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# taz.de -- Leben mit HIV: Keine Ahnung von der Zukunft
> David hat stets verhütet, sich regelmäßig testen lassen und von einer
> eigenen Familie geträumt. HIV stand nicht auf dem Plan. Das Protokoll
> eines Jahres.
Bild: Solidarität mit HIV-Infizierten: Diese Aids-Schleife besteht aus 11.000 …
BERLIN taz | Ich habe geträumt, dass ich sterbe. Ich komme ins Himmelreich
und werde wiedergeboren – aber in die gleiche Situation: Ich habe HIV. Da
dachte ich: Was soll das denn? Hier ist doch irgendetwas falsch.
Vor einem Jahr habe ich erfahren, dass ich infiziert bin. Mein erster
Gedanke war: keine Kinder mehr. Ich bin immer eine gespaltene
Persönlichkeit gewesen. Bin weder Wessi noch Ossi noch Deutscher noch
Ausländer. Weder heterosexuell noch homosexuell. Aber das eine, was ich
immer haben wollte, war ein Kind. Einen kleinen Sohn.
Wegen John* habe ich mich testen lassen. Wir hatten etwas miteinander, und
er sagte, dass er Angst vor Aids habe. Sein Cousin in Afrika sei daran
gestorben. Mein letzter Test lag mehrere Monate zurück. Das passt doch gut,
dachte ich. Auch, um ihm die Angst zu nehmen. Ich wusste, es gibt im
Gesundheitsamt eine günstige Möglichkeit, anonym. Stepp ich doch mal rein
und erledige das schnell.
## „Ach ja, positiv“
Nach einer Woche kam ich wieder, um das Testergebnis abzuholen. Die junge
Beraterin ließ mich warten, nach einer Weile kam eine ältere Frau dazu.
„Ich bin hier, weil meine Kollegin noch unerfahren ist, die kriegt das
nicht alleine hin“, sagte sie. „Machen wir es kurz: Sie sind positiv.“
Moment. Geben Sie mir eine Atempause. Ich machte einen Folgetest. Beim
nächsten Termin schlug die Beraterin nur ihren Ordner auf: „Wo habe ich Sie
denn?“ Sie kramte in ihren Papieren: „Ach da. Ja. Positiv bestätigt.“
Wie gestaltet sich mein Leben jetzt? Wie lange lebe ich überhaupt noch?
Werde ich noch einmal Nähe erleben? Was ist, wenn ich mal hinfalle und
Nasenbluten habe? Ich habe mich bis zu diesem Tag nie wirklich mit dem
Thema auseinandergesetzt. Ich wusste, dass es das gibt, und ich wusste
auch, ich werde es nicht haben. Ich habe eigentlich immer verhütet.
Als ich noch in Hamburg lebte, hatte ich immer mit homoerotischen Gedanken
gespielt. Wegen meines Umfelds habe ich sie dort nicht ausleben können. Als
ich nach Kiel zog, wollte ich das probieren. Hier habe ich mich ausgelebt.
Ich habe nicht nach demjenigen gesucht, bei dem ich mich angesteckt habe.
Aber ich wurde mit dieser Frage konfrontiert: „Woher hast du das denn?“ Für
mich war schnell klar, dass mir persönlich die Antwort darauf nicht viel
bringt. Zu wissen, woher ich es habe, ändert nichts. Ich hatte früher mal
Risse am Mundwinkel. Offene Stellen. Mein Arzt meinte, dass es durchaus
davon kommen kann.
Als ich nach der Diagnose zurückrechnete und überlegte, wem ich Bescheid
sagen muss, waren es nicht viele. Ich hatte damals eine feste Freundin
gehabt und danach einen festen Freund. Beide sind negativ. Das war sehr
beruhigend.
Meiner Mutter habe ich es am Telefon erzählt, am selben Tag. Sie hat sehr
gefasst reagiert. Meine Mutter ist Ärztin und Rückschläge gewohnt. Sie
sitzt selbst im Rollstuhl nach einem Unfall und versucht, das Beste daraus
zu machen. Sie hat mir nie einen Vorwurf gemacht, sagte: „Damit müssen wir
jetzt eben umgehen.“ Ganz offen kann sie das allerdings nicht. Es sei meine
Sache, sagt sie, ob ich es jemandem in der Familie erzähle. Doch sie hat
mir gleichzeitig ans Herz gelegt, diese Menschen gut auszuwählen.
Ihrem Freund hat sie es bis heute nicht gesagt. Er ist auch krank, hat
ebenfalls ein schwaches Immunsystem. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte
es ihm erzählen oder einfach normal damit umgehen. Wenn er im Scherz sagt:
„Du bist ja der einzige Gesunde hier.“ Dann würde ich ihm gern sagen: „I…
bin auch im Club. Ich bin auch mit dem Thema Tod konfrontiert.“
## Der Vorzeigepatient
Es ist eine große Verantwortung, die man da trägt. Zumindest sehe ich das
so. Ich habe Menschen kennengelernt, die auch HIV haben und ganz anders
damit umgehen. Die trotzdem hemmungslos saufen, rauchen, Drogen nehmen.
Deren Status ist sehr schlimm: Sie müssen mehrere Medikamente nehmen und
immer wieder neue. Aber sie lassen sich nicht einschränken. Wenn du aber
tagein, tagaus grünen Tee trinkst, nicht mehr rauchst und Sport treibst,
also dein Immunsystem stärkst, ist es sehr wahrscheinlich, dass du ein
langes Leben führen kannst.
Anfangs habe ich mal überlegt, ob ich all die leeren Tablettenschachteln
sammeln soll und später moderne Kunst mache. In einen Raum würde ich einen
riesigen Behälter voller Schachteln stellen, um zu zeigen, was alles in
meinem Körper gelandet ist von diesen Hammerdrogen.
Ich habe den besten Status, den man haben kann: Ich habe ganz früh mit der
Therapie angefangen, alle meine Werte sind im Topbereich – ich bin der
Vorzeigepatient. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man sich an meinem Blut
anstecken kann. Aber gerade, weil so viele Informationen vorliegen, ist man
trotz dieses Wissens übervorsichtig. Bis jetzt ist mir noch nie ein Kondom
gerissen. Doch nach dem Sex heißt es, dem anderen klarzumachen: duschen.
Jetzt. Sofort.
Manche sagen, heute sei eine HIV-Infektion so akzeptiert wie Diabetes. Das
stimmt auf der einen Seite, das ist ja auch gut so. Man hat es im Griff.
HIV ist kein Todesurteil mehr. Andererseits stören mich diese Berichte:
„Menschen mit HIV in der Arbeitswelt.“ Kein HIV-Infizierter ist wie der
andere. Bei einigen gilt noch das alte Muster, die haben spät mit der
Medikation angefangen: Die nehmen mehr Medikamente, die haben mehr
Probleme. Dann gibt es Menschen, die haben HIV und führen ein ganz anderes
Leben. Ich bin nicht in dieser Gruppe. Ich bin trotzdem einfach David.
Ich musste mir bewusst werden: Durch den Umstand, dass ich von der
Infektion weiß und sie kontrolliere, bin ich für meinen Partner sogar eine
Sicherheitsgarantie. Da kann sich jemand von mir wegdrehen und dann schläft
er mit dem Nächsten, der nichts von einer Infektion weiß, sie aber im
enormen Maße hat – und steckt sich an.
John, wegen dem ich mich ja testen ließ, habe ich es damals am Telefon
gesagt. Er legte auf und war danach unter seiner Nummer nicht mehr
erreichbar. Ich habe ihn nie wieder getroffen.
Meinen ersten Sex nach der Diagnose hatte ich mit Roman. Ich habe es ihm
aber erst danach gesagt. Ich war eben noch unerfahren. Und klar, wie macht
man das? Mein Arzt sagte zu mir: „Du musst es nicht jedem sagen. Dafür gibt
es ja Kondome.“ Doch er habe die Erfahrung gemacht, dass sich Partner
betrogen fühlen, wenn man es zu spät sagt. Gleich nach der ersten Nacht mit
Roman hatte ich ein sehr schlechtes Gewissen. Er hatte sich in mich
verliebt und wollte mehr. Als ich es ihm sagte, war er mir dankbar für
meine Ehrlichkeit.
## Etwas Zweisames
Demenz ist das, wovor ich am meisten Angst habe. Dieser Kontrollverlust.
Trotz der Medikamente sind HIV-Infizierte besonders gefährdet, früh zu
erkranken. Jedes Mal, wenn ich mich ein paar Tage geistig nicht ganz fit
fühle, denke ich: Scheiße, ist es das schon? Eigentlich noch im Leben zu
sein, aber sich nicht mehr erinnern zu können. Und wie steht man dann da?
Man kann ja Demenz haben, wenn man eine Familie hat. Aber als homosexueller
Single mit Demenzerscheinungen – wer kümmert sich dann um einen?
Ich habe keine Ahnung von meiner Zukunft. Ich habe Wünsche, klar. Aber die
hat ja jeder. Ich wünsche mir irgendetwas Zweisames. Ob das jetzt eine Frau
oder ein Mann ist, spielt keine Rolle. Inzwischen weiß ich, dass ich
trotzdem Kinder haben kann. Mit künstlicher Befruchtung. Ich halte auch
Adoption für eine ziemlich gute Sache. Ich habe überlegt: Es muss gar nicht
mein eigenes Kind sein.
Ich glaube, man muss sich darüber bewusst werden, dass man alleine stirbt.
Immer. Jeder. Egal, in was für einer Beziehung man ist. Egal, was für eine
Familie man um sich hat. Man stirbt allein. Natürlich ist es schön, wenn da
ein Netz ist, wenn man in der Zeit davor den Kopf verliert. Ich glaube, man
muss einfach Vertrauen in die Welt haben – dass sie funktioniert. Dass man
den letzten Weg nicht alleine geht.
## Kontrollverlust
Ich habe im Winter eine Ausbildung zum Sterbebegleiter gemacht. Es ging mir
dabei nicht nur um die Auseinandersetzung mit dem Tod oder um ein weiteres
Ehrenamt. Sondern darum, für andere Menschen da zu sein. Und wenn es nur
ist, ihnen ab und zu ein paar Blumen vorbeizubringen. Oder mit ihnen Skat
zu spielen. Oder einfach nur eine gemeinsame Zigarette zu rauchen. Da ist
jemand da. Man spürt das.
Seit ich von der Diagnose weiß, habe ich etwas gewonnen und etwas verloren
in meinem Leben. Gewonnen habe ich einen Faden, eine Richtlinie. Man hat
auf einmal ein Thema. Den Blick für das Wesentliche. Vorher hat man sich
über alles Mögliche beschwert.
Verloren habe ich eine gewisse Leichtigkeit. Mir fehlt das Gefühl,
Kontrolle über die Dinge zu haben. Wenn man einen Partner hat, kann man
vieles besprechen. Etwa: „Lass deine Socken nicht überall liegen.“ Daran
kann man arbeiten. Aber jetzt gibt es diesen einen Punkt, der statisch ist.
Den man nicht ändern kann. Ich bin angekommen. Was soll noch Schlimmeres
passieren?
*Alle Namen geändert
25 Sep 2012
## AUTOREN
Kristiana Ludwig
## TAGS
Gesundheit
Schweiß
Schwerpunkt HIV und Aids
Ausgrenzung
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