| # taz.de -- Flüchtlingspolitik in Australien: „Ich gebe hier keine Fluchttip… | |
| > Australien nehme die internationalen Verpflichtungen zum | |
| > Flüchtlingsschutz sehr ernst, verteidigt Ex-Premier Kevin Rudd die | |
| > Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik. | |
| Bild: Flüchtlingsboot: gestrandet auf dem Weg nach Australien. | |
| taz: Am Freitag sind die ersten 30 Bootsflüchtlinge von Australiens | |
| Weihnachtsinsel in ein Lager in den Pazifikstaat Nauru gebracht worden. | |
| Nachdem Sie Premierminister in Canberra geworden waren, hatten Sie 2008 das | |
| Lager in Nauru schließen und Asylbewerber fortan in Australien selbst | |
| überprüfen lassen. Warum? | |
| Kevin Rudd: Meine Regierung wurde gewählt mit dem Versprechen einer | |
| humaneren Behandlung von Asylsuchenden. Dazu gehörte, Zwangsinternierungen | |
| von Flüchtlingskindern zu beenden und Flüchtlinge künftig auf Australiens | |
| Weihnachtsinsel zu überprüfen. Doch seitdem haben sich Dinge geändert. So | |
| hat sich die Zahl der Flüchtlinge aus der Region durch politische Unruhen | |
| dort erhöht, besonders durch den Bürgerkrieg in Sri Lanka. Das zwang | |
| Australiens jetzige Regierung von Premierministerin Gillard, kürzlich neue | |
| Maßnahmen zu ergreifen. | |
| Von denen, die per Schiff übers Meer zu uns fliehen, ertrinken viele. | |
| Deshalb müssen wir Menschen an der Flucht per Boot hindern. Zugleich müssen | |
| mehr Flüchtlinge, die vom UNHCR offiziell anerkannt sind, aufgenommen | |
| werden. Australien nimmt nach den USA und Kanada die dritthöchste Zahl der | |
| Welt auf. 20.000 können jetzt pro Jahr aus allen Flüchtlingslagern der Welt | |
| zu uns kommen. | |
| Bestätigt das nicht indirekt den Vorwurf, dass Australien bisher schon | |
| längst mehr Flüchtlinge hätte aufnehmen sollen? | |
| Nein, wir nehmen unsere internationalen Verpflichtungen des | |
| Flüchtlingsschutzes sehr ernst. Das zeigt sich doch darin, dass, wenn wir | |
| weniger Boat People aufnehmen, um sie vom Risiko der Fahrt abzuhalten, wir | |
| gleichzeitig mehr anerkannte Flüchtlinge aufnehmen. Die moralische Frage | |
| ist doch: Wie viel Leute darf man ertrinken lassen, bevor man Maßnahmen zur | |
| Abschreckung unternimmt? | |
| Warum wehrt sich Australien so gegen Flüchtlinge, die dort direkt Asyl | |
| beantragen? | |
| Das setzt doch voraus, dass sie es bis Australien schaffen. Damit werden | |
| die übergangen, die bereits in Lagern sind, was ein moralisches Problem | |
| ist. Denn diese sind früher geflohen und vom UNHCR anerkannt. Australien | |
| hat eine offene Migrationspolitik. Wir nehmen 180.000 Einwanderer pro Jahr | |
| aus aller Welt auf, dazu 20.000 anerkannte Flüchtlinge. Dann haben wir noch | |
| 300.000 ausländische Studenten und Saisonarbeiter im Rahmen von | |
| Working-Holiday-Visa. | |
| So nimmt unser Land von 23 Millionen Einwohnern eine halbe Million Menschen | |
| pro Jahr auf, davon 200.000 dauerhaft. Eine große Zahl. Dass wir | |
| unterscheiden, wer übers Wasser kommt, liegt daran, dass zu viele dabei | |
| ertrinken. Viele Bootsflüchtlinge kommen aus Ländern wie dem Iran, doch für | |
| Iraner ist die Anerkennungsquote als Flüchtlinge international gering. Das | |
| hält sie leider nicht davon ab, mit ihren Kindern die gefährliche Fahrt zu | |
| riskieren. | |
| War es ein Fehler, das Lager in Nauru geschlossen zu haben? | |
| Das Problem hat viele Dimensionen. Wir haben ja die Zwangsinternierung für | |
| alle Asylsuchenden beibehalten, egal, ob sie per Boot oder Flugzeug kommen. | |
| Wir haben die Bearbeitungszeit während der Zwangsinternierung auf drei | |
| Monate begrenzt. Früher war das unbegrenzt. Und wir haben dafür gesorgt, | |
| dass Kinder nicht mehr interniert werden. | |
| Boat People wurden fortan auf der Weihnachtsinsel überprüft. Es hat sich | |
| seitdem aber aus verschiedenen Gründen die Zahl der Bootsflüchtlinge stark | |
| erhöht wie auch die Zahl derjenigen, die ertrunken sind. Deshalb ist es | |
| verantwortliche Politik, Menschen davon abzuhalten. Deshalb hat die | |
| Regierung die Politik wieder geändert. | |
| Australiens konservative Opposition sagt, gerade Ihre Schließung des Lagers | |
| in Nauru war der Anreiz, dass wieder mehr Flüchtlinge übers Meer kamen. | |
| Das sind typische Worte von Politikern. Unser Job ist doch, die | |
| Migrationspolitik zu regeln. Wir sind ein Land, in dem von 23 Millionen | |
| Menschen ein Drittel im Ausland geboren wurde, zählen wir die | |
| Elterngeneration mit, ist es gar die Hälfte. Wir sind also sehr offen und | |
| nehmen deshalb 180.000 Migranten im Jahr auf. Wir glauben, wir machen die | |
| richtige Migrationspolitik. | |
| Wie kann ein Tamile aus Sri Lanka nach Australien fliehen? | |
| Flieht jemand, geht es laut Flüchtlingskonvention nicht darum, dass die | |
| Person ihr Wunschland erreicht, sondern vor Verfolgung geschützt wird. Ich | |
| gebe hier keine Fluchttipps. Das UNHCR verwaltet die Flüchtlinge. Ist eine | |
| Person im UNHCR-Prozess, übernehmen irgendwann Aufnahmeländer den Fall. | |
| Würde jeder Flüchtling gefragt, wo er gern hinwollte, würden die meisten | |
| wohl Deutschland, Schweden oder Australien sagen. Dafür wurde die | |
| Konvention aber nicht geschaffen. Es geht nicht um wirtschaftliche Motive, | |
| sondern um Schutz. | |
| Kritiker empfinden Australiens Flüchtlingspolitik insofern als rassistisch, | |
| als Zwangsinternierungen von Bootsflüchtlingen Personen aus armen Staaten | |
| betreffen, während wohlhabendere Migranten aus Industrieländern als | |
| Touristen einreisen, dann untertauchen und meist damit durchkommen. | |
| Das stimmt nicht. Von den 180.000 regulären Einwanderern, die wir pro Jahr | |
| aufnehmen, kommt die Mehrzahl aus nichtwestlichen Staaten. Und von den | |
| 20.000 Flüchtlingen, die wir jedes Jahr aufnehmen, kommt die Mehrheit aus | |
| Afrika. Und im Internierungslager Villawood in Sydney gibt es viele junge | |
| Europäer, die ohne gültige Visa aufgegriffen wurden. | |
| 16 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
| ## TAGS | |
| UNHCR | |
| Australien | |
| Flüchtlinge | |
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