Introduction
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# taz.de -- Montagsinterview: „Ich habe nicht einmal ein Handy“
> Der Informatiker Raúl Rojas forscht seit fast vierzig Jahren zu
> Künstlicher Intelligenz. Mit seinen Robotern will der FU-Professor die
> Welt behutsam verbessern.
Bild: „Jede Fliege ist intelligenter als unsere Roboter.“
taz: Herr Rojas, Sie entwickeln Roboter, die rechnen und lesen können,
Fußball spielen und sogar Auto fahren. Wer ist intelligenter: Sie oder Ihre
Roboter?
Rañl Rojas: Ich. Jede Fliege ist intelligenter als unsere Roboter.
Eine Fliege kann kein Schach spielen, ein Roboter schon. Wieso ist sie
intelligenter?
Entscheidend ist, wie Sie den Begriff der Intelligenz fassen. Roboter
können schnell rechnen, aber unerwartete Situationen überfordern sie
sofort. Insekten sind hingegen erstaunlich intelligent: Sie können fliegen,
Beute fangen und Höhlen bauen. Mit ihren kleinen Gehirnen leisten sie
Erstaunliches. Für einen Roboter mit Transistoren-Gehirn wäre das
unmöglich. Wir erwarten bei Robotern oft eine Intelligenz, die sie nicht
haben.
Was macht Künstliche Intelligenz aus?
Es gibt viele unterschiedliche Intelligenzen. Viele denken automatisch an
menschliche Intelligenz, aber auch Tiere sind eben intelligent. In meiner
Forschung geht es darum, die Teilaspekte von Intelligenz zu verstehen und
sie auf Roboter zu übertragen. So tasten wir uns nach und nach an die
menschliche Intelligenz heran.
Wie sind Sie zur Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz gekommen?
Ich habe während meines Studiums in Mexiko 1974 am Nationalen
Kernforschungszentrum gearbeitet. Ich war dort zuständig für den
Großrechner. Über diese Arbeit bin ich mit einem Professor in Kontakt
gekommen, der sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt hat. Damals ging
es darum, mithilfe des Computers Symbole für algebraische Ausdrücke zu
entwickeln.
Die Mathematik war der Anfang Ihrer wissenschaftlichen Karriere. Neben der
Informatik haben Sie auch sozialwissenschaftliche Fächer studiert. Sind Sie
Generalist?
Das kann man vielleicht so sagen. Ich habe erst Mathe, Physik und
Volkswirtschaft in Mexiko studiert. Später lernte ich den Politologen Elmar
Altvater in Mexiko City kennen und promovierte bei ihm in Berlin in
Politikwissenschaft. Nebenbei studierte ich Informatik, besuchte
Vorlesungen über Quantenmechanik und war am Lateinamerika-Institut. In
meiner Freizeit lernte ich Sprachen. Schließlich habe ich in Informatik
habilitiert.
Das klingt, als hätten Sie ihr ganzes Leben im Hörsaal verbracht.
Nein, ganz zu Anfang meines Studiums wurde ich durch den Putsch in Chile
1973 politisiert. Einmal demonstrierten wir in Mexiko City und wurden von
der Armee eingekesselt. Die Soldaten waren kurz davor zu schießen. Mexiko
war kein freies Land, es gab keine Demokratie. Ich schloss mich der
Studentenbewegung an, arbeitete für eine Studentenzeitung, kämpfte für
freie Gewerkschaften und organisierte Demonstrationen. Die Tage wollten
damals nicht enden, so viel hatte ich zu tun. Mathe war und ist meine
Leidenschaft, aber ich wollte verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert.
Gibt es ein Gesellschaftsbewusstsein in der Informatik?
In der Informatik geht es meist nur um die Zukunft und Anwendungen, die uns
dorthin bringen. Informatiker sind die einzigen Wissenschaftler, die ich
kenne, die kaum historisches Bewusstsein haben. Die Vergangenheit und die
Fehler der Vergangenheit sind aber bedeutsam, wenn man Technologien der
Zukunft entwickelt. Mein wissenschaftlicher Werdegang ist da eine Chance:
Ich versuche, Technologie und Gesellschaft als Einheit zu begreifen.
Wieso spielen Ihre Roboter dann Fußball? Welchen Sinn kann das für die
Gesellschaft haben?
Diese Roboter waren für uns nur eine Vorstufe zu komplexeren Maschinen. Wir
hatten Ende der 90er Jahre noch nie Roboter gebaut. Fußball hat feste
Regeln, es ist wie ein Labor, in dem man unterschiedliche Abläufe
spielerisch ausprobieren kann. Wir können auch testen, was Robotern schwer
fällt. Für Computer ist das beispielsweise das Sehen. Einem Roboter fällt
es sehr schwer, eine Tasse zu erfassen, sie zu erkennen und einzuordnen.
Das gelingt bislang höchstens über den Abgleich mit Tausenden
eingespeicherten Bildern von Tassen. Aber das ist ein Bildabgleich, keine
Intelligenz. Interessanter und viel schwieriger ist es, Merkmale einer
Tasse zu abstrahieren und dem Roboter so ein abstraktes und allgemeines
Verständnis des Gegenstands zu vermitteln – in etwa so wie Menschen es
haben.
Wann ist eine Maschine intelligent?
Es gibt einen einfachen Test, den sogenannten Turing-Test. Eine Testperson
chattet mit unterschiedlichen Individuen. Wenn die Testperson nicht
unterscheiden kann, welcher der Teilnehmer ein Mensch und welcher die
Maschine ist – dann gilt diese Maschine als intelligent. Dafür muss der
Computer aber in der Lage sein, ein richtiges Gespräch zu führen, müsste
begreifen, worum es geht, und nicht nur eingespeicherte Sätze abspielen.
Das hat noch kein Computer geschafft, und ich rechne auch nicht damit, dass
es einer in den nächsten 100 Jahren schafft. Wir wissen immer noch zu wenig
über menschliche Intelligenz.
Roboter werden auf lange Sicht also nicht lügen, Witze erzählen oder
kreativ sein?
Das ist zurzeit noch utopisch. Lügen ist die höchste Form der Intelligenz:
Beim Lügen muss ich mich in mein Gegenüber versetzen, ich muss seinen
Wissensstand kennen, seine Reaktionen beachten und meine Lüge entsprechend
anpassen. Schon Nietzsche wusste: „Wer nicht lügen kann, weiß nicht, was
Wahrheit ist.“ Auch Kreativität ist eine große Herausforderung: der Roboter
müsste aus seinem konventionellen Rahmen springen und neue Lösungswege
entwickeln. Maschinen sind darauf nicht angelegt.
Wenn die Fußballroboter nur eine Fingerübung waren – woran arbeiten Sie
jetzt?
Wir entwickeln autonome Fahrzeuge, also Autos, die selbst steuern,
beschleunigen und bremsen. Ich bin davon überzeugt, dass Roboter bessere
Fahrer als Menschen werden können. Sie können viel mehr Informationen
erfassen, verarbeiten und dazu untereinander kommunizieren. Ich denke
sogar, dass es in Zukunft verboten sein wird, dass Menschen Auto fahren,
und dass der gesamte Verkehr automatisiert wird. Man wird eher Angst vor
menschlichen Fahrern als vor Robotern haben.
Was ändert sich, wenn die Roboter das Steuer übernehmen?
Wir könnten den Verkehr reduzieren und 90 Prozent der Autos einsparen. Für
die Autoindustrie ist das vielleicht eine Horrorvorstellung. Der
individuelle Verkehr würde durch Roboterautos abgewickelt. Sie wären immer
unterwegs und könnten wie öffentliche Verkehrsmittel genutzt und mit
anderen geteilt werden. Gerade mit Blick auf die Umwelt und aufstrebende
Wirtschaftsnationen wie China oder Indien wäre das wichtig.
Wie lange dauert es noch, bis diese Vision Wirklichkeit wird?
Autonome Fahrzeuge könnten schon in 20 bis 30 Jahren im Straßenverkehr
unterwegs sein. Technisch ist das möglich. Aber auch die soziale Akzeptanz
solcher Roboter spielt eine große Rolle. Vielleicht wollen die Menschen gar
keine Roboterautos, dann wären wir auf dem Holzweg.
Viele Ihrer Entwicklungen sollen Menschen helfen. Sind Sie ein
Weltverbesserer?
Ich wünsche mir, ein Weltverbesserer zu sein. Ich denke, wir sollten die
Welt etwas besser zurücklassen, als wir sie vorgefunden haben. Ich habe
vielleicht 0,00000001 Prozent der Welt oder noch weniger verbessert. Es
gibt andere Bereiche, in denen man die Welt etwas schneller ändern kann,
etwa die Politik.
In der Roboterforschung geht es aber nicht nur darum, zu helfen. Das
Militär ist einer der Hauptgeldgeber: Kampfroboter, Drohnen und
Überwachungssysteme sind der Vorgeschmack auf eine neue Kriegsführung.
Das ist der Fluch der Informatik. Eine Anwendung wird entwickelt – und es
wird immer jemanden geben, der sie als Waffe einsetzt. Beispiele sind die
Gesichts-, und die Spracherkennung. Beide Anwendungen werden zur
Überwachung von Menschen genutzt. Das war nie so gedacht. Ich verweigere
mich dieser Art von Forschung. Ich diskutiere das auch immer mit meinen
Studenten.
In welchen Bereichen neben der militärischen Nutzung werden Roboter sonst
noch eingesetzt?
Viele mobile Roboter arbeiten in der Logistikbranche, beispielsweise in
Häfen. Dort laden sie Container aus. Denkbar wäre auch, dass Roboter in der
Baubranche verstärkt zum Einsatz kommen. Viele Bauarbeiter können mit 50
Jahren wegen Rückenproblemen nicht mehr weiterarbeiten. Schwere Lasten
könnten die Roboter tragen. Auch im Dienstleistungsbereich könnten nach und
nach Roboter eingesetzt werden.
Putzroboter werden ja bereits im Supermarkt verkauft.
Ich habe eine ganze Reihe an Haushaltsrobotern getestet. Ich hatte einen
Staubsauger-Roboter, einen Wächter-Roboter und einen Roboter, der Rasen
gemäht hat. Im Moment sind das noch Spielereien, die nichts taugen: die
Putzroboter haben keine Saugkraft, sind ständig unterwegs und nerven. Ich
brauche sie nicht. Der Haushalt ist eine der wenigen körperlichen
Tätigkeiten, die Uni-Leute wie ich noch machen. Es wäre nicht gut, wenn das
auch noch wegfällt.
Haben Sie denn gar keine Roboter zu Hause?
Ich habe nicht einmal ein Handy.
Wie bitte?
Ich verweigere mich. Ich will nicht Tag und Nacht erreichbar sein. Ich
wünsche mir nicht mehr Beschleunigung, sondern ein langsamere Welt.
Tragen Sie mit Ihrer Forschung nicht gerade zu einer Beschleunigung der
Welt bei?
Leider ja – obwohl ich meine Arbeit eher als Grundlagenforschung begreife.
Für mich geht es darum, menschliche Intelligenz zu verstehen.
Karl Marx hätte die Skepsis gegenüber eine beschleunigten Welt wohl
geteilt. Sie haben über sein Werk „Das Kapital“ promoviert. Es gibt nicht
viel Grund anzunehmen, dass Marx Roboter gemocht hätte.
Er hätte den Einsatz von Robotern sicherlich sehr kritisch gesehen, vor
allem das Tempo, mit dem wir uns auf eine vollständige Automatisierung
zubewegen. Die Menschen werden so aus der Produktion gedrängt und halten
als stille Reservearmee die Löhne niedrig. Die Position der Frühsozialisten
war etwas anders: Sie haben die Mechanisierung und Industrialisierung
zuerst begrüßt. Selbst Friedrich Engels hat einmal einen Aufsatz über die
Toilettenspülung geschrieben und diese Technologie gefeiert. Die Hoffnung
der Frühsozialisten war, dass die Maschinen die Menschen von niederen
Tätigkeiten befreien und dadurch die Klassenunterschiede ausgehebelt
werden.
Wie sollte eine Zukunft mit Robotern denn Ihrer Meinung nach aussehen?
Das ist eine Frage der Politik: Wie schnell wollen wir eine Technologie
einführen? Wie viele Menschen lassen sich durch Roboter ersetzen, wo ist
die Schmerzgrenze? Ich wünsche mir eine behutsame Automatisierung. Wir
führen manche Technologien so schnell ein, dass wir nicht hinterherkommen,
ökonomische und soziale Systeme anzupassen. Mehr Roboter sollten nicht
automatisch eine weitere Beschleunigung unserer Welt bedeuten – aber die
Konkurrenz zwingt den Kapitalismus zu mehr Schnelligkeit und Effizienz.
Wo liegen die Grenzen der Roboter?
Ihr Job als Journalist und mein Job als Akademiker sind relativ sicher.
Soziale Berufe sollten nicht von Robotern erledigt werden. In Japan
experimentieren sie mit Pflege-Robotern. Ich finde die Vorstellung
beängstigend. Die Politik muss darauf achten, dass die Menschen eine
Arbeitsperspektive behalten. Wenn durch die Hilfe von Robotern weniger
Menschen in der Fabrik arbeiten, dann könnten diese dafür in sozialen
Berufen arbeiten. Der Einsatz von Robotern wäre somit eine Chance, die
Gesellschaft menschlicher zu gestalten. Ich befürchte jedoch, dass im real
existierenden Kapitalismus kein Platz dafür bleibt.
9 Sep 2012
## AUTOREN
Laurence Thio
## TAGS
Selbstfahrendes Auto
Musik
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