# taz.de -- Trend bei Krankenversicherung: Umgekehrte Zweiklassenmedizin | |
> Mit vielen Tricks suchen Privatversicherte den Weg in die Gesetzlichen. | |
> Zur Techniker drängen zehnmal mehr Menschen aus den Privaten als | |
> umgekehrt. | |
Bild: Für Privatversicherte teurer: ein Allgemeinarzt | |
BERLIN taz | Wolfgang Krüger* betreibt in Berlin einen kleinen Kunsthandel, | |
die Geschäfte laufen schlecht. Die private Krankenversicherung, die er in | |
jüngeren Jahren abschloss, verschlingt mit inzwischen über 600 Euro Prämie | |
fast die Hälfte seines Nettoeinkommens. K. möchte in die gesetzliche Kasse | |
wechseln – doch das geht nur mit einem schwierigen Manöver. | |
Krüger lässt sich bei einem Bekannten für ein Jahr lang in einem | |
Teilzeitjob mit 800 Euro brutto im Monat anstellen. Er darf so in die | |
gesetzliche Kasse wechseln, die Nebeneinkünfte als Selbstständiger muss er | |
auf ein Minimum reduzieren. Erst nach einem Jahr in der | |
Angestelltenversicherung kann er seine Einkünfte aus dem Handel wieder | |
steigern und sich dann freiwillig gesetzlich versichern lassen. | |
Manöver wie das von Krüger werden von vielen Privatversicherten erwogen. | |
Denn während es vor einigen Jahren noch als Privileg galt, als Gutverdiener | |
in eine Privatkasse wechseln zu dürfen, dreht sich der Trend um: Immer mehr | |
Privatversicherte wollen lieber wieder in eine gesetzliche Kasse. | |
In der Techniker Krankenkasse (TK) beispielsweise lag der Anteil der | |
Zugänge von einer privaten Krankenkasse in die TK seit Jahresbeginn rund | |
zehnmal so hoch wie der Anteil derjenigen, die von dieser gesetzlichen | |
Kasse in eine Privatkasse wechselten, berichtet eine TK-Sprecherin. Bei der | |
Barmer GEK kamen im vergangenen Jahr 24.000 Leute aus der Privatkasse zur | |
Barmer GEK, nur 11.100 Menschen wählten den umgekehrten Weg. Dieses | |
Zahlenverhältnis war vier Jahre zuvor noch ausgeglichen. | |
## Angst vor steigenden Prämien | |
„Als Grund für die Rückkehr in die gesetzliche Krankenkasse berichten uns | |
viele Menschen von Ängsten, die mit dem Alter steigenden Prämien in der | |
privaten Krankenversicherung nicht mehr aufbringen zu können“, sagt | |
Athanasios Drougias, Sprecher der Barmer GEK. Vor allem Leute im Alter von | |
über 45 Jahren und Eltern mit kleinen Kindern bemühten sich, wieder in die | |
gesetzliche Kasse zu kommen, erklärt TK-Vorstandschef Jens Baas. | |
Die Beiträge für die gesetzlichen Kassen sind einkommensabhängig, für die | |
Privatkassen gilt das nicht. Den Privatversicherten fällt inzwischen auf, | |
dass sie mit ihren steigenden Prämien vor allem die großzügig abrechnenden | |
Ärzte bezahlen, die sich an den Privatpatienten gern gesundstoßen. | |
Aber nur wer unter 55 Jahre alt ist und als Angestellter für mindestens ein | |
Jahr unter die Versicherungspflichtgrenze von 53.550 Euro sinkt, kann | |
wieder ins gesetzliche System zurück. Im Internet kursieren Tipps, wie man | |
sein Bruttogehalt vorübergehend reduziert, etwa durch eine | |
Arbeitszeitverringerung oder durch das Ansparen von Arbeitszeit auf | |
Langzeitkonten. | |
Selbstständige, die in den vergangenen Jahren durchgehend privat versichert | |
waren, müssen sich für zwölf Monate sozialversicherungspflichtig anstellen | |
lassen. Eventuelle Nebeneinkünfte aus der Selbstständigkeit dürfen den | |
Verdienst aus dem Angestelltenverhältnis dann keinesfalls überschreiten, | |
sagt ein Versicherungsexperte der TK. | |
## Der Basistarif ist zu teuer | |
Wer älter ist als 55 Jahre, kann in der Regel nicht mehr aus der | |
Privatversicherung in eine gesetzliche Kasse wechseln. Allerdings kursieren | |
auch hier Tipps, wie man durch die Ehe mit einem gesetzlich versicherten | |
Partner und die Reduzierung des Einkommens auf weniger als 375 Euro im | |
Monat über die Familienversicherung in die gesetzliche Kasse wechseln kann, | |
wenn man diese brotlose Zeit ein Jahr durchhält. | |
Privatkassen sind zwar verpflichtet, ihren Versicherten einen Basistarif | |
mit den Grundleistungen der gesetzlichen Kassen anzubieten. Doch der | |
Basistarif kostet 628 Euro im Monat – nicht gerade eine Summe, die ein | |
Selbstständiger mit Niedrigeinkommen mal eben so aufbringt. Von den rund | |
140.000 Menschen ohne Krankenversicherung in Deutschland kehrten im | |
vergangenen Jahr trotz erleichterter Bedingungen nur rund 8.000 Personen in | |
eine Krankenkasse zurück. Wer vorher nicht gesetzlich versichert und | |
selbstständig war, hatte auch jetzt nur die Möglichkeit, sich privat | |
versichern zu lassen. Für den Basistarif in der Privatkasse verdienten | |
diese Leute möglicherweise einfach nicht gut genug. | |
*Name geändert | |
11 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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