| # taz.de -- Georgien nach den Parlamentswahlen: Immens hohe Erwartungen | |
| > Nach dem Sieg der Opposition muss der alte Präsident mit einem Parlament | |
| > regieren, das Nein sagen kann. Ein völlig neue Erfahrung. | |
| Bild: Georgiens Wahlsieger: Der milliardenschwere Geschäftsmann Bidsina Iwanis… | |
| TIFLIS taz | David Jishkariani ist erleichtert. „Ich hatte gedacht, dass | |
| die Machthaber die Wahlen massiv fälschen würden. Und dass die Menschen | |
| diesen Betrug nicht hinnehmen und wieder auf die Straße gehen werden“, sagt | |
| der 26-jährige Historiker. „Doch dass die Vereinigte Nationale Bewegung so | |
| einfach abtritt, so etwas hätte ich nie erwartet.“ | |
| Was den jungen Mann so überraschte: In einer Fernsehansprache hatte | |
| Georgiens Staatspräsident Michail Saakaschwili am Dienstag die Niederlage | |
| seiner Regierungspartei Vereinigte Nationale Bewegung (UNM) bei den | |
| Parlamentswahlen vom vergangenen Montag eingeräumt. Seine Partei werde nun | |
| in die Opposition gehen, kündigte er an. | |
| Mittwochnachmittag, als 97,03 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, gab die | |
| Zentrale Wahlkommission die jüngsten Ergebnisse bekannt: Danach liegt das | |
| Oppositionsbündnis „Georgischer Traum“ des Milliardärs Bidsina | |
| Iwanischwili, dem sechs Parteien angehören, mit 55 Prozent deutlich vor der | |
| bislang regierenden UNM (40,27 Prozent). Alle anderen scheiterten an der | |
| Fünfprozenthürde. Von den Direktmandaten (73 der insgesamt 150 Sitze im | |
| Parlament) gehen 37 an die UNM und 35 an den „Georgischen Traum“. Die | |
| Wahlbeteiligung lag bei 58 Prozent. | |
| Am Wahltag selbst war es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. So konnten 5.530 | |
| Wähler in der Hafenstadt Poti nicht abstimmen, weil zu wenig Stimmzettel | |
| angeliefert worden waren. In der Kleinstadt Chatschuri kam es zu | |
| Schießereien, nachdem Einheiten eines Sonderkommandos aus mehreren | |
| Wahllokalen die Stimmzettel entwendet hatten. Hier soll in zwei Wahllokalen | |
| die Abstimmung für ungültig erklärt werden. | |
| ## Zufriedene Wahlbeobachter | |
| Dennoch bewerteten die internationalen Beobachter der Organisation für | |
| Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Abstimmung insgesamt | |
| positiv: Trotz eines sehr stark polarisierten Wahlkampfs hätten die Wähler | |
| ihren Willen an den Urnen frei ausdrücken können, heißt es in einer ersten | |
| Stellungnahme. | |
| Mit der Abwahl der UNM entsteht in Georgien eine neue Konstellation. Bisher | |
| verfügte der Präsident über eine erdrückende Mehrheit im Parlament. Seit | |
| seinem Amtsantritt 2003 konnte er deshalb quasi im Alleingang | |
| durchregieren. Eine 2010 beschlossene Verfassungsänderung, die die Macht | |
| des Staatschefs zugunsten des Premierministers beschränkt, tritt erst 2013 | |
| in Kraft. Doch nun muss der Präsident, dessen Amtszeit erst im Oktober 2013 | |
| endet, mit einem Parlament regieren, in dem die Opposition die Mehrheit | |
| hat. | |
| Wie diese Zusammenarbeit funktionieren kann, muss sich zeigen. Wahlsieger | |
| Bidsina Iwanischwili forderte den Präsidenten bereits zum Rücktritt auf. | |
| Dies wäre die beste Lösung, eine politische Krise zu vermeiden, sagte er. | |
| So viel ist klar: Die Erwartungen der Bevölkerung an die neue Regierung | |
| sind immens. | |
| „Das Bildungssystem muss endlich reformiert werden“, sagt der 21-jährige | |
| Giorgi Gubelia. Er gehört zu den Organisatoren der Massenproteste von | |
| Studenten, die nach der Veröffentlichung von Foltervideos aus einem | |
| Tifliser Gefängnis im September auf die Straße gegangen waren. 12.000 | |
| Studenten hätten in den vergangenen Monaten ihr Studium abbrechen müssen, | |
| weil sie die Studiengebühren von 1.800 Dollar jährlich nicht hätten | |
| aufbringen können. „Wenn da nichts passiert, werden wir weiter Druck | |
| machen“, sagt er. Und eine Passantin meint: „Ich hoffe jetzt auf | |
| Gerechtigkeit und darauf, dass das Justizsystem reformiert wird. | |
| Diejenigen, die für die Verbrechen der letzten acht Jahre verantwortlich | |
| sind, müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden.“ | |
| 3 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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