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# taz.de -- Terrorismus im Theater: Windungen einer Wahrheitssuche
> So schnell wie eine Politthriller-Verfilmung: Das Berliner Maxim Gorki
> Theater bringt Yassin Musharbashs Terror-Roman „Radikal" auf die Bühne.
Bild: Kein Raum für Zwischentöne schafft der gläserne Verhörkasten, das Her…
Die Bombe explodiert gleich am Anfang. Ausgerechnet in einer TV-Talkshow.
Unter den Opfern ist der ägyptisch-deutsche Abgeordnete Lutfi Latif, der
zuvor bereits von islamistischen Extremisten bedroht wurde. Spannung liegt
von nun an in der Luft, und nicht nur das. Die Regisseurin Anna Bergmann
dreht am Maxim Gorki Theater die Bedrohungsgefühle groß auf: Neonlicht
flackert, dräuende Musik unterlegt die Handlung, die auf der Bühnenleinwand
immer wieder auch aus der Perspektive von Überwachungskameras erzählt wird.
Der Abend folgt dem Vorbild von Politthriller-Verfilmungen. In schnellen
Szenen und allzu dichtem Ablauf entwickelt sich eine Ermittlungsgeschichte,
in der jeder wie mechanisch eigene Interessen verfolgt: der BKA-Beamte muss
Ergebnisse vorweisen, die Journalisten beschwören die Gefahr lieber, als
sie zu entkräften, und die Islamhasser aus den besseren
Gesellschaftskreisen legen geschickt falsche Spuren, um islamfeindliche
Stimmung zu schüren. Mittendrin die leutselige Studentin Sumaya und vor
allem der Terrorexperte Samson, der sich selbst in eine rechtsbürgerlichen
Radikalenbewegung einschleust, um dort den wahren Attentäter zu finden.
Anna Bergmanns Inszenierung von „Radikal“ hält den ausgefeilten Windungen
dieser Wahrheitssuche allerdings nicht stand. Yassin Musharbashs Roman hat
es auf die Bestsellerliste gebracht, weil die möglichen Wurzeln einer
Radikalisierung genau und realistisch geschildert sind. Der emotionale
Überschuss, mit dem die Regisseurin die Beteiligten argumentieren lässt,
versperrt jedoch das Gehör, egal, ob aus dem konservativen Lagern
intellektuell mithilfe der Menschenrechte argumentiert wird oder sich ein
muslimischer Jugendlicher aufgebracht wehrt, wegen seiner Herkunft unter
Generalverdacht zu fallen.
Oft wird an der Rampe gesprochen. Das mag mit dem Bühnenbild
zusammenhängen: Ein gläserner Verhörkasten, der von Büromöbeln umstellt
ist, sich ständig dreht und Zwischentöne eher verbannt. Wie die Milieus
charakterisiert sind und wie die Terroristen sich in ihnen entwickeln,
bleibt völlig unscharf. Aber nicht, weil Unauffälligkeit ihr Merkmal wäre,
sondern weil die Regisseurin diese Unschärfe setzt.
## Freund und Feind
Yassin Musharbashs Roman erschien kurz vor dem Attentat von Anders Breivik
und bevor die Zwickauer NSU-Zelle aufgedeckt wurde. Die frei erfundene
Geschichte wirkte durch diese Ereignisse plötzlich realistischer, als einem
lieb sein konnte. Dass das Maxim Gorki Theater „Radikal“ ein Jahr nach dem
Erscheinen auf die Bühne bringt, ist schon ein kleiner Coup, aber das
erhoffte Eigenleben schafft das Bühnenspiel nicht zu entwickeln. Der
Resonanzraum Realität bleibt meilenweit entfernt.
Holger Stockhaus stolpert als Terrorexperte Samson so gutherzig durch die
Handlung, dass er eine Karikatur auf vermeintliches Expertenwissen abgibt.
Und die Studentin Sumaya, die abseits machtgeleiteter Interessen die Dinge
am besten zu durchschauen vermag, tritt bei Pegah Ferydoni arg treu
emotionsgeleitet auf, sodass man ihr nicht abnimmt, ein wichtiges Rädchen
der Handlung zu sein. Die Frage, wer Freund, wer Feind, wem überhaupt zu
trauen ist, verliert sich endgültig im künstlichen Voranerzählen.
„Radikal“. [1][Gorki Theater], Berlin. Regie: Anna Bergmann, Dramaturgie:
Jens Groß. Termine: 17. Oktober, 28. Oktober, 1. November, 10. November,
22. November, jeweils 19.30 Uhr.
15 Oct 2012
## LINKS
[1] http://www.gorki.de/spielplan/radikal/78/
## AUTOREN
Simone Kaempf
## TAGS
Islamismus
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Theater
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