# taz.de -- Transportsystem für Spenderherzen: Damit das Herz frisch bleibt | |
> Das Organ Care System soll die Zahl der Transplantationen erhöhen, | |
> verspricht der Hersteller. Dabei ist das Gerät kaum getestet und schwer | |
> zu bedienen. | |
Bild: Ein Herz kann man nicht reparieren. Und transportieren ist auch nicht so … | |
Die Hoffnungen waren immens. Bis in die USA reiste eine siebenköpfige | |
Delegation des Gesundheitsausschusses im Mai 2011 auf Kosten des Deutschen | |
Bundestags. In Andover nahe Boston ließen sich die Parlamentarier aus | |
erster Hand, beim Medizinprodukte-Hersteller TransMedics, zeigen, was kurze | |
Zeit später in Deutschland als Durchbruch in der Transplantationsmedizin | |
verkauft werden sollte: das Organ Care System, kurz OCS, ein innovatives | |
Transportsystem für Spenderherzen. | |
„Wie OCS funktioniert, wurde uns am Schweineherz demonstriert“, erinnert | |
sich Kathrin Senger-Schäfer von der Linkspartei. Dies muss beeindruckend | |
gewesen sein: Das Herz des Tiers wurde für den Transport zu seinem – | |
fiktiven – Empfänger nicht auf Eis in eine schlichte Kühlbox gelegt, wie | |
sich das bei menschlichen Organen bewährt hat. Stattdessen hängten die | |
Versuchsleiter es mit Zangen und Kabelbindern in einen komplizierten | |
Kasten. In diesem konnte das Herz während des Transports auf etwaige | |
unentdeckte Erkrankungen, beispielsweise der Herzkranzgefäße, untersucht | |
werden. | |
Darüber hinaus wurde es auch noch durchblutet, es schlug also. Das alles | |
sollte seine Haltbarkeit verbessern und somit auch Transporte von weniger | |
robusten Herzen und über weite Strecken ermöglichen. Die Rede war von bis | |
zu neun Stunden. Bei eisgekühltem Transport gelten als Faustformel für die | |
Überlebensdauer von Herzen drei, maximal vier Stunden. | |
Die Präsentation für die deutschen Gäste war TransMedics eine ganzseitige | |
Pressemitteilung wert: „Während ihres Besuchs unterrichtete der weltweit | |
anerkannte Herz- und Lungentransplantationsexperte Prof. Dr. med. Martin | |
Strüber von der Medizinischen Hochschule Hannover die Delegation über die | |
gegenwärtigen Probleme bei Herz- und Lungentransplantationen in Deutschland | |
und über das Potenzial der OCS-Technologie, diese Situation entscheidend zu | |
verbessern.“ | |
## Der Experte als Berater | |
Was in der Euphorie fast unterging: Der Transplantationsexperte Strüber, | |
mittlerweile am Herzzentrum Leipzig, berät nebenbei schon mal TransMedics. | |
Strüber treibt gerade maßgeblich ein Forschungsvorhaben voran, das | |
TransMedics helfen könnte, auf dem deutschen Markt so richtig Fuß zu | |
fassen. | |
Zufällig sitzt Strüber inzwischen auch dem sogenannten Steuerungsausschuss | |
vor, der die klinische Umsetzung des OCS-Vorhabens, seine Datenerfassung | |
und das Monitoring überwachen soll. Allein, und auch das blieb in Andover | |
unerwähnt: Es gibt keinen Beleg, dass OCS auch nur eines seiner vielen | |
Versprechen in der Praxis hält. | |
Es gab Tierversuche und Transporte unter Laborbedingungen, auch vereinzelte | |
klinische Einsätze in den USA und ab 2006 in Deutschland, insgesamt | |
hierzulande um die fünfzig. Von denen gingen nach Recherchen der taz | |
mindestens fünf, der letzte im Mai 2012 in Leipzig, aufgrund der | |
unausgereiften Technik so gehörig daneben, dass die Herzen nicht mehr | |
verpflanzt werden konnten. Aus gutem Grund erlaubt die | |
Food-and-Drug-Administration als Aufsicht OCS in den USA bislang nur zu | |
Forschungszwecken. | |
Trotzdem soll OCS jetzt in Deutschland im großen Stil erprobt werden, und | |
zwar auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Sieben | |
Herztransplantationszentren wollen sich an einer sogenannten kontrollierten | |
Registerstudie beteiligen, die herausfinden soll, ob und mit welchen | |
Überlebensraten dank OCS in Deutschland mehr Herzen, auch schlechterer | |
Qualität, transplantiert werden können. Eigentlich sollte das Ganze schon | |
im Frühjahr losgehen, doch nach nur zwei Einsätzen, von denen einer | |
scheiterte, wurde die Studie Mai 2012 ausgesetzt. | |
Die Organkommission Herz der Deutschen Transplantationsgesellschaft will am | |
Dienstag beraten, wie und ob es mit OCS weitergeht, nachdem TransMedics | |
zugesichert hat, die Befestigungsvorrichtungen für die Herzen verbessert zu | |
haben: Geplant sind 245 OCS-Transporte in zwei Jahren – bei Kosten von | |
29.500 Euro pro Einsatz allein für die Verbrauchsmaterialien. Diese dürfen | |
aufgrund der Hygienevorschriften nur einmal benutzt werden. | |
## Transport für 43.800 Euro | |
Insgesamt wird ein OCS-Einsatz mit 43.881 Euro beziffert. Ein herkömmlicher | |
Transport auf Eis kostet ungefähr 6.000 bis 7.000 Euro, Personalkosten | |
eingerechnet. Bei OCS kommen dazu noch Ausgaben von etwa 300.000 Euro plus | |
Mehrwertsteuer pro teilnehmender Klinik für je zwei Basisgeräte, sprich die | |
Transportkästen. „Da hat eine Firma einen Weg gefunden, mit medizinischem | |
Unsinn unglaubliches Geld zu verdienen“, sagt ein Herzchirurg, dessen | |
Klinik an der Studie teilnehmen soll. „Wir Ärzte sind bisher nur am Schwein | |
geschult worden.“ | |
Und diese Studie soll nicht der Hersteller bezahlen, der den Markt erobern | |
will, aber den Patientennutzen noch nicht nachweisen konnte, zahlen sollen | |
die Herzkliniken und die gesetzliche Krankenversicherung. Um mehr als 10 | |
Millionen Euro will diese das Budget der für die Organtransporte | |
zuständigen Deutschen Stiftung Organtransplantation erhöhen, damit die | |
umstrittenen Einsätze stattfinden können. | |
Deren Medizinischer Direktor, Günter Kirste, warnt in einem internen | |
Schreiben an seine geschäftsführenden Ärzte: „Bedauerlicherweise ist das | |
ganze Vorhaben keine Studie und wissenschaftlich außerordentlich schwierig | |
in der Evaluierung.“ Um statistisch belastbare Ergebnisse zu erhalten, | |
darüber sind sich die Mediziner einig, wären mindestens 1.000 | |
Transplantationen nötig. Kirste schreibt: „Dennoch möchte ich Sie bitten, | |
den Einsatz des Systems positiv und mit voller Energie zu unterstützen.“ | |
Was im Arzneimittelbereich undenkbar wäre, ist im Bereich der | |
Medizinprodukte gang und gäbe: „Derzeit liegen noch keine Studien vor, die | |
eine Äquivalenz oder gar eine Überlegenheit des Systems gegenüber dem | |
deutlich einfacheren und kostengünstigeren ’Cold-Storage‘-Verfahren | |
belegen“, räumt der GKV-Spitzenverband ein. Und begründet sodann, weshalb | |
er trotzdem eine zweistellige Millionensumme riskiert: „Allerdings lassen | |
die bisherigen Erfahrungen mit dem OCS-Einsatz hoffen, dass die Anzahl der | |
für eine Transplantation geeigneten Spenderherzen gesteigert werden kann.“ | |
## Dreijahresüberlebensrate von 82 Prozent | |
Hoffen lassen die Erfahrungen nicht wirklich. Das Herzzentrum | |
Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen etwa teilt mit, zwischen 2006 und | |
2008 an den ersten OCS-Versuchen im Rahmen einer winzigen, | |
herstellerfinanzierten Studie teilgenommen zu haben: „Im genannten Zeitraum | |
wurden 29 Herztransplantationen durchgeführt, bei denen das OCS zum Einsatz | |
kam. Drei Transplantationen konnten aufgrund technischer Mängel nicht | |
erfolgen.“ Von den 29 Patienten lebten heute noch 22. Die | |
Dreijahresüberlebensrate habe 82 Prozent betragen. | |
Auch am Deutschen Herzzentrum in Berlin wurde OCS während zwei | |
Erprobungsphasen zwischen 2006 und 2010 etwa zwei Dutzend Mal eingesetzt. | |
„In der allerersten Phase hatten wir einen Zwischenfall“, erinnert sich | |
Zentrumsdirektor Roland Hetzer. „Das Herz rutschte von der Kanüle und war | |
dann leider nicht mehr transplantabel.“ Die OCS-Technik sei aber inzwischen | |
verbessert worden. | |
Wirklich? Am 11. Mai 2012 versuchen Ärzte vom Herzzentrum Leipzig, ein | |
Spenderherz in dem OCS-Kasten zu befestigen, doch das Herz rutscht ab. „Die | |
Aufhängung im OCS für den Transport war offensichtlich nicht ausreichend | |
stabil“, bedauert der Steuerungsausschussvorsitzende Strüber im Juli 2012 | |
in einem Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium: „Trotz aller | |
Sorgfalt weisen Fotos des Spenderorgans darauf hin, dass der | |
Befestigungsring (Kabelbinder) teilweise zu nah am Absetzungsrand der | |
Spenderaorta platziert wurde.“ Weitere Rettungsversuche scheitern auch | |
daran, dass die Ärzte versäumten, für den Notfall die herkömmliche Kühlbox | |
mitzunehmen. | |
Roland Hetzer in Berlin weiß um die Kritik. Dennoch verteidigt er OCS: „Der | |
Mangel an Spenderherzen ist enorm. Unsere Patienten warten mittlerweile im | |
Schnitt sechs bis acht Monate auf der Intensivstation, bevor sie ein Organ | |
bekommen.“ Im Jahr 2009 hofften 900 Patienten in Deutschland auf ein Herz. | |
Tatsächlich verpflanzt werden konnten nur 346. In einer solchen Situation | |
sei es unerlässlich, sagt Hetzer, Methoden auszuprobieren, die hoffen | |
ließen, aufgrund der besseren Transportbedingungen Herzen auch von | |
außerhalb Deutschlands einzufliegen. | |
## Spenderherzen aus Asien | |
Als ob diese dort nicht gebraucht würden. In Chirurgenkreisen träumt man | |
bereits von Griechenland, Nordafrika, Asien. Und zwar nicht aus Altruismus | |
– Transplantationen sind die bestbezahlten Operationen. Die Kliniken sind | |
gehalten, Kapazitäten auch auszulasten. | |
Notfalls auch, indem sie Herzen suboptimaler Qualität verpflanzen. „Wir | |
wollen das OCS-Gerät ja nur bei älteren oder bei Risiko-Herzspendern | |
einsetzen“, verteidigt Strüber das Vorhaben. Es gehe also darum, | |
zusätzliche Herzen zu gewinnen, die unter normalen Umständen gar nicht | |
verpflanzt werden könnten. Dank OCS könnten diese Herzen besser untersucht, | |
unter Umständen behandelt werden. | |
Ob das so stimmt, darf bezweifelt werden. Mehrere Herzchirurgen berichteten | |
der taz, aus Verzweiflung über den Organmangel würden längst auch Herzen | |
von Spendern verpflanzt, die älter als 55 Jahre seien. „Und diese Herzen“, | |
sagt ein Kritiker, „transportieren wir bislang auch sehr gut auf Eis.“ | |
9 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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