# taz.de -- Krise in Großritannien: Cameron rutscht nach rechts | |
> Großbritanniens Wirtschaft kommt nicht in Gang, Reformen greifen nicht. | |
> Premier Cameron steht unter Druck. Eine Kabinettsumbildung soll neuen | |
> Schwung bringen. | |
Bild: Premierminister David Cameron tauscht einen Teil seiner Regierungnmannsch… | |
LONDON dpa | Großbritanniens Premierminister David Cameron hat sein | |
Kabinett einmal kräftig geschüttelt. Ob er aber wirklich bis in die Tiefen | |
durchgerührt hat, bleibt abzuwarten. Etwa zur Halbzeit seiner ersten | |
Legislaturperiode hat Cameron am Dienstag seine Regierungsmannschaft | |
umgebildet. | |
Dabei hat sich an den Top-Positionen kaum etwas getan, Veränderungen gab es | |
eher auf mittlerer Ebene. Einen Rutsch nach rechts, von wo es zuletzt | |
innerparteilich massiv Kritik gehagelt hatte, attestierten Kommentatoren | |
dem Premier. Cameron will durchgreifen, Entschlossenheit zeigen. Genug zu | |
tun gibt es. | |
Die Wirtschaft stagniert. Im Juli, der wegen hoher Steuereinnahmen | |
normalerweise günstig verläuft, gab es 600 Millionen Pfund Neuverschuldung | |
statt Schuldenabbau. Seit Monaten ist das Land in der Rezession, im zweiten | |
Quartal lag das Minus bei 0,5 Prozent. | |
Mit Reformen und damit meist Kürzungen im Gesundheitssystem, bei der | |
Bildung und Sozialhilfe hat sich die Koalition aus Konservativen und | |
Liberaldemokraten unbeliebt gemacht und war intern in Streit geraten. Aus | |
den eigenen Reihen wurde Cameron mit Blick auf Lösungen für den überfüllten | |
Flughafen Heathrow kürzlich vorgeworfen, er solle endlich zeigen, ob er | |
„eine Maus oder ein Mann“ sei. Der Konservative David Davis forderte in der | |
Times: Eine Schocktherapie ist die einzige Rettung für die Wirtschaft. | |
Doch kaum hörte das Wechsel-Karussell sich am Nachmittag zu drehen auf, da | |
wurden auch schon erste Beschwerden laut. Camerons für seine Direktheit | |
bekannter Parteifreund Boris Johnson, Bürgermeister von London, kritisierte | |
die Absetzung von Transportministerin Justine Greening - bekennende | |
Gegnerin einer dritten Start- und Landebahn in Heathrow. | |
## Verrückter Plan | |
Für Johnson, der den Neubau eines Großflughafens an der Themse-Mündung | |
favorisiert, ein klarer Fall: Cameron wolle den „einfach verrückten“ Plan | |
einer weiteren Bahn doch noch weiterdenken, auch, wenn er damit gegen die | |
Koalitionsvereinbarung verstoßen würde. | |
Vize-Premier und „LibDem“-Chef Nick Clegg blickte am Dienstag denn auch | |
nicht gerade erfreut - obwohl betont wurde, dass die Koalitionspartner | |
vorher über alles gesprochen hätten. Man habe die Verantwortung, | |
Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft anzukurbeln, sagte Clegg auf | |
die Frage nach seiner Meinung zur Kabinettsumbildung. Wie viel | |
Mitspracherecht der kleinere Partner da hatte, ist fraglich. | |
Nachfragen dürfte auch Camerons Entscheidung auslösen, ausgerechnet den | |
einst für den Tory-Parteivorsitz gehandelten und dann in mehrere Krisen | |
geschlitterten Jeremy Hunt zum Gesundheitsminister zu befördern. Zwar hatte | |
er in seiner Funktion als Minister für Kultur, Medien und Sport mit den | |
Olympischen Spielen im Sommer in London eine letztlich überzeugende Arbeit | |
vorgelegt. Vorher war er allerdings in Erklärungsnot geraten, weil kurz vor | |
Beginn der größten Sportveranstaltung der Welt nicht genug Sicherheitsleute | |
da waren und die britische Armee einspringen musste. | |
Als Medienminister waren Hunt deutlich zu enge Kontakte zu Mitarbeitern von | |
Medienmogul Rupert Murdoch nachgesagt worden. Dabei war auch Cameron selber | |
in die Bredouille geraten. So könnte er Hunt mit dem Medienamt betraut | |
haben, obwohl klar war, dass dieser bei einer einst geplanten und | |
mittlerweile auf Eis gelegten Übernahme des Fernsehkonzern BSkyB durch | |
Murdoch nicht unparteiisch gewesen wäre. | |
Eine neue Generation müsse ran, sagte Innenministerin Theresa May, die wie | |
die meisten ihrer Kollegen auf den Topposten verschont geblieben war. Neu | |
oder nicht - die Probleme, die gelöst werden müssen, bleiben erst einmal | |
die alten. | |
5 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Britta Gürke | |
## TAGS | |
Großbritannien | |
Rupert Murdoch | |
Wahlrecht | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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