# taz.de -- Computer komponiert klassische Musik: Die Mozart-Maschine | |
> Seit 2010 komponiert „Iamus“ Kammermusik. Nichts Besonderes? Doch. Der | |
> Künstler ist ein Hochleistungscomputer. | |
Bild: Eigenwilliger Musiker, eigenwillige Form: Superrechner Iamus. | |
Commander Data aus der US-Serie „Star Trek – The Next Generation“ konnte | |
mit der [1][Violine] tausende Stücke spielen. Üben musste der Android dafür | |
nicht. Zu Eigenkompositionen reichte es auf der Enterprise nicht. Was Data | |
verwehrt blieb, kann Iamus schon heute. | |
Der Superrechner – benannt nach einem Sohn des griechischen Gottes Apollo, | |
der mit Vögeln sprechen konnte – wurde 2010 an der Universität Málaga in | |
Andalusien entwickelt. Iamus komponiert selbst. Er besteht aus 1.600 | |
Prozessorkernen, hat sieben Terabyte RAM und die Rechenleistung von etwa | |
500 modernen PCs. Füttert man Iamus mit Parametern wie Stimmung, | |
Instrumenten und einer zeitlichen Vorgabe, spuckt die Maschine kurze Zeit | |
später eine fertige Partitur aus. | |
Das System, mit dem der Hochleistungsrechner arbeitet, heißt [2][Melomics] | |
und basiert auf einem speziellen Algorithmus. So entstehen immer wieder | |
neue Melodien, sogenannte „Mels“. Der digitale Komponist basiere auf der | |
Bionik (Übertragung der Phänomene der Natur auf die Technik), sagt der | |
Computer-Wissenschaftler Francisco Vico: „Iamus ist das Ergebnis der | |
Verbindung von der Evolutionstheorie, Entwicklungsprozessen und den | |
formalen Regeln der zeitgenössischen Musik. Diese Kombination der | |
Teildisziplinen ist der Hauptgrund, dass Iamus Musik nicht kopiert, sondern | |
eigene Stücke komponiert und seinen eigenen Stil schafft.“ | |
Im Sommer 2012 wurde im andalusischen Málaga zum 100. Geburtstag des | |
britischen Mathematikers und Computer-Pioniers Alan Turing das Iamus-Stück | |
[3][„Hello World“] für Klavier, Klarinette und Violine uraufgeführt. Per | |
Livestream ging das Kammerkonzert hinaus in die Welt. | |
## Turing-Test | |
Die britische Tageszeitung Guardian ging anschließend der Frage nach, ob | |
Iamus den sogenannten [4][„Turing-Test“] besteht. Können verschiedene | |
Testpersonen heraushören, ob es sich bei der abgespielten Musik um ein | |
Iamus-Produkt handelt oder um eine von Menschenhand geschaffene Kompostion? | |
Das Ergebnis: Der Unterschied sei nicht zu hören. Der [5][Freitag] meldete | |
damals Skepsis an. | |
Vico und sein Forscherteam treiben fernab der Diskussion nun die | |
Entwicklung an der Universität Málaga weiter voran. Das nächste Projekt ist | |
[6][Melomics109], ein Computer, der Musik entwickelt, die für jedermann | |
zugänglich sein soll. Vico sieht darin einen großen Vorteil: „Jeder wäre in | |
der Lage, seine eigene lizenzfreie Musik im Internet zu kaufen und zu | |
besitzen.“ In Deutschland wäre das eine Alternative zur von der GEMA | |
lizensierten Musik. | |
Der Wissenschaftler hat sich zudem ein Verkaufskonzept ausgedacht: „Unserer | |
Vorrat an klassischer Musik, die Iamus entwickelt, könnte einen | |
dramatischen Wechsel in der Musikindustrie herbeiführen, weil jeder in der | |
Lage wäre diese tantiemenfreien Kompositionen zu kaufen und runterzuladen. | |
Der Preis würde sich dann nach der Komplexität der Kompostionen richten. | |
Genauer: nach der Größe des digitalen [7][Midi-Formats] (99 US-cent/Kb).“ | |
Die Forscher um Vico wollen den Iamus-Rechner weiter verbessern, aber der | |
Fokus richtet sich auch auf die Verbreitung der Musik. Eine | |
US-amerikanische Firma namens [8][Melomics Media] ist gerade dabei, die | |
Musik von Iamus zu kommerzialisieren und auf den Markt zu bringen. Seit | |
September 2012 ist die Iamus-CD [9][zu haben]. | |
## „Beeindrückend“, aber nicht „berührend“ | |
Aber ob die Digital-Kompositionen sich gegen ihr „menschliches“ Pendant | |
durchsetzen können, ist fraglich. Der saarländische Komponist, Produzent | |
und Musiker Frank Nimsgern ist zwar von den Klavierstücken, die Iamus schuf | |
„beeindruckt“, aber „berührt“ haben sie ihn nicht. Ein entscheidender | |
Nachteil des Computers sei, dass ihm die emotionale Intelligenz fehle und | |
„kein Gefühl der Wärme“ aufkomme, wenn man sich die Stücke anhört. | |
Die Stücke erinnern ihn an die Etüden von Johann Sebastian Bach, dessen | |
Kompositionen stark von der Mathematik beeinflusst waren. Nimsgern mangelt | |
es bei den Iamus-Stücken an Persönlichkeit : „Man kann meistens den | |
Komponisten heraushören, weil seine Persönlichkeit sich auch in den Stücken | |
widerspiegelt.“ | |
Ähnlich sieht es der Berliner Musikprofessor Hartmut Fladt, der | |
Musiktheorie an der Universität der Künste lehrt: Zwar seien | |
computergenerierte Technologien sehr nützlich, allerdings werde der | |
Computer nie kreatives Komponieren „ersetzen“ können. „Darüberhinaus w�… | |
der Verzicht auf Individualität und Kreativität den Computer als | |
komponierenden Klischee-Erfüller vorprogrammierter Bestandteile einsetzbar | |
machen.“ | |
Sind Computer-Kompositionen kreativ? Emotionen oder Persönlichkeit kann | |
eine Maschine – bis jetzt – nicht entwickeln. Ein Problem, das | |
Violinensolist Commander Data zur Genüge kannte. | |
13 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=qbSSjjRU7XA | |
[2] http://geb.uma.es/melomics/melomics.html | |
[3] http://www.melomicsrecords.com/de/index.php?page=Hello-World | |
[4] http://www.guardian.co.uk/music/2012/jul/01/iamus-computer-composes-classic… | |
[5] http://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/iamus-scheitert-am-turing-test | |
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/Melomics | |
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Musical_Instrument_Digital_Interface | |
[8] http://melomics.com/ | |
[9] http://www.melomicsrecords.com/de/ | |
## AUTOREN | |
Christian Lehmann | |
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