wissenschaftsorganisationen gewechselt sind. Das
wäre eine Alternative. Uninteressant ist die Arbeit nicht, und diese
Stellen werden sogar häufig nach einigen Jahren entfristet.
Wo stehen Sie in der Unternehmenshierarchie?
Es gibt eine Leitung, einen Direktor, eine Geschäftsführung, dann kommen
die promovierten „Senior Scientists“ – also solche wie mich – und die
„Junior Scientists“, die noch nicht promoviert sind. Und dann ab und an
Hilfskräfte, die uns zuarbeiten. Im Projektteam selbst sind fast keine
Hierarchien spürbar.
Wer kontrolliert Sie?
Formal natürlich die Leitung, aber was die Inhalte der Arbeit betrifft,
letztlich niemand. Wir präsentieren Ergebnisse, die werden von der
sogenannten Scientific Community bewertet, aufgenommen, kritisiert oder
verworfen.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit ausreichend wertgeschätzt wird?
Ja, klar. Es gibt sogar ein gewisses gesellschaftliches Interesse an den
Ergebnissen, nicht, dass das für Wissenschaft unbedingt notwendig ist,
schön ist es aber doch. Meine Eltern sind zufrieden, dass ich überhaupt
einen Job habe. Freunde, die den Wissenschaftsbetrieb kennen, finden, dass
es mir noch vergleichsweise gut geht.
Wie viele Stunden am Tag arbeiten Sie?
Wir haben eine 39,5-Stunden-Woche, aber ich arbeite wahrscheinlich mehr.
Die Abgrenzung von Arbeit und Leben findet nicht statt. Aber das ist eine
Sache, die ich an der Wissenschaft durchaus schätze.
Wie viel bekommen Sie pro Stunde oder Monat bezahlt?
Mein Arbeitgeber zahlt nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst,
das sind 2.256,36 Euro netto im Monat.
Fühlen Sie sich angemessen bezahlt?
Ja, schon, was immer auch genau angemessen heißen mag. Vielleicht vermisse
ich ein höheres Einkommen auch weniger als andere, weil ich lange studiert
und bescheiden gelebt habe. Manchmal bin ich überrascht, was man zum
Beispiel in Bereichen verdient, die mal ein ähnliches Gehaltsschema hatten,
bei ehemals öffentlichen Betrieben oder Energiebetrieben zum Beispiel. Ich
weiß auch, was meine Klassenkameraden heute verdienen, die nach dem Abi
Maschinenbau studiert haben. Die hatten schon Ende der Neunzigerjahre
Jahresgehälter von 120.000 Mark. Im Vergleich dazu stagnieren die Gehälter
im Wissenschaftsbetrieb oder sind zurückgegangen. Man kommt im Laufe der
Jahre schon immer mehr darauf, dass man vielleicht ein ruhigeres Leben in
einem anderen Beruf hätte haben können, in dem man weniger über Geld
nachdenken muss. Weil man es einfach hat.
Mit wem konkurrieren Sie?
Im Institut mit niemandem. Unser Institut konkurriert allerdings mit
weiteren, die zu ähnlichen Themen forschen. Das heißt, es gibt eine
Konkurrenz bei Ausschreibungen.
Mit wem kooperieren Sie?
Mit meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut und bei Bedarf mit den
Institutionen, die wir untersuchen.
Was tun Sie, um Ihre materielle Situation zu verbessern?
Ich engagiere mich in der Gewerkschaft und kämpfe seit Jahren auf
verschiedenen Ebenen für Verbesserungen im Wissenschaftsbereich. Was hier
allerdings das Streiken angeht: Wissenschaftler könnten Monate streiken,
niemand würde es merken. Andererseits sind es in meinem engeren Umfeld
überraschend viele, die sich in der Gewerkschaft engagieren. Wenn wir
diesen Organisationsgrad überall im Hochschul- und Wissenschaftsbereich
hätten, wäre mehr möglich.
Wie viele Pausen und Überstunden machen Sie?
Nach Gusto. Ich empfinde das trotz allem als Privileg, die freie
Zeiteinteilung, auch wenn die Überstunden nicht bezahlt sind.
Wie viel Urlaub haben Sie?
30 Tage.
Sind Arbeit und Freizeit klar getrennt?
Wenn ich diszipliniert wäre und fokussiert am Arbeitsplatz arbeiten würde,
hätte ich vielleicht nach acht Stunden nichts mehr zu tun. Ich kann das
allerdings nicht, und es geht auch häufig nicht.
Welche Aufgaben haben Sie außer der Arbeit?
Ich habe zusätzlich einen Lehrauftrag an einer Berliner Uni in dem Fach, in
dem ich promoviert habe. Das ist nett, es macht Spaß, ich kann es mir
erlauben, weil es erst abends um 18 Uhr ist. Davon leben könnte ich nicht,
aber ich finde ich es außerdem sinnvoll, in einem Feld praktisch unterwegs
zu sein, das ich ansonsten erforsche.
Was würden Sie gern machen, was Sie sich aus zeitlichen Gründen nicht
leisten können?
Da fällt mir nichts ein.
Wie viel Geld haben Sie im Monat zu Verfügung?
Ich zahle 700 Euro Miete inklusive Strom und Telefon, außerdem 300 Euro für
mein Büro in Berlin. Ich habe ein Büro zum Arbeiten außerhalb der Wohnung,
das hatte ich schon vor meiner Stelle, und das behalte ich, zumindest so
lange, wie meine Stelle befristet ist. Ich habe kein Auto, allerdings
Zugfahrtkosten. Bleiben etwa 1.000 Euro.
Wer lebt von diesem Geld?
Ich.
Wofür geben Sie das Geld aus?
Vor allem fürs tägliche Leben, ich gehe häufiger weg, aber eigentlich vor
allem in preiswerte Kneipen, ab und an ins Kino, mal in ein Konzert oder
ein Theater, ich kaufe Bücher, Musik, DVDs.
Wie viel Geld bräuchten Sie, um gut über die Runden zu kommen?
Das, was ich habe, reicht gut.
Haben Sie Rücklagen?
Ja. Ich habe sogar einen Riester-Rentenvertrag. Wahrscheinlich aus
Aberglaube, denn eigentlich glaube ich nicht an eine kapitalgedeckte
Altersversicherung.
Sparen Sie Geld?
Ja, für ein neues Fahrrad.
Reden Sie mit Freunden über Geld?
Ich rede für mein Leben gern mit Freunden über Geld, aber ich fürchte,
meine Leidenschaft wird nicht unbedingt geteilt. Da, wo ich herkomme, wird
eigentlich nicht über Geld gesprochen, das scheint mir eher typisch für
breite Kreise hierzulande. Ich finde es dumm, es nicht zu tun, denn das,
was man da bespricht, ist selten ein Ausweis von besonderer Leistung,
sondern eine Beschreibung von sozialen Realitäten.
Wer leiht Ihnen Geld, wenn Sie welches brauchen?
Mein Bruder und mein Vater.
Was hätten Sie gern, was Sie sich aus finanziellen Gründen nicht leisten
können?
Nichts.
Wo und wie wohnen Sie?
Im Schillerkiez in Neukölln. Die Wohnung ist 75 Quadratmeter groß.
Möchten Sie gern woanders oder anders wohnen?
Nein.
Wer macht den Haushalt?
Ich.
Haben Sie Kinder?
Nein.
Hätten Sie gern welche?
Ja.
Haben Sie das Gefühl, dass es gut möglich ist, Familie und Beruf zu
vereinbaren?
Das Arbeiten als Wissenschaftler ist oft unsicher und bietet daher wenig
sichere Perspektiven. Man wird keine Häuser bauen und eher Probleme haben,
finanziell einigermaßen abgesichert Familienplanung zu betreiben. Meine
Beziehung ist vor einigen Jahren gescheitert. Dafür gibt es natürlich immer
viele Gründe, und ich möchte es auch nicht allein aufs Materielle schieben,
aber wir wohnten zu zweit in anderthalb Zimmern, haben beide ziemlich
prekär promoviert. Wenn man Geld hat und eine große Wohnung, dann gibt es
noch genügend andere Gründe, sich zu trennen, aber man hat ein paar
existenzielle Probleme weniger.
Wie viel schlafen Sie?
Ich schlafe gut und genug.
Wann waren Sie zuletzt krank?
Ich bin selten krank, hatte allerdings letztes Jahr einen Hexenschuss.
Rückenschmerz ist die Berufskrankheit der Schreibtischarbeiter.
Wer kümmert sich um Sie, wenn Sie krank sind?
Wenn ich ernsthaft krank wäre, würden sich Freunde kümmern, hoffe ich. Es
wäre wirklich nicht witzig, wenn ich ernsthaft krank würde. Dieses
befristete Leben würde jedenfalls nicht mehr funktionieren.
Fühlen Sie sich gestresst?
Mitunter.
Was macht Sie krank?
Die Unsicherheit, ob es nach dem Ende eines Projekts weitergeht.
Haben Sie Angst vor Arbeitslosigkeit?
Nein. Arbeit ist ja kein Wert an sich. Aber das fehlende Einkommen würde
mich schon ängstigen.
Machen Sie sich Gedanken über Ihren Lebenslauf?
Ja, natürlich. Aber nur etwas zu machen, um ihn auf irgendein Ziel hin zu
optimieren, das scheint mir eher fragwürdig. Ich bin schon bereit, mich auf
bestimmte, konkrete Umstände einzulassen, aber doch nicht auf Verdacht im
Hinblick auf vermeintliche Anforderungsprofile. Wenn, dann will ich schon
authentisch scheitern. Nur etwas aus strategischen Überlegungen zu machen
und dann damit noch zu scheitern, das wäre mir zu blöd.
Können Sie sich vorstellen, nicht für Lohn zu arbeiten?
Ja, aber ich würde die Sachen, die ich jetzt mache, auch zu anderen
Bedingungen machen. Sonst würde ich mich langweilen.
Wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, wie hoch müsste es Ihrer
Meinung nach sein?
Das hängt ab von den allgemeinen gesellschaftlichen Umständen. Es sollte
ein gutes Leben ermöglichen, das wäre der Maßstab.
Wie würden Sie die soziale Schicht bezeichnen, aus der Sie stammen?
Weltoffenes Kleinbürgertum oder auch aufstiegsorientiertes
Angestelltenmilieu.
Haben Sie schon mal Diskriminierung erfahren?
Ich würde es nicht Diskriminierung nennen, da haben andere viel
Gravierenderes auszustehen. Aber Benachteiligung, die sich aus ungleicher
Ausstattung mit materiellem und kulturellem Kapital ergibt, durchaus. Ich
habe das jahrelang nicht wahrgenommen, aber das gibt es trotzdem, ganz
klar, auch in der Wissenschaft. Andererseits ist in der Wissenschaft der
Weg so steinig, dass auch die, die aus den richtigen Elternhäusern stammen,
noch ganz schön beißen müssen, um durchzukommen.
Wo in der Gesellschaft sehen Sie sich jetzt?
Prekär beschäftigte Mittelschicht mit realer Abstiegsoption.
Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?
Wenn alles gut läuft, befinde ich mich in der Mitte der Gesellschaft. Wenn
nicht, dann ist das nicht so gut, für mich oder auch für die Gesellschaft,
das wird sich herausstellen. Ich hänge aber nicht an dieser ominösen Mitte.
Ich möchte kein schlechtes Leben haben und noch über Handlungsoptionen
verfügen, egal ob ich nun in der Mitte oder am Rand lebe. Dass dies am Rand
kaum möglich ist, ist der Skandal. Das muss sich ändern.
Wovon hängt es ab, wo Sie sich dann befinden werden?
In Bezug auf den Beruf des Wissenschaftlers liegt es vor allem an der
Frage, wie eine Gesellschaft ihre Wissenschaft ausstatten will, finanziell
und auch strukturell. In sehr vielen anderen Ländern wird im
Hochschulsystem sehr viel früher entfristet. Dadurch wird der Berufsweg
nicht unbedingt einfacher, aber doch kalkulierbarer. Es ist also eigentlich
eine Frage der Politik.
29 Aug 2012
## AUTOREN
Susanne Messmer
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