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# taz.de -- Debatte Arabischer Frühling: Ägypten nicht verstehen
> Junge Liberale in Ägypten kritisieren Präsident Mursi scharf. Da kann es
> passieren, dass man beim Abendessen auf einmal die Muslimbrüder
> verteidigt.
Bild: Mursi an der Wand.
Kürzlich war ich in Kairo zum Abendessen bei jungen Liberalen eingeladen.
Es dauerte nicht lange, und unser Gespräch drehte sich um die Rede von
Präsident Mursi Anfang September im Iran. Meine Gastgeber zeigten sich für
ihr Alter ungemein erfahren und liefen zur verbalen Höchstform auf. Sie
gehörten der Gruppe linker Führungsfiguren an, und sie waren, anders als
die meisten Ägypter, keineswegs beeindruckt von Mursis Auftritt im Iran.
Mursis Rede dauerte 41 Minuten. Es war der erste Auftritt eines ägyptischen
Präsidenten im Iran seit 1979. Trotzdem sprach sich Mursi mit kraftvollen
Worten für die Freiheit der Syrer aus – und kritisierte damit unumwunden
die militärische und politische Unterstützung, die der Iran dem Regime von
Assad zukommen lässt.
Für die Aktivisten jedoch stellten die ersten Worte Mursis den Rest seiner
Rede völlig in den Schatten. Mursi begann mit einem Gebet, das er nicht
allein an den Propheten Mohammed richtete – ein in der islamischen Welt
allgemein akzeptierter politischer Topos –, sondern er integrierte auch die
sunnitischen Kalifen Abu Bakr, Uthman und Umar.
Die aber werden von der schiitischen Mehrheit im Iran nicht als legitime
Nachfolger des 632 n. Chr. verstorbenen Mohammed anerkannt. Der Streit über
die rechtmäßige Nachfolge Mohammeds löste den Krieg zwischen den Sunniten
und Schiiten im ersten Jahrhundert islamischer Zeitrechnung aus.
## Freundschaft mit Iran?
„Wir haben nicht einen Präsidenten gewählt, damit er islamische Schwüre
(khutba) im Iran aufsagt“, sagte einer der jungen Männer. „Wie unpassend.�…
Ein anderer bemerkte: „So sieht’s aus, Freunde: Wir sind der Theokratie
wieder einen Schritt näher gekommen.“ Und wieder ein anderer: „Natürlich
unterstützen wir die Freiheit der Syrer – aber Mursis Rede war
inkonsistent. Worauf genau zielte sie? Wir wollen keine Distanz zum Iran.“
Etwas später erst werde ich meine ziemlich ungehaltene Kritik äußern.
Zunächst aber merke ich etwas anderes an, nämlich dass durchaus auch etwas
besser geworden ist. Zumindest im Vergleich zu den Ansichten eines älteren
Herren, den ich vor kurzem – wiederum bei einem Abendessen – getroffen
hatte. Ein Mann der Armee, einer, der wohl das Mubarak-Regime unterstützt
und bei den Präsidentschaftswahlen für Schafik gestimmt hat.
Die von Mursis Sieg noch immer erschütterte Linke in Ägypten sucht gerade
verzweifelt einen Weg, wie sie sich mit den Unterstützern von Schafik
verbünden kann, um bei den nächsten Wahlen in vier Jahren die Muslimbrüder
zu entmachten.
## Syrien braucht den Diktator
Ich fragte den alten Mann, was seiner Ansicht nach das Ergebnis des Krieges
in Syrien sein würde. „Wollen Sie die Wahrheit hören?“, erwiderte er in d…
typischen Rhetorik eines Militärs. „Ja“, sagte ich, „natürlich.“
„Es gibt so etwas wie eine ’fundamentalistische Natur eines Volkes‘. Die
Syrer leben in einer sektiererischen Gesellschaft. Sie hassen sich
gegenseitig. Nur ein Diktator, vor dem alle Angst haben, kann sie
regieren.“ Eine perfekte Zusammenfassung des Regierungsethos einer
Militärdiktatur. Die musste ich erst mal verdauen.
Aber kehren wir zurück zu den Linken, die nun mit den Militärs
zusammenarbeiten müssen. Ich fragte sie, warum sie sich auf die
sektiererische Äußerung (die auch ich eine Schande finde) in Mursis Rede
konzentrierten und nicht auf den Rest, wo er syrische Zivilisten und ihre
Hoffnung auf Demokratie engagiert in Schutz nahm? Zudem sei es ihnen wohl
entgangen, dass Mursi auch Bezug nahm auf Ahl al-Bait (der Familie des
Propheten – die, wie die Schiiten glauben, seine rechtmäßigen Erben waren),
ein klarer Versuch, seine zuvor getätigte Äußerung wieder zu
neutralisieren.
Und was genau sei unlogisch an Mursis Rede, die gerade wegen ihrer Klarheit
weltweit für so viel Aufregung gesorgt hatte? Schließlich zeigte ich mich
noch erstaunt darüber, dass Leute eine zehnsekündige Hommage an sunnitische
Kalifen als klare Vorboten einer Theokratie lesen, während sie gleichzeitig
darum bemüht sind, sehr enge Beziehungen zur Iranischen Republik
aufzubauen.
Die Antworten auf meine Fragen, es tut mir leid, sie waren unlogisch. Meine
Gastgeber mögen die Muslimbrüder einfach nicht und sie trauen ihnen
deswegen auch nicht. Einer der Aktivisten formulierte es so: Jede Nacht
weckten ihn noch immer die Schmerzen in seiner Schulter und in seinem Kopf.
Er war auf dem Tahrirplatz vor einem Jahr zusammengeschlagen worden.
„Ich habe nicht für die Muslimbrüder gekämpft und sie nicht für mich. Sie
lügen die ganze Zeit: Sie haben gesagt, sie stellen keinen
Präsidentschaftskandidaten auf, sie haben gesagt, sie würden nicht mehr als
25 Prozent der Sitze im Parlament beanspruchen. Wie kann ich Menschen
vertrauen, die mich von Anfang an belogen haben?“ „Es ist aber keine
Liebesgeschichte, meine Freund, es ist Politik“. Wir lachten beide. „Ich
weiß, aber dafür habe ich nicht gekämpft.“ Und er hat recht.
## Muslimbrüder sind Lügner
Linken Kritikern muss man es nachsehen, wenn sie immer und immer wieder
darauf zurückkommen, dass die Muslimbrüder in vielen wichtigen Fragen
doppelzüngig und illiberal waren. Aber sie irren sich gewaltig, wenn sie
meinen begriffen zu haben, warum die Muslimbrüder als Sieger aus den Wahlen
hervorgingen. Sie sagen: „Die haben doch nur Öl und Brot beigesteuert.“
Dieser Satz illustriert exakt das Problem der Linken: ihre herablassende
Gleichgültigkeit gegenüber den Armen, ihre Annahme, dass 13 Millionen
Ägypter, die Mursi gewählt haben, einfach ahnungslos seien; ihre
Respektlosigkeit gegenüber Religion und dem Erbe der islamischen
Zivilisation, welche das Leben in vielen Landstrichen bis heute prägt.
So wie sich viele von der Vetternwirtschaft der Muslimbrüder und ihrer
Mittelmäßigkeit abgestoßen fühlen, so beeindrucken mich die belehrenden
Tweets, die Mohammed El Baradei gelegentlich aus Österreich schickt, längst
nicht mehr. Solange die Linke nicht die brutale Geschichte der Muslimbrüder
begreift und die eigenen Klischees überprüft, so lange wird sie
Unterstützung der Ägypter nicht bekommen.
Aus dem Amerikanischen: Ines Kappert
21 Sep 2012
## AUTOREN
Sarah Eltantawi
## TAGS
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Schwerpunkt Syrien
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