Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Zuschussrente: Kfz-Meister gegen Pflegerin
> Die Vorschläge für die Aufstockung von Kleinrenten berühren heikle
> Gerechtigkeitsfragen. Das „Verhetzungspotenzial“ ist groß.
Bild: „Äpfel schälen, Pferde stehlen“ (Karel Gott): Traditionsbild der Re…
Der „Rentenschock“ ist da – und er verbindet sich mit dem schwelenden Unm…
über ungerechte Löhne. Eine Pflegehelferin, die eine gesellschaftlich
hochwichtige Arbeit verrichtet, bekommt vielerorts 9 Euro brutto die
Stunde. Die daraus zu erwartende Rente ist in Zukunft so niedrig, dass sie
noch nicht mal in der Schocktabelle von Sozialministerin Ursula von der
Leyen (CDU) verzeichnet war.
Die Rentendebatte zielt daher mitten ins Herz der Arbeitsgesellschaft mit
ihrer zentralen Frage nach dem Wert der Lebensleistung. Diese
Gerechtigkeitsfrage spielt sich nicht nur in der Vertikalen, sondern auch
in der Horizontalen ab, zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den
Mittelschichten. Das zeigt sich jetzt in der Schlacht um das moralisch
bessere Zusatzrentenkonzept, die zwischen Sozialpolitikern in der Union und
der SPD, mit Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) und dem
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel entbrannt ist.
Von der Leyen will mit ihrer Zuschussrente vor allem die Kleinrenten
alleinstehender Mütter aufstocken, die Teilzeit gearbeitet haben. Das
Konzept von SPD-Chef Gabriel möchte die Kleinrenten gleichfalls auf eine
„Solidarrente“ ergänzen, auch auf maximal 850 Euro brutto.
Im Gabriel-Konzept heißt es aber, der „Nachweis der Vollzeittätigkeit“ sei
eine „wichtige Voraussetzung“ für die Aufstockung. Die alleinerziehende
Teilzeit-Verkäuferin bekäme laut dem Gabriel-Vorschlag am Ende nicht die
gleiche „Solidarrente“ wie der vollzeitackernde Leiharbeiter in der
Industrie, trotz der geleisteten Erziehungsarbeit.
## Feinheiten mit Gefahren
Dann wird auch die Frage der Anrechnung von Besitz und weiteren Einkommen
in beiden Konzepten unterschiedlich gehandhabt. Im Von-der-Leyen-Konzept
der Zuschussrente soll das Einkommen eines Partners im Alter bei der
Aufstockung mit berücksichtigt werden, im Gabriel-Konzept hingegen nicht.
Die Zusatzrenten sollen in beiden Konzepten ohne Prüfung des Vermögens
gewährt werden, nur laufende Einkünfte aus der zusätzlichen Altersvorsorge
werden teilweise mit berücksichtigt.
Man ahnt schon das „Verhetzungspotenzial“, das in diesen Feinheiten steckt.
Denn gerade in den Milieus der Mittelschichten vergleicht sich jeder gerne
mit dem andern und das wird bei der Gewährung von öffentlich finanzierten
Zusatzrenten nicht anders sein. Da stehen dann nicht nur Besserverdiener
gegen Schlechterverdiener, sondern auch Männer gegen Frauen, Kinderlose
gegen Mütter, Alleinstehende gegen Verheiratete, Nichtvermögende gegen
Erben.
Eine solche Gemengelage in der Wählerschaft ist ein Albtraum für jeden
Sozialpolitiker. Das ist auch der Grund, warum die Frontlinien in dieser
Debatte so verwirrend geworden sind, dass jetzt sogar CDU-Sozialministerin
Ursula von der Leyen das Gabriel-Konzept lobt und junge SPD-Linke den
Erhalt des bisherigen Rentenniveaus fordern, obwohl dieses Niveau sinken
soll, um gerade jüngere Beitragszahler zu entlasten.
## 80 Euro mehr – das ist alles
Im Streit über die Zuschussrenten gerät dabei gerne aus dem Blickfeld,
worüber genau man eigentlich redet: Sowohl bei von der Leyen als auch bei
Gabriel geht es um eine Aufstockung auf 850 Euro Bruttorente im Monat, das
sind etwas über 760 Euro netto, also nur rund 80 Euro mehr, als an
Grundsicherung im Alter heute schon gewährt wird. Eine große
Rentenrevolution ist das nicht.
Dennoch lässt sich aus dem Rentenstreit herausfiltern, was man beachten
müsste, um die drängendsten Gerechtigkeitsfragen zu lösen. Arbeit und
Erziehungszeit sollten als Lebensleistung mit berücksichtigt werden.
Rentenansprüche sollten daher gleitend mit einer Zusatzrente verrechnet
werden, ähnlich wie bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen auf
Hartz-IV-Leistungen. In Schweden beispielsweise, das von den Grünen gerne
zitiert wird, schafft die „Garantierente“ eine solch gleitende Aufstockung
von beitragsfinanzierten Ansprüchen.
Wahrscheinlich geht so was in Deutschland nicht ohne Bedarfsprüfung der
Beziehungssituation, auch wenn das nach Sozialamt riecht. Eine
Partnerschaft, die auch in den Niederlanden die Höhe der Grundrente
mitbestimmt, muss berücksichtigt werden.
## Parteien wittern die Gefahr
Auch für die Finanzierungsfragen lohnt sich ein Blick ins Ausland: In
Schweden, den Niederlanden und der Schweiz zahlen alle Erwerbstätigen, auch
die Selbständigen, in eine Rentenversicherung ein. In der Schweiz zahlen
Hochverdiener dabei überproportional mehr ein, als sie an Rente bekommen.
In Deutschland lehnt man eine solche Umverteilung ab.
Vielleicht aber lassen sich Reformen gar nicht ohne den Umbau des
Beitragssystems in eine Art Bürgerversicherung finanzieren. Sozialexpertin
Ursula Engelen-Kefer bezeichnete unlängst die Einführung einer
Erwerbstätigenversicherung auch mit Beamten und Selbständigen als
„überfällig“ ([1][taz. 6.9.2012]).
Sowohl von der Leyen also auch Gabriel schlagen eine „steuerliche
Finanzierung“ der Zuschussrenten vor. Von der Leyen will das Geld vor allem
aus den sinkenden Aufwendungen für Bergbaurenten holen, Gabriel erläutert
die Finanzierung nicht näher. Doch ohne Umverteilungselemente lässt sich
das Problem der Kleinrenten nicht lösen. Höhere Steuern auf Vermögen und
Erbschaften sollten mit einbezogen werden.
Die Verteilungsdebatte scheuen die großen Parteien, zu stark ist die Angst
vor den Ressentiments in der Wählerschaft. Wahrscheinlich wollen
Rechtsanwälte oder Firmenchefs die Aufstockungen der Renten von
Verkäuferinnen oder Leiharbeitern nicht mitfinanzieren, und der Kfz-Meister
im Angestelltenverhältnis findet es doch ganz in Ordnung, dass ein
deutlicher Abstand bleibt zwischen seinem gesetzlichen Ruhegeld und dem
einer Altenpflegerin.
Deshalb rudern die großen Parteien mit ihren Konzepten hin und her, um nur
ja die Stimmungslagen in den Mittelschichten möglichst breit einzufangen.
Das wird noch lustig werden im Wahlkampf 2013 – denn dann müssen
glaubwürdige und praktikable Konzepte auf den Tisch.
11 Sep 2012
## LINKS
[1] /!101111/
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zusatzrente in der Kritik: Von der Leyen im Gegenwind
Private Altersvorsorge soll auch für Geringverdiener attraktiver werden.
Junge Abgeordnete von CDU und FDP stellen sich gegen Arbeitsministerin von
der Leyen.
Kommentar Zusatzrente: Ganz private Altersvorsorge
CDU und SPD liegen mit ihren unklaren Konzepten zur Rentenergänzung nah
beieinander. Keiner kann sich dabei profilieren.
Debatte um Zusatzrenten: Weniger für die armen Alten
Die Linkspartei warnt vor „Unsolidarrenten“. 850 Euro brutto an Zusatzrente
lägen mancherorts unterhalb der Sozialhilfe.
Details der Rentenkonzepte: Kampf der Papiere
CDU-Ministerin von der Leyen und SPD-Chef Gabriel haben ihre Pläne gegen
Altersarmut vorgelegt. Darin gibt es feine, aber folgenreiche Unterschiede.
Von der Leyen lobt Gabriel: Rentenkoalition auf Probe
SPD und Union nähern sich bei ihren Konzepten zur Bekämpfung der
Altersarmut an. Der FDP gefällt das gar nicht.
Debatte um Zuschussrente: Von der Leyen will nicht mehr streiten
Die Sozialministerin möchte eine parteiübergreifende Initiative gegen
Alterarmut. Sie begrüßte das Konzept der SPD. Aus der CSU kommt Kritik am
Modell der Zuschussrente.
Kommentar Zuschussrente: Von der Leyens Renten-Waterloo
Die Arbeitsministerin ist mit ihrem Vorschlag zur Zuschussrente alleine.
Das ist zum Teil ihre Schuld, zeugt aber auch von Planlosigkeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.