# taz.de -- Zeichen des Protests: „Ein Symbol braucht Inhalt“ | |
> Die Aids-Schleife ist schön, die Anti-Atom-Sonne nicht – trotzdem sind | |
> beide Symbole erfolgreich. Design-Expertin Helen Hacker erklärt, warum. | |
Bild: Die Aids-Schleife ist gut, weil sie Bewegung hat, sagt Design-Expertin Ha… | |
sonntaz: Frau Hacker, wie kann ein so hässliches Symbol wie die | |
Anti-Atomkraft-Sonne so bekannt werden? | |
Helen Hacker: Man sieht dem Zeichen an, dass es schon relativ alt ist – 36 | |
Jahre, um genau zu sein. Im Oktober 2010 hat die Süddeutsche Zeitung einen | |
sehr bekannten deutschen Grafikdesigner, Erik Spiekermann, gefragt, wie | |
denn ein modernisiertes Anti-Atomkraft-Symbol aussehen würde. Er hat | |
daraufhin Vorschläge gemacht, und es gab einen Aufschrei in der Szene. Der | |
Tenor war: „Nein, lasst es so wie es ist.“ Es ist doch die Frage, was mit | |
einem solchen Symbol passiert, wenn es modernisiert wird. Verändert man | |
seine Aussage? So eine Langlebigkeit zeigt die Kraft des Symbols. Indem man | |
es wiederverwendet, sagt man auch: „Wir sind schon lange dagegen.“ Es ist | |
ein Thema, das die Leute schon lange beschäftigt. | |
Was ist überhaupt ein Symbol für eine Bewegung? | |
Es ist ein bildhaftes Zeichen für etwas, das nicht gegenwärtig ist, zum | |
Beispiel ein Gedanke, eine Haltung oder etwas, an das man glaubt. Es | |
funktioniert als eine Art Codierung zu einer Wahlgemeinschaft, etwa wenn | |
ich es mir als Button anstecke oder als Schild hochhalte. Ich codiere mich, | |
um anderen zu signalisieren: „Ich bin dieser Meinung.“ Ich kann mich so in | |
einer Gemeinschaft zusammenfinden, die der gleichen Meinung ist wie ich. | |
Gibt es Kriterien für ein gutes Symbol? | |
Ich glaube nicht, dass man da von Kriterien sprechen kann. Aus Sicht des | |
Kommunikationsdesigns sollte ein gutes Symbol auf jeden Fall | |
unverwechselbar sein. Außerdem sollte es eine gute Fernwirkung haben, also | |
auch aus einiger Distanz identifizierbar sein. Nicht schlecht ist auch, | |
wenn das Zeichen so einfach aufgebaut ist, dass man es ohne weitere | |
Ansichtshilfe nachzeichnen kann, so aus der Hand raus. Das geht zum | |
Beispiel bei dem Anarchisten-A, dem Peace-Zeichen oder dem | |
Hausbesetzer-Symbol. | |
Was wäre denn in dem Zusammenhang ein schlechtes Symbol? | |
Zum Beispiel das Straight-Edge-X, das finde ich sehr wenig unverwechselbar. | |
Das ist ein Kreuz, das mache ich doch für alles Mögliche. Ich finde den | |
Hintergrund des Symbols interessant, das X als solches ist für die Sache | |
aber relativ wenig aussagekräftig. | |
Muss man an einem Symbol schon erkennen, um was es geht? | |
Ich finde nicht. Da ist die Aids-Schleife ein gutes Beispiel. Da wird ja | |
jetzt nicht – wie sollte man auch – Aids gezeigt, sondern es ist einfach | |
ein Symbol, dass sich durchgesetzt hat. Mir fallen dazu Prominente in | |
Abendgarderobe ein, die die Schleife tragen. Das zeigt für mich, dass sich | |
das Zeichen etabliert hat und als ein schönes Symbol für eine schreckliche | |
Krankheit funktionieren kann. Das Symbol steht ohne inhaltlichen | |
Zusammenhang zu seiner Aussage an dieser Stelle. | |
Wann ist ein Symbol für eine Bewegung erfolgreich? | |
Ich glaube, wichtig ist, dass ein Bedürfnis in der Gesellschaft besteht | |
nach der Verwirklichung einer Idee, für die das Symbol steht. Und je | |
stärker das Bedürfnis ist, desto mehr wird sich das Symbol durchsetzen. | |
Darauf kommt es an. Man kann immer ein Symbol einfach so in die Welt | |
setzen, entscheidend aber ist, dass es sich danach inhaltlich auflädt. Nur | |
so wird es stark, nur so wird es benutzt. Da hat man als Gestalter relativ | |
wenig Einfluss drauf. Man kann nicht forcieren, dass Menschen es benutzen. | |
Das hängt immer ganz direkt mit der Idee zusammen. | |
Es gibt also kein Erfolgsrezept? | |
Nein. Das Logo einer Marke ist ja auch ein Symbol, auf einem neuem Produkt | |
etwa. Das wird in die Welt gesetzt, und dann kann man ganz viel werben | |
dafür. Der Erfolg hängt aber vom Produkt ab. Wenn ein Produkt Murks ist, | |
wird es auch trotz tollem Logo nicht funktionieren. Das, was hinter dem | |
Logo steht, muss tragfähig sein. Das gilt auch für Bewegungssymbole. Man | |
nehme das neue Human-Rights-Symbol, ein sehr schönes Zeichen. Allerdings | |
ist es noch sehr neu, und für mich hat es sich noch nicht mit Inhalt | |
aufgeladen. Ich bin wirklich neugierig, ob es sich durchsetzen wird. Alle | |
Zeichen, die sich durchgesetzt haben, wie das Anti-Atomkraft-Logo oder das | |
Peace-Zeichen, sind Zeichen, die gibt es schon lange. Aus grafischer Sicht | |
sind die Zeichen nicht immer besonders toll. Das ist aber irrelevant. | |
Ein Symbol muss nicht ästhetisch schön sein, um wirkungsvoll zu sein? | |
Nein, glaube ich nicht. Es kommt auf das an, wofür es steht. | |
Was fällt ihnen zum Peace-Zeichen noch ein? | |
Dazu fallen mir Jugendliche ein, die in den Siebzigerjahren gegen den Krieg | |
demonstrieren. Es ist auch ein sehr altes Zeichen, ich finde die Herleitung | |
des Symbols schön, seine Entstehung aus dem Winkeralphabet. Es ist ein sehr | |
wirkungsvolles Zeichen, weil es einzigartig ist und eine klare Form hat. | |
Sehr wiedererkennbar. Beim Peace-Zeichen ist es aber auch ein bisschen so | |
wie beim Symbol der historischen Piraten auf ihren Segelschiffen. Beide | |
haben ein bisschen ihre Aussagekraft verloren durch zu starke | |
Kommerzialisierung. | |
Was meinen Sie damit? | |
Das Piratensymbol wird extrem ad absurdum geführt durch Strassapplikationen | |
auf Lederjacken – als vermeintliche Provokation. Ich finde, wenn Symbole zu | |
sehr vermarktet werden, verkommen sie zu Dekoration, dann verlieren sie | |
ihre Bedeutung. Es ist wie bei Worten: Der Sinn eines Symbols ergibt sich | |
durch den Gebrauch. Für mich ist das Piratenlogo als Applikation auf | |
irgendwelchen Kleidungsstücken nicht mal mehr provozierend. Ein extremes | |
Beispiel ist auch das Abbild von Che Guevara, das wird ähnlich verwendet. | |
Für mich ist das nur noch reine Dekoration. Die meisten Leute, die so etwas | |
tragen, wollen damit nicht unbedingt eine Aussage treffen. | |
Warum benutzt man eigentlich Symbole? | |
Ein Symbol ist eine Vereinfachung der Aussage. Ich kann Menschen erkennen, | |
die ein Symbol tragen, die also eine bestimmten Meinung vertreten. Da sind | |
wir wieder bei der Codierung zu einer Wahlgemeinschaft. | |
Wie entwirft man überhaupt ein Symbol? | |
Es gibt einmal eine systematische Herangehensweise, bei der setzt man sich | |
zunächst allein mit der Thematik und ihren Hintergründen auseinander und | |
guckt, was es schon gibt und was passend sein könnte. Und dann gibt es eine | |
emotionale Herangehensweise, die Frage: Wie wirkt das? Das sind zwei | |
Punkte, die man gegeneinander abwägt. Idealerweise enthält dann so ein | |
Symbol beides. Zum Beispiel bei der Anonymous-Maske, die hat wahnsinnig | |
viel Hintergrundgeschichte. | |
Was ist der emotionale Anteil im Fall Anonymous? | |
Es geht da um ein Bauchgefühl. Man guckt da drauf, und es löst etwas aus. | |
Im Falle der Anonymous-Maske ist es die Anonymisierung, die soll Furcht | |
einflößen, gruseln und Ungewissheit auslösen. Der Betrachter weiß ja nicht, | |
wer hinter so einer Maske steckt. Wenn ich mehrere Menschen mit solchen | |
Masken auf der Straße antreffe, dann ist das schon ein beeindruckendes | |
Bild. Sie wollen ja auch ein bisschen bedrohlich wirken. Das ist Absicht, | |
und das erfüllt das Symbol. Es geht immer um Wirkung, welche Wirkung man | |
erreichen will. | |
Was ist generell für Sie das eindrucksvollste Symbol? | |
Es ist schwierig zu trennen, einerseits die grafische Qualität und | |
andererseits meine persönliche Haltung zu den Themen. Aus grafischer Sicht | |
finde ich die Aids-Schleife sehr gelungen. Sie ist nicht einfach nur ein | |
Punkt, sondern ein harmonisches, in sich geschlossenes Zeichen. Sie hat | |
eine Bewegung. | |
29 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Daria Hufnagel | |
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