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# taz.de -- Theaterstück „Assassinate Assange“: Eine neue Bühne für den …
> Regisseurin Angela Richter hat viel Zeit mit dem Wikileaks-Gründer
> verbracht und findet ihn fast „feminin sanft“. Ihr Stück „Assassinate
> Assange“ startet Ende September.
Bild: Für Angela Richter ist Julian Assange ein neuer Prototyp.
HAMBURG taz | Jetzt, wo alle Gespräche geführt und alle Antworten abgetippt
sind, bleibt die Frage, zu welcher Form das Material sich verdichten wird.
All diese Sätze, die gesagt worden sind. Fast 30 Stunden Mitschnitte sind
zusammengekommen, das sind zweihundert Seiten, vielleicht dreihundert.
Soundbytes aus einem Raum, der nicht Gefängnis ist und nicht Freiheit.
Eine Frau, sehr schmal, mit ungeschminktem Gesicht, die rötlich-braunen
Haare achtlos zum Zopf gebunden, hastet über den Betonfußboden einer weiß
getünchten Halle. Im Gehen wendet sie kurz den Blick; deutet auf ein Poster
an einer Stellwand. „Da hängen die Plakate schon“, sagt sie.
Sie selbst ist zu sehen, neben ihr Julian Assange. Beide stehen eng
beieinander. Ihr Kopf an seiner Schulter. Ein gelber Balken verbirgt ihre
Augen. Darauf ist in Blocklettern der Titel ihres neuen Stücks geschrieben:
„Assassinate Assange“.
Angela Richter hat es eilig. Die Proben laufen, bis zur Premiere am 27.
September ist nicht mehr viel Zeit. Sie steuert auf einen Tisch an der
Rückwand der Halle zu und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Es ist ein
warmer Septembertag in Hamburg-Barmbek. Das Theater Kampnagel hat noch
geschlossen. Klares Sonnenlicht fällt durch die Plexiglasplatten im Dach.
Die Regisseurin sammelt kurz ihre Gedanken. So, wie sie es sieht, läuft
etwas falsch in einer Welt, wo Bürger gläserne Menschen werden, während
Regierungen sich immer stärker abschotten. „Eigentlich will man das
Gegenteil“, sagt sie, „und diesen Paradigmenwechsel hat er mit einem
Paukenschlag eingeleitet. Regierungen müssen jetzt damit leben, dass sie
transparenter werden. Das lässt sich nicht mehr umkehren.“
## Achtmal war sie bei ihm
Sie hat in den vergangenen Monaten viel Zeit mit Julian Assange verbracht.
Achtmal ist sie zu ihm gereist, hat ihm stundenlang zugehört, manchmal
nächtelang. Zuletzt flog sie an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden nach
London; die Treffen dauerten jeweils von neun Uhr abends bis acht Uhr früh.
Bereits seit Mitte Juni sitzt der Wikileaks-Gründer in der ecuadorianischen
Botschaft fest. Er hat sich in einem Zimmer im Erdgeschoss des Gebäudes
verschanzt, das er nicht verlassen kann, ohne verhaftet und nach Schweden
ausgeliefert zu werden. Dort erwarten ihn Vernehmungen wegen des Vorwurfs
der Vergewaltigung.
„Es ist viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte“, sagt Angela
Richter. „Man geht einen langen Gang hinunter, es ist das hinterste Zimmer.
Es ist sehr klein, etwa 15 Quadratmeter. Es gibt kein Tageslicht. Aber er
hat Internetzugang und fühlt sich, glaube ich, relativ sicher.“ Sie
beschreibt das ganz nüchtern, doch man spürt, dass sie all das noch vor
sich sieht. Die Enge, die Beklemmung, die ständige Überwachung. „Es ist ein
komisches Gefühl; die Polizei ist wirklich überall“, sagt sie. „Sie stehen
an allen Fenstern, und man hört sie sprechen, über ihre Geräte. Ich war
jedes Mal froh, wenn ich wieder rauskam.“
Es ist inzwischen über ein Jahr her, dass sie begann, nach Möglichkeiten zu
suchen, mit dem Australier in Kontakt zu treten. „Aus Neugierde, schlicht
aus Neugierde“, sagt sie. „weil ich wissen wollte: Was ist das für eine
Figur? Und welche Mechanismen greifen bei dem Thema?“ Sie hatte den
Eindruck, dass die Berichte in den Medien Assange und seiner Arbeit nicht
gerecht werden.
Also beschließt sie, selbst zu recherchieren. Dabei stößt sie auf eine
Auktion bei eBay: Wikileaks war in Geldnot geraten. Deswegen ließ Assange
ein Mittagessen mit sich und dem Philosophen Slavoj Zizek versteigern.
Angela Richter bietet mit. Sie erwischt den letzten freien Platz. Für 1.600
Euro. Sie trifft sich mit Assange, Zizek und sieben weiteren Bietern zu
einem Lunch in einem Londoner Hotel.
## Ein neuer Protoyp
Das war der Anfang von allem. Eigentlich hatte Angela Richter damals vor,
ein Stück über „Supernerds“ zu schreiben. Anders als gewöhnliche Nerds,
blasse, seltsame Jungs, die nur im Internet leben, bringt es der Supernerd
zu Starruhm, Macht – und Erfolg bei Frauen. Nach einer Weile baut Assange
Vertrauen zu der Regisseurin auf. Sie verwirft die Idee, sich mit
Supernerds allgemein zu befassen und macht Assange zur Hauptfigur ihres
Stücks. Einen tragischen Helden des Internetzeitalters, der steil aufsteigt
und jäh abstürzt. „Für mich ist er ein neuer Prototyp überhaupt, nicht der
typische Alpha Male oder Macho; und vielleicht ist es ja das, was die Leute
so an ihm irritiert“, sagt die Dramatikerin. „Ich habe ihn als sehr
überlegt und ruhig erlebt. Er hat eine fast feminine Sanftheit an sich.“
Angela Richter wirkt etwas müde und abgekämpft. Sie hat nicht genug Schlaf;
gestern ist sie erst um zwei Uhr nachts von der Probe gekommen, bis um fünf
hat sie sich noch durch ihr Material gearbeitet. Das Transkript ihres
letzten Gesprächs hat sie gerade erst bekommen. Jeder, der mit ihr
arbeitet, musste einen Vertraulichkeitsvertrag unterzeichnen. Sie sagt,
dass sie den genauen Aufbau des Stücks erst bei den Proben entwickelt. „Ich
inszeniere nicht nach Reißbrett.“
Die Regisseurin ist 40 Jahre alt. Ihre Eltern stammen aus Kroatien, sie
selbst ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen. Dann hat sie lange in
Hamburg gelebt, wo sie das Off-Theater Fleetstreet aufgebaut hat. Ihr Mann,
Daniel Richter, gilt als Shootingstar der zeitgenössischen Malerei. Vor
zwei Jahren zogen beide mit ihrem kleinen Sohn nach Berlin. In ihren
Stücken geht es oft um brandaktuelle Fragen im Schnittfeld von Kultur, Pop
und Politik.
Im „Fall Esra“ spürte sie dem Skandal um Maxim Billers verbotenen Roman
„Esra“ nach. In „Jeff Koons“ lotete sie die Wechselwirkungen von Kunst,
Kitsch und Konsum aus. In „Vive la Crise“ inszenierte sie die Folgen der
Finanzkrise als marktwirtschaftlichen Tanzreigen.
## Sie will über das reden, was er macht
Und jetzt also Julian Assange. In den Medien wird der Wikileaks-Gründer als
Mensch beschrieben, der andere mit seinem Charisma in seine Umlaufbahn
zieht, sie kreisen lässt um sein Projekt, aber auch um sich selbst. Ob sie
davon etwas gespürt hat? Angela Richter stört sich an dieser Frage. Sie
verschränkt die Arme vor der Brust. „Manchmal“, sagt sie, „würde ich mir
wünschen, dass die Journalisten nicht so viel über seine Persönlichkeit
fragen, sondern mehr über das, was er macht.“
Immer wieder gehe es in Interviews um das Zwischenmenschliche, ob da
vielleicht auch auf Mann-Frau-Ebene etwas war. „Ich frage mich, ob das auch
so wäre, wenn ich ein Mann wäre“, sagt sie kühl, „das glaube ich nämlich
nicht.“
Doch im Fall Assange lässt sich schwer ausklammern, wer sich damit befasst,
Mann oder Frau. Schließlich steht der Vorwurf der Vergewaltigung im Raum.
Angela Richter sagt, dass sie sich aus feministischer Sicht mit dem
Verfahren schwertut. Dann sagt sie etwas sehr Scharfes, was sie später
wieder zurückzieht. Stattdessen schreibt sie in einer E-Mail: „Ich habe
mich bemüht, möglichst unideologisch die Faktenlage im Fall Assange zu
prüfen – es ist ja alles erhältlich, wenn sorgfältig gesucht wird.“ Die
Polizeiprotokolle sind im Internet zu finden.
Tatsächlich bestreiten die beiden Frauen gar nicht, freiwillig mit Assange
geschlafen zu haben. Ihm wird vorgeworfen, dass er Kondome entweder gegen
ihren Willen nicht getragen oder absichtlich eingerissen haben soll. Doch
trotz detaillierter Beschreibungen entsteht auch aus den Protokollen kein
schlüssiges Bild.
## Erlöse für Wikileaks
„Die Diskussion ist von sehr viel Doppelzüngigkeit und Bigotterie
bestimmt“, sagt Angela Richter. Es hat sie erschreckt, dass gegen Assange
ermittelt wird, während seine Enthüllung von Kriegsverbrechen keine Folgen
nach sich gezogen hat. So, wie sie es sieht, ist die Verhältnismäßigkeit
zwischen Vorwurf und Verfolgung aus den Angeln gehoben worden.
„Vielleicht“, sagt sie, „leben wir ja doch nicht in der besten aller
Welten. Vielleicht bezahlen wie ja damit den Preis für unseren Wohlstand.“
Ihr iPhone vibriert; Angela Richter kramt das Gerät aus ihrer
Vintage-Tasche. Sie wischt mit der Fingerkuppe über das Display. Bilder
gleiten vorüber, skizzenhafte Porträts, auf denen das schwer lesbare
Gesicht Assanges halb im Schatten verborgen ist. Ihr Mann Daniel hat sie
gezeichnet. Die Dramatikerin will sie auf T-Shirts drucken und an den
Spieltagen verkaufen lassen. Die Erlöse sollen an Wikileaks gehen. „Das
erste, oder?“, fragt sie. „Da erkennt man ihn am besten.“
Doch was erkennt man, wenn man Assange sieht? Den Vorkämpfer einer neuen,
freieren Informationsgesellschaft? Oder einen Profilneurotiker mit Hang zu
Verschwörungstheorien? Die Frage ist, wie ein Künstler ein so brisantes
Thema aufgreifen kann, ohne sich mit der Figur gemeinzumachen. Assange
polarisiert, wer sich mit ihm befasst, läuft Gefahr, zwischen die Fronten
zu geraten. Das weiß Angela Richter. „Wir alle stehen zu dem Risiko, dass
man sich blamiert.“
Daran, dass sie Julian Assange unterstützt, lässt sie keinen Zweifel. Doch
das bedeute nicht, dass sie ihre Distanz aufgegeben hat. „Ich bin ja nicht
völlig verblödet!“, ruft sie, „und ich weiß, dass Propaganda schlechte
Kunst ist.“ Worum es ihr gehe, sei, die Skepsis der Zuschauer anzuregen.
Sie hätte gern auch die Frauen befragt, doch an die ist sie nicht
herangekommen. Also wird sie Auszüge aus den Protokollen verwenden.
Fest steht bislang, dass es zwei Stränge geben wird, einen eher
dokumentarischen und einen, den sie aus ihren subjektiven Eindrücken
entwickelt. Auch Videoschnipsel und Musik sollen Teil der Inszenierung
sein. Und vielleicht, wenn alles läuft wie geplant, wird auch Julian
Assange selbst per Telefon zugeschaltet.
20 Sep 2012
## AUTOREN
Gabriela M. Keller
## TAGS
Julian Assange
Wikileaks
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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