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# taz.de -- Ästhetik des roten Planeten: Eine Träne auf der Wange des Mars
> Von der Projektionsfläche zur Wahrnehmungsmatrix hat sich der Mars in der
> künstlerischen Rezeption gewandelt. Die Ästhetik hat dabei viele Phasen
> durchlaufen.
Bild: Wie zu Hause: Der Mars, wie ihn die NASA-Sonde sieht.
Wo steht der Mars in der Kunst? Wer sich auf die Suche nach der Ikonografie
des Planeten begibt, trifft stets auf einen geharnischten Gesellen. Von der
nackten Blonden, die sich ihm in den Arm werfen will, lässt sich dieser
bärtige Berserker ebenso wenig aufhalten wie von einer hageren Alten mit
lodernder Fackel in der Hand.
Peter Paul Rubens’ Bild „Die Folgen des Krieges“ von 1637 lässt sich als
politischer Kommentar seines Schöpfers zum Dreißigjährigen Krieg lesen – in
der Ikonografie der Antike. Zugleich ist es ein Paradigma für den Platz
dieses Gottes im europäischen Bildergedächtnis.
Zwar kennen die Menschen den Mars schon seit babylonischen Zeiten. Auf den
Keilschriften König Assurbanipals heißt er „Nergal“, der Rötliche. Und
diese Farbe bestimmt auch die Allegorie, in der er auftritt: ein Gott des
Krieges, ein Sinnbild für Rohheit und Gewalt. Der blutrote Staub aus
Eisenoxid war schon den Menschen in der Antike auf dem Erdnachbarn
aufgefallen. Die Chinesen nannten den Mars den „Stern des Feuers“. Deswegen
glühen im Hintergrund von Rubens’ Bild „Venus entwaffnet Mars“ von 1610 …
Öfen einer Schmiede.
So wie sich diese naive Vorwissenschaft in Bilder von Glut und Verheerung
verwandelte, zeigt das den Mars als Projektion und Spiegel der irdischen
Händel. Noch in „Mars macht mobil“, dem Werbespruch für einen
zeitgenössischen deutschen Schokoriegel, klingt diese martialische Ästhetik
nach. Und stets wird auf diesen Bildern ein symbolischer Kampf ausgetragen
– der zwischen Gewalt und Liebe.
## Kampf zwischen Krieg und Ökonomie
Auf Abraham Lamberts Jacobsz van den Tempels Bild „Mars vertreibt das
Gewerbe“ von 1651 ist es sogar der Kampf zwischen Krieg und Ökonomie. Nur
selten wird Mars so friedlich gezeichnet wie auf Sandro Botticellis Bild
„Venus und Mars“ von 1483: nackt, entwaffnet und schlafend. Gelegentlich
unterliegt der gefürchtete Krieger. Andrea Mantegna malt „Mars und Venus im
Parnass“ 1497 als Liebespaar – die Zähmung des Krieges durch die Kultur.
Das allegorische Bild des Mars überstrahlt das seiner Rationalisierung. Der
fahlgelbe Mars, den der Rokoko-Künstler Donato Creti in seiner Serie
„Astronomische Beobachtungen“ von 1711 in den trüben Nachthimmel zeichnete,
um Papst Clemens XI. zum Bau der ersten Sternwarte in Italien zu animieren,
zählt zu den wenigen Ausnahmen. Spätestens die ersten 22 Fotos der
Marssonde „Mariner“ machten 1965 auch Giovanni Schiaparellis berühmte Karte
der Marsoberfläche von 1877 zur Makulatur.
## Profan. Wie zu Hause.
Der italienische Astronom hatte die „Marskanäle“ gezeichnet, die er auf dem
Roten Planeten entdeckt zu haben glaubte. Und die er für Schutzbauten einer
ums Überleben kämpfenden Mars-Zivilisation hielt. Aber selbst diese
wunderschöne „Landkarte“ erreichte nie dieselbe Massenrezeption wie die
malerische Übersetzung des realen Gestirns ins Mythische. Heute lassen sich
Schiaparellis mäandernde Linien endgültig als das goutieren, was sie immer
waren: ein Produkt der reinen Fantasie.
Ferner von all dem könnte nicht sein, was sich seit ein paar Wochen als
„Sensation“ den Weg in die Wohnzimmer der Welt bahnt. Zwar ist alles immer
noch ziemlich blutrot, was das sich weitgehend autonom auf dem Roten
Planeten bewegende Forschungsfahrzeug „Curiosity“ von dort auf die Erde
funkt. Doch die Wüstenlandschaften ähneln so sehr der Erde, dass sich
Nasa-Sprecher John Grotzinger „wie zu Hause“ fühlte. Wo Mythos und
Geheimnis war, gähnt nur noch eine Wüste aus Geröll, Staub und Sand.
Profaner war der Mars nie.
Die blaugrau verschlierten Mini-Tornados in den Marskratern, die
symmetrisch geschwungenen Rinnen in einem Dünenfeld und die 10.000 Jahre
alte, weiße Eiskappe auf einem roten Staubhügel nahe dem Mars-Nordpol kann
man für eine kosmische Abart des Informel oder des Abstrakten
Expressionismus halten. Aber wenigstens hat niemand mehr ein „Marsgesicht“
entdeckt wie 1976. Die verwitterte Felsformation auf einer
Schwarz-Weiß-Aufnahme der US-Sonde „Viking-Orbit“ lasen die Fans des
Paranormalen als „steinernes Antlitz“ einer untergegangenen
Mars-Zivilisation, das mit „seiner Träne auf der Wange“ den Menschen eine
letzte Warnung überbringt.
Während das wissenschaftliche Bild des Mars am Horizont aufsteigt, wandert
der Mythos in die Populärkultur – in die Paralleluniversen Perry Rhodans.
Oder in die Ateliers der Hobbymaler. Manchmal kehrt er auch über die Kunst
zurück. In seiner Skulpturensammlung „Die Theorie des Himmels“ verwandelt
Björn Dahlem die entzauberten Galaxien mit Madonnenfiguren, Glühbirnen und
Styropor wieder zu einem poetischen Kosmos. In der der Mars-Mond Phobos,
ein harmloser Asteroid von gerade mal 27 Kilometer Durchmesser, zum
Platzhalter der Apokalypse wird – „The End of All“ hat Dahlem das Objekt
genannt, dessen Mitte Phobos bildet.
Den Wechsel von der Projektionsfläche Mars zur Matrix, vor der die Frage
nach den Bedingungen unserer Wahrnehmung verhandelt werden, demonstriert
Thomas Ruff. Für seine Arbeit „ma.r.s.-Mission“ von 2011 nutzt der
Sprössling der Düsseldorfer Schule um die Fotografen Bernd und Hilla Becher
frei verfügbare Nasa-Bilder des Planeten. Wenn er seine Bilder aus der
Satellitenperspektive in eine Schrägaufsicht gekippt, wie man sie vom
Landeanflug eines Flugzeuges kennt, spürt man etwas von der Begeisterung
des seit früher Jugend von der Astronomie Faszinierten: endlich auf dem
Mars! Oft koloriert Ruff seine Bilder, dass die medial aufbereiteten
Messdaten der Nasa-Roboter wie psychedelische Muster wirken. Ruff
refiktionalisiert die Bilder so, ohne dass er dafür einen Kriegsgott
braucht.
19 Aug 2012
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Fotografie
Raumsonde
Nasa
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