# taz.de -- TAZ-SERIE (ÜBER)LEBEN IN BERLIN (TEIL 5): "Es gibt keine Pausen" | |
> Frank L. ist Erzieher in einer Kita. Er liebt seine Arbeit und seinen | |
> Arbeitsplatz - abgesehen vom Lärm. Wegen eines Burnouts muss er | |
> allerdings kürzertreten. Die Folge: Er verdient zu wenig zum Überleben. | |
taz: Wie heißen Sie? | |
Das will ich nicht sagen. Nennen Sie mich Frank L. | |
Seit wann leben Sie in Berlin? | |
Seit meiner Geburt. | |
Würden Sie gern woanders wohnen? | |
Ich habe es öfter versucht, mal rauszukommen ins Umland, ins Grüne oder | |
einfach weg. Es ist mir aber nie länger als ein paar Wochen gelungen. | |
Berlin ist mein Lebensmittelpunkt, daran wird sich wohl nichts ändern. Als | |
Stadt ist Berlin schon okay. | |
Wo arbeiten Sie? | |
Ich arbeite als Erzieher in einer Kita. | |
Haben Sie mehr als einen Job? | |
Ich gebe nebenher Klarinettenunterricht. | |
Wie kamen Sie zu Ihrem Job? | |
Nach der Schule habe ich mich als Elektroniker ausbilden lassen. Aber das | |
war in der DDR. Wir hatten also nichts zu tun. Wir saßen herum, haben uns | |
auf der Wiese gesonnt oder auf dem Klavier im Speisesaal gespielt. Nach der | |
Lehre wurden wir am Fließband eingesetzt. Das habe ich ein halbes Jahr | |
mitgemacht und dann aufgehört. Danach habe ich alles Mögliche gemacht. Ich | |
habe viel bei der Post gearbeitet oder auf dem Weihnachtsmarkt. Im Sommer | |
war ich oft frei unterwegs, bin ich nach Bulgarien oder Rumänien getrampt. | |
Wenn ich dann wieder nach Hause gekommen bin, also nach drei Monaten oder | |
so, dann war da oft ein Zettel im Briefkasten, ob ich nicht mal wieder | |
meine Miete zahlen will. Damals ging es ungefähr um 45 DDR-Mark im Monat. | |
Dann habe ich wieder ein Wochenende gearbeitet, meine Miete bezahlt, und es | |
war auch noch genug Geld für Bier übrig. So etwas gibt es heute gar nicht | |
mehr. | |
Welche Qualifikation haben Sie für Ihren jetzigen Job? | |
Dann kam erst einmal die Wende. Erst wusste ich nicht, was ich machen | |
sollte, habe dann aber doch meine Erzieherausbildung gemacht und dafür auch | |
noch Bafög bekommen. Später habe ich mich noch zum Erzieher für Musik | |
ausbilden lassen. Das hat 1.500 Euro gekostet, die ich selbst aufbringen | |
musste. Hinzu kamen ein Fernstudium Musiktheorie und kleine Fortbildungen. | |
Dann habe ich zehn Jahre lang an einer Schule mit behinderten Kindern als | |
Erzieher gearbeitet. Danach gründete ich einen Kinderladen. Da habe ich | |
leider nicht lang gearbeitet: Ich bin über längere Zeit erst um 3 oder 4 | |
ins Bett gegangen, weil das sehr viel Arbeit ist, ich aber auch | |
alleinerziehender Vater bin. Also knallte es irgendwann. Ich hatte einen | |
Zusammenbruch. | |
Würden Sie gern eine andere Arbeit machen? | |
Nach meinem Burnout und einer Belastungserprobung konnte ich mir nicht | |
vorstellen, dass ich je wieder als Erzieher arbeite. Ich wollte wieder als | |
Briefträger arbeiten, denn als Briefträger habe ich mich immer ganz | |
wohlgefühlt. Aber dann bekam ich im Jobcenter einen neuen Sachbearbeiter, | |
der für mich zuständig war und meinte, ich müsste mich wieder bewerben. | |
Dann habe ich zu ihm gesagt: „Na, sagen Sie mal, kennen Sie nicht meine | |
Geschichte?“ Ich habe ja auch Befunde, die besagen, dass ich | |
Einschränkungen habe und so. Das hatte der alles gar nicht gelesen. Dann | |
habe ich mich eben per Computer beworben. Und war ganz erschrocken, dass | |
ich sofort von einer Kita eine Antwort bekommen habe. Als ich da angefangen | |
habe, bin ich sehr positiv und herzlich aufgenommen worden. Eigentlich so, | |
wie ich es brauche. Seitdem arbeite ich da. | |
Würden Sie gern einen anderen Job machen? | |
Nein, jetzt nicht mehr. | |
Würden Sie gern in einer anderen Form arbeiten? | |
Ich würde gern langsam wieder mehr arbeiten, will aber erst einmal sehen, | |
wie sich alles entwickelt und ob ich mich in ein paar Monaten auch noch | |
wohlfühle. | |
Haben Sie einen Arbeitsvertrag? | |
Ich habe einen befristeten Arbeitsvertrag bis Ende des Jahres. Aber das ist | |
kein Problem: Ich denke, die würden ihn entfristen, wenn ich das wollen | |
würde. | |
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? | |
An zwei Tagen pro Woche mache ich mit den Kindern Musik. Am dritten Tag | |
mache ich beim Ausflugstag mit. Die anderen Stunden verteilen sich nach | |
Bedarf. | |
Welche Tätigkeiten verrichten Sie? | |
Wenn ich in der Kita bin, mache ich alles, was alle anderen auch machen: | |
vom Broteschmieren übers Basteln, Vorlesen und Trösten bis zur Hilfe beim | |
Toilettengang. | |
Ist Ihre Arbeit körperlich oder geistig anstrengend? | |
Ja, allerdings. Für mich ist das Schlimmste der Krach. Ich habe 30 Prozent | |
Hörschädigung, weil ich bei meinem Zusammenbruch auch einen Tinnitus hatte. | |
Fühlen Sie sich nach der Arbeit erschöpft? | |
Ja, aber eher auf eine gute Art. | |
Fühlen Sie sich manchmal überfordert? | |
Im Moment nicht. Falls ich Probleme mit der Arbeit habe, könnte ich mich | |
jederzeit vom Integrationsfachdienst beraten lassen. | |
Was mögen Sie an Ihrer Arbeit? | |
Ich mag es, wenn ich meine Ideen einbringen kann. Die kreative Arbeit. Dass | |
ich ein Stück selbst Kind sein kann und den Kindern meine Freude an der | |
Musik, am Zeichnen, am Theater vermitteln kann. | |
Was mögen Sie nicht? | |
Den Lärm. | |
Wo in der Hierarchie im Unternehmen stehen Sie? | |
Ich empfinde keine Hierarchien. Wir arbeiten alle auf Augenhöhe zusammen. | |
Wer kontrolliert Sie? | |
Eigentlich kontrolliere ich mich selbst. Bei uns macht jeder mal den | |
Dienstplan und trägt sich da selbst ein. Die Eltern haben auch einen Blick | |
in die Arbeit und stellen Fragen. | |
Was würde passieren, wenn Sie Fehler machen würden? | |
Fehler macht man immer mal. Es kommt drauf an, wie groß sie sind. Bei Rot | |
sollte man die Kinder nicht über die Straße laufen lassen – wenn da was | |
passiert, das wäre unverzeihlich. Über alles andere kann man reden. | |
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit ausreichend wertgeschätzt wird? | |
Ja. Mein Umfeld hat das Gefühl, dass ich mich wohlfühle, also sind alle | |
zufrieden. Aber es schleicht sich eine Gewöhnung ein, ich bekomme weniger | |
Rückmeldung als noch vor einem halben Jahr, als ich allmählich in der Kita | |
angekommen bin. | |
Wie viel bekommen Sie pro Stunde oder Monat bezahlt? | |
Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht so genau, aber ich glaube, es sind | |
ungefähr 700 Euro netto im Monat. Das wird im Jobcenter aufgerechnet, | |
sodass ich im Monat 1.100 Euro habe. Ich muss 18 Stunden arbeiten, damit | |
ich vom Integrationsfachdienst betreut werde. Mit weniger Stunden würde ich | |
aus diesem System herausfallen. Es bringt mir aber nichts, wenn ich 18 | |
Stunden arbeite, denn das wird mir sofort vom Jobcenter verrechnet. Deshalb | |
habe ich das mit der Kita anders geregelt: Die bezahlen mir offiziell nur | |
15 Stunden. Wenn ich mir privat etwas kaufe, ein Gerät oder so, dann rechne | |
ich das über die Kita ab. So habe ich finanziell auch etwas davon. | |
Fühlen Sie sich angemessen bezahlt? | |
Als ich in der Schule mit behinderten Kindern gearbeitet habe, hatte ich | |
1.500 Euro netto. Das fand ich angemessen, denn es war eine schwere Arbeit. | |
Wenn ich jetzt voll arbeiten würde, hätte ich weniger. Das fände ich bei | |
den Anforderungen, die mein Beruf mit sich bringt, nicht angemessen. | |
Mit wem konkurrieren Sie? | |
Mit niemandem. | |
Mit wem kooperieren Sie? | |
Mit allen im Erzieherteam und mit den Eltern. | |
Was tun Sie, um Ihre materielle Situation zu verbessern? | |
Ich bin eingetragenes Mitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und | |
Wissenschaft (GEW), aber ich engagiere mich nicht wirklich. Ich glaube an | |
das ganze System nicht. Das funktioniert von vorn bis hinten nicht. | |
Haben Sie schon einmal gestreikt? | |
Nein, denn das würde zulasten der Kinder und Eltern gehen. | |
Wie viele Pausen und Überstunden machen Sie? | |
Es gibt keine Pausen. Man kann mal zehn Minuten raus, wenn es sein muss. | |
Hin und wieder machen wir Überstunden, die wir dann abbummeln. | |
Arbeiten Sie am Wochenende oder nachts? | |
Ja, aber ich rechne meine Nach- und Vorbereitungszeit nicht zu den | |
offiziellen Arbeitsstunden. Das ist nicht richtig. Da sitze ich dann schon | |
oft noch abends dran. Im Moment mache ich zum Beispiel eine Foto-CD für | |
alle Eltern. Das ist endlos viel Arbeit. | |
Wie viel Urlaub haben Sie? | |
31 Tage. | |
Sind Arbeit und Freizeit klar getrennt? | |
Nein, für Vor-und Nachbereitung reicht die Zeit nicht aus, das mache ich | |
von zu Hause aus, manchmal bis tief in die Nacht. | |
Welche anderen Aufgaben oder Jobs haben Sie außer der Arbeit? | |
Ich bin alleinerziehender Vater. | |
Wie viele Stunden am Tag haben Sie wirklich frei? | |
Frei bin ich auf dem Zeltplatz in Brandenburg, wo ich einen alten Wohnwagen | |
stehen habe. In Berlin habe ich eigentlich immer irgendwelche | |
Verpflichtungen: sei es für mein Sohn, die Arbeit oder Sachen, die ich | |
erledigen muss. | |
Was würden Sie gern machen, was Sie sich aus zeitlichen Gründen nicht | |
leisten können? | |
Ich würde gern mehr Zeit auf dem Zeltplatz verbringen. Allerdings bin ich | |
zurzeit sehr gern in der Kita und zu Hause. | |
Wie viel Geld haben Sie im Monat zu Verfügung? | |
Ich zahle zum Glück nur 440 Euro Miete. Bleiben 660 Euro, von denen noch | |
Strom und Telefon abgehen. Also 560 Euro. Dazu kommt ein bisschen | |
Taschengeld vom Klarinettenunterricht. | |
Wer lebt von diesem Geld? | |
Mein Sohn und ich. | |
Wofür geben Sie das Geld aus? | |
Dieses Jahr ist mein Sohn dreimal gewachsen; ich musste ihn dreimal neu | |
einkleiden. Ich will nicht, dass er auf irgendwas verzichten muss. Das, was | |
ich im Klarinettenunterricht verdiene, 30 Euro in der Woche, das ist mein | |
Taschengeld. Das darf ich verplempern. | |
Wie viel Geld bräuchten Sie, um gut über die Runden zu kommen? | |
1.500 netto. | |
Haben Sie Rücklagen? | |
Ich hatte mal was. Das Geld fehlt mir jetzt. | |
Sparen Sie Geld? | |
Nein. Aber mein Sohn hat ein Sparbuch, auf das ich zurückgreifen kann, wenn | |
irgendwas ist. Das gebe ich ihm dann irgendwann zurück. | |
Reden Sie mit Freunden über Geld? | |
Bei uns auf dem Zeltplatz ist das ein Thema, weil viele so ähnlich leben | |
wie ich. | |
Wer leiht Ihnen Geld, wenn Sie welches brauchen? | |
Meine Eltern und meine Schwester unterstützen mich, gerade wenn es um | |
meinen Sohn geht. Sie zahlten die Jugendweihe, manchmal gehen wir essen. | |
Was hätten Sie gern, was Sie sich nicht leisten können? | |
Ich würde gern mit meinem Sohn nach Kenia reisen zu seiner kranken Oma. Das | |
ist nicht möglich. | |
Wo wohnen Sie und mit wem? | |
In Friedrichshain, mit meinem Sohn. | |
Wer macht den Haushalt? | |
Ich. Mein Sohn hilft mir dabei. | |
Wie viel Platz haben Sie? | |
Ich habe zweieinhalb Zimmer, das ist völlig ausreichend. | |
Wie viele Kinder haben Sie? | |
Ich habe zwei Kinder. Mein erster Sohn ist bei seiner Mutter aufgewachsen. | |
Meinen zweiten Sohn habe ich mit einer anderen Frau bekommen. Sie ist in | |
den Neunzigern aus Kenia nach Deutschland gekommen. Als wir uns trennten, | |
wollte sie, dass ich unseren Sohn nehme, weil sie nur als Kellnerin | |
arbeiten konnte. | |
Wie viel Zeit verbringen Sie mit ihren Kindern? | |
Ich hatte für meinen zweiten Sohn viel Zeit. Das Verhältnis zu meinem | |
ersten Sohn ist schwieriger, weil ich jahrelang eingeschränkten Umgang mit | |
ihm hatte. | |
Haben Sie das Gefühl, es ist gut möglich, Familie und Beruf zu vereinbaren? | |
Am Anfang, als ich noch in der Schule gearbeitet habe, war es ideal. Ich | |
hatte ja einen Vollzeit-Arbeitsvertrag. Aber die Kinder kamen erst um 9 mit | |
dem Schultaxi und wurden um 14 Uhr wieder abgeholt. Dann gab es noch die | |
Ferien, in denen ich oft inoffiziell freihatte. Danach habe ich den | |
Kinderladen gegründet, und Familie und Beruf ließen sich nicht mehr so gut | |
vereinbaren. | |
Wie viel schlafen Sie? | |
Jetzt habe ich keine Schlafprobleme. Aber es gab schon Zeiten, in denen ich | |
über lange Zeiträume kaum geschlafen habe. | |
Wann genau waren Sie krank? | |
Das fing vor sechs Jahren an. Da war ich dann auch immer mal wieder über | |
drei Monate in der Tagesklinik. Die Diagnose lautete: Burn-out, | |
Belastungsstörungen, chronische Rückenschmerzen und Tinnitus. | |
Können Sie sich freinehmen, bis Sie sich gesund fühlen? | |
Ja, jetzt schon. Aber es ist nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt | |
habe. Es gab die lockere Absprache, dass ich jederzeit sagen kann, wenn was | |
ist, und ein paar Tage freinehmen kann. | |
Wer übernimmt Ihre Aufgaben, wenn Sie krank sind? | |
In der Kita: das Team. | |
Fühlen Sie sich gestresst? | |
Kommt drauf an. Wenn wir einen schönen Tag hatten, bin ich sehr zufrieden. | |
Ich komme öfter noch mit zum Spielplatz, wo die Eltern mit den Kindern | |
hingehen, wenn sie sie abgeholt haben. Früher gab es Tage, an denen sich | |
die Spannung sofort körperlich auswirkte. Das ging so weit, dass ich vor | |
lauter Rückenschmerzen nicht aus dem Bett kam. | |
Was macht Sie krank? | |
Ich bin von der Belastung in meinem Beruf krank geworden in Kombination | |
damit, dass ich meinen zweiten Sohn allein erzogen habe. Ich sage immer den | |
Kita-Eltern, die alleinerziehend sind, dass man das nach einem halben Jahr | |
noch gar nicht einschätzen kann. Die Energie, die man anfangs hat, geht | |
verloren. | |
Waren Sie schon mal arbeitslos? | |
Ja. Acht Monate, bevor ich in meiner Kita angefangen habe. Davor auch immer | |
mal wieder. | |
Haben Sie Angst vor Arbeitslosigkeit? | |
Ich war nach meiner Geschichte ganz froh, zu Hause zu sein und das machen | |
zu können, was ich gern mache. Ich hatte auch das Glück, anfangs beim | |
Jobcenter einen Sachbearbeiter zu haben, mit dem ich mich verstanden habe | |
und der mich in Ruhe gelassen hat. Der konnte meine Situation realistisch | |
einschätzen. Erst als ich den neuen Sachbearbeiter bekam, fiel mir wieder | |
auf, was für ein absurdes System das ist und wie wenig das funktioniert. | |
Machen Sie sich Gedanken über Ihren Lebenslauf? | |
Mir ist natürlich klar, dass ich nicht überall hin passe. Wenn ich so | |
akzeptiert werde, wie ich bin, dann ist alles okay. | |
Finden Sie es in Ordnung, wenn Leute sich entscheiden, nicht zu arbeiten? | |
Ja, klar. Aber ich glaube, dass jeder irgendwas tun will. Arbeit heißt ja | |
nicht, dass man jeden Tag früh aufstehen muss und abends nach Hause kommt. | |
Ein Freund von mir zum Beispiel, der ist 50, war Bauingenieur, und dann hat | |
er eine andere Idee vom Leben bekommen. Also hat er mit Akrobatik | |
angefangen und macht jetzt Rückentraining. Weil das finanziell so unsicher | |
ist, bekommt er Geld vom Jobcenter dazu. Das finde ich völlig in Ordnung, | |
denn er arbeitet sehr viel. | |
Können Sie sich selbst vorstellen, nicht zu arbeiten? | |
Überhaupt nicht zu arbeiten geht nicht. Aber es gibt viel Arbeit, die nicht | |
anerkannt ist als Arbeit. Kindererziehung etwa. | |
Wie würden Sie die Klasse oder Schicht bezeichnen, aus der Sie stammen? | |
Mein Vater war Glasbläser, und meine Mutter hat beim Außenhandel | |
gearbeitet. Sie waren keine richtigen Arbeiter. Heute würden sie vielleicht | |
zur Mittelschicht gehören. | |
Haben Sie Freunde oder Kontakt zu Leuten aus anderen sozialen Schichten? | |
Ja. Das war schon immer so. Über meinen Beruf lerne ich die komischsten | |
Leute kennen. | |
Fühlen Sie sich aus irgendeinem Grund benachteiligt? | |
In manchen Kitas wird man als männlicher Erzieher in eine Ecke gesteckt, | |
auf die ich gar keine Lust habe. Es gibt Kitas, da arbeitet man mit | |
fünfzigjährigen Frauen, und die wollen gleich, dass man mit den Kindern | |
Fußball spielt, damit sie sich über Kochrezepte und den letzten | |
Friseurbesuch unterhalten können. | |
Wo in der Gesellschaft würden Sie sich einordnen? Wo, glauben Sie, werden | |
Sie später mal sein? | |
Ich bin ein Sonderfall und werde es bestimmt auch bleiben. | |
Was macht Ihnen am meisten Sorgen, wenn Sie an die Zukunft denken? | |
Dass ich krank werde und in Abhängigkeit gerate, die ich nicht mehr steuern | |
kann. | |
Wie wünschen Sie sich Ihr Leben und Ihre Arbeit in zehn Jahren? | |
Es wäre schön, wenn ich in zehn Jahren immer noch in der Kita arbeiten | |
könnte und dass ich eine Frau finde, die zu mir passt. | |
Wer oder was entscheidet, ob sich das verwirklichen lässt? | |
Jeder entscheidet selbst, ist für sein Leben verantwortlich, die | |
Gesellschaft und die Politik setzt aber manchmal Prioritäten, da sind dann | |
keine Entscheidung mehr möglich. | |
31 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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