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# taz.de -- Griechische Einwanderer in Berlin: Flucht der Ausgebildeten
> In Berlin entsteht eine neue griechische Einwandererszene, besonders
> junge Menschen suchen hier ihr Glück. Arbeit finden nur die gut
> Qualifizierten.
Bild: Maria Oikonomidou berät Neuankömmlinge im Büro der Hellenischen Gemein…
BERLIN taz | „Ich habe Angst, dass die Krise auch Deutschland erreicht“,
sagt Kalliopi Kollia. Die junge Griechin sitzt in einem gut besuchten
Kreuzberger Café und rührt in ihrem Cappuccino. „Wir waren genauso sorglos
wie die Menschen hier, haben unser Leben genossen – aber dann sind die
Löhne ausgeblieben und die Preise explodiert.“ Seitdem hält die Krise
Griechenland eisern im Griff – und treibt junge Griechen wie Kalliopi in
Scharen ins Ausland.
Seit einem Jahr lebt die 30-Jährige in Berlin. Sie hat in Athen
Umwelttechnik studiert und an der Universität im Labor gearbeitet. „Sie
konnten mich nicht mehr bezahlen“, sagt sie. „Die Unis leiden sehr stark
unter der Krise, sie haben kein Geld mehr für die Forschung.“ Jetzt jobbt
Kalliopi, die von ihren Freunden „Popi“ genannt wird, in einem Restaurant,
wohnt bei einer deutsch-griechischen Familie, lernt Deutsch – und hofft,
eines Tages wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können.
„Jeder, der eine Ausbildung hat, verlässt Griechenland“, sagt Kalliopi. Und
nicht nur Griechenland: In dem mexikanischen Lokal, in dem sie in Berlin
jetzt kellnert, arbeiten überwiegend Italiener und Spanier – und jeden Tag
schauen weitere Südeuropäer herein und fragen, ob eine Stelle frei ist,
erzählt sie.
## Fast verdoppelt
Zwar kommen die meisten Neuzuwanderer hierzulande noch immer aus dem Osten
Europas, aber immer mehr Griechen, Italiener und Spanier fliehen vor der
wirtschaftlichen Misere in ihren Ländern nach Deutschland. Die Zahl der
nach Deutschland gezogenen Griechen hat sich von 2010 bis 2011 fast
verdoppelt: von 8.200 auf 16.200, Tendenz steigend.
Ablesen lässt sich dieser Trend auch an den Integrationskursen. Zwar bilden
bisher neben Spätaussiedlern noch Teilnehmer mit türkischer und polnischer
Staatsangehörigkeit die Mehrheit, doch die Griechen sind im ersten Quartal
2012 schon an die siebte Stelle gerückt – 2011 belegten sie noch Platz 17.
Ein weiteres Indiz für den Drang nach Deutschland ist die Facebook-Gruppe
„Greek Berliners“, die sich in der Hauptstadt gebildet hat. Sie weist
inzwischen 2.200 Mitglieder auf, die sich bei der Wohnungssuche helfen, auf
Jobs hinweisen, Tipps für Behördengänge geben oder einfach Freundschaften
knüpfen.
Entsteht da in Berlin eine neue griechische Emigrantenszene? „Eher eine
neue Arbeitslosenszene“, ätzt Nikos Foskolos, der mit zwei Freunden in
Prenzlauer Berg das Misirlou betreibt. Das Café ist Anlaufstelle für viele
Neuankömmlinge geworden. Nikos schätzt, dass letztes Jahr 2.000 bis 3.000
Griechen nach Berlin kamen – einige für zwei Wochen, andere für länger.
## Ein „mystisches Bild“
„Berlin ist beliebt, weil es günstig ist“, so Foskolos. Aber viele brächt…
„ein geradezu mystisches Bild“ von der Stadt mit. Dass es auch hier
Arbeitslosigkeit gibt, wüssten sie oft nicht. „Wer gut qualifiziert ist und
Berufserfahrung besitzt, hat Chancen. Aber wer gerade erst sein Studium
beendet hat, nicht“, lautet sein Fazit.
Foskolos überrascht es, wie wenig Deutschland auf die Migrationswelle
vorbereitet ist: „Die Jugendarbeitslosenquote ist in Griechenland
bekanntlich sehr hoch, viele wollen weg.“ Der 41-Jährige kam bereits vor 16
Jahren nach Deutschland, um Philosophie zu studieren. „Das war eine andere
Zeit“, sagt er. „Ich bin zum Spaß hierhergekommen. Heute kommen die Leute,
weil sie dazu gezwungen sind.“
Am anderen Ende der Stadt berät Maria Oikonomidou Neuankömmlinge. Rund 20
Menschen aus Griechenland schauen jede Woche im Büro der Hellenischen
Gemeinde in Steglitz vorbei. Viele haben ein Studium abgeschlossen – aber
es kommen auch Ungelernte und ganze Familien. „Viele haben völlig falsche
Vorstellungen vom Leben in Deutschland“, sagt auch Maria Oikonomidou. Dabei
rufen manche sogar von Griechenland aus bei ihr an, um schon vor der
Auswanderung Rat zu suchen.
Oikonomidou weiß aus erster Hand, wie schwierig es ist, sich in der neuen
Umgebung zurechtzufinden. Die 28-Jährige zog selbst erst vor einem Jahr von
Athen nach Berlin. In Griechenland hat sie Museologie studiert, sie spricht
fließend Deutsch. „Aber auch mir ist es bislang nicht gelungen, mein Diplom
anerkennen zu lassen.“
## Zu zehnt ein Zimmer
Dabei hat sie noch Glück gehabt. Andere Griechen quartieren sich nach ihrer
Ankunft in einem Hostel ein oder teilen zu zehnt ein Zimmer, um über die
Runden zu kommen. Zwar sind EU-Bürger als Einwanderer privilegiert, aber in
den Jobcentern können sie nicht immer auf Verständnis hoffen, und
Sozialleistungen zu beantragen wird ihnen schwer gemacht.
Der Journalist Vassili Vougiatzis hat sich den „Greek Berliners“ auf
Facebook angeschlossen. Der 38-Jährige ist als Sohn eines „Gastarbeiters“
in Deutschland aufgewachsen. Mit seiner Kollegin Mosjkan Ehrari, die
mehrere Jahre in Griechenland gelebt hat, drehte er im vergangenen Jahr den
Dokumentarfilm „Message from Greece“ – das einfühlsame Porträt einer
Generation junger Griechen zwischen Ausharren und Auswanderung. „Die
Griechen waren mal die Lieblingsmigranten der Deutschen“, konstatiert
Vougiatzis trocken. Doch seit der Krise seien sie in der Gunst gesunken.
„Nicht jeder in Griechenland hat die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen“,
betont Vassili Vougiatzis. Es seien gerade die jungen, mobilen, gut
ausgebildeten und ungebundenen Griechen, die das Land verlassen. Seine
eigene Schwester hat in Griechenland studiert, lebt im Norden des Landes
und arbeitet dort als Lehrerin. Sie hat zwei Kinder im Alter von 13 und 15
– „da ist es schwierig, im Ausland noch einmal von vorne anzufangen“, wei…
Vassili Vougiatzis. „Sie beißt eben die Zähne zusammen“, sagt er.
4 Oct 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Migranten
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