| # taz.de -- Spannungen im Westjordanland: Kollaboration oder Kampf | |
| > In Dschenin wächst der Unmut über die palästinensische Führung. Der | |
| > Stillstand bestärkt jene, die nie an eine diplomatische Lösung glaubten. | |
| Bild: Skeptische Blicke: In den Sicherheitskräften schwindet die Unterstützun… | |
| DSCHENIN taz | In T-Shirt und Jeans fühlt sich der junge Polizist wohler | |
| als in seiner Uniform. Seit drei Jahren dient Samir* in den Reihen der | |
| Nationalen Palästinensischen Sicherheit und ist alles andere als stolz | |
| darauf. „Wir gehören nicht zur PA (Palästinensische Autonomiebehörde), | |
| sondern zum ATM, zum Bargeld-Automaten“, sagt er. Nur des Geldes wegen habe | |
| er den Job beim palästinensischen Sicherheitsdienst angenommen. | |
| „Wir sind Handlanger Israels“, murrt der 24-Jährige. Er streckt seine | |
| nackten Füße unter das Teetischchen im Haus seiner Eltern und zündet sich | |
| eine Zigarette an. „Wir machen die Drecksarbeit für die Soldaten“, sagt er | |
| und schimpft auf die eigene Führung, die ungeachtet der „Kollaboration mit | |
| den Besatzern“ politisch keinen Schritt vorankomme. Als | |
| Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Ende September seine Rede vor der | |
| UN-Generalversammlung hielt, „haben wir im Hauptquartier den Fernseher | |
| ausgeschaltet und Schach gespielt“. | |
| Vor fünf Jahren legten die der Fatah nahestehenden Al-Aksa-Brigaden ihre | |
| Waffen nieder, und die israelische Armee stellte die Jagd auf sie ein. | |
| Viele Kämpfer der Brigaden gehorchten nur widerwillig der Order ihrer | |
| politischen Führung, den militanten Kampf gegen die Besatzung aufzugeben. | |
| Die Fatah wollte, nachdem die Hamas im Juli 2007 die Fatah-Truppen brutal | |
| aus dem Gazastreifen vertrieben hatte, zunächst die eigene Machtposition im | |
| Westjordanland stärken. Hand in Hand mit Israel setzten die | |
| palästinensischen Sicherheitsleute die Islamisten außer Gefecht. | |
| ## Palestinensische Führung erhöht Druck auf Fatah-Leute | |
| Seit einigen Monaten sind es jedoch nicht mehr nur die Aktivisten von Hamas | |
| und Islamischer Dschihad, die die palästinensische Führung ins Visier | |
| nimmt, sondern auch Fatah-Leute. Zakaria Sbeidi, einst Kommandant der | |
| Al-Aksa-Brigaden in Dschenin, gehörte im Mai zu Dutzenden Männern, die von | |
| der palästinensischen Polizei verhaftet wurden und ohne Anklage für Wochen | |
| hinter Gitter saßen. | |
| „Mein Neffe hatte mit der Sache nichts zu tun“, sagt Dschamal Sbeidi, ein | |
| Onkel Zakarias. Die Polizei hatte eine Waffe in seinem Haus gefunden, mit | |
| der vorher auf den Gouverneur Dschenins geschossen worden war. „Im | |
| Flüchtlingslager wird viel geschossen“, berichtet Dschamal. | |
| Meist ginge es um Familienfehden. Seit der israelischen Invasion vor zehn | |
| Jahren habe fast jedes Haus eine Waffe, setzt er hinzu. „Ein Koch hat seine | |
| Töpfe, ein Musiker ein Instrument – hier ist der Widerstand Teil unseres | |
| Daseins.“ | |
| Der Stillstand im Friedensprozess ist Wasser auf den Mühlen derer, die nie | |
| an eine diplomatische Lösung glaubten. Zakaria Sbeidi hofft, dass es nicht | |
| zu blutigen Auseinandersetzungen unter Fatah-Anhängern kommen wird. Das | |
| Gefängnis war schlimm für den deutlich abgemagerten Widerstandshelden, der | |
| sich seine Entlassung mit einem Hungerstreik erzwang. „Trotz allem, was sie | |
| mir angetan haben, werde ich meine Waffe nie gegen mein eigenes Volk | |
| richten“, sagt er. | |
| ## Polizisten stehen vor einem Dilemma | |
| Für den jungen Samir ist die Sache nicht so klar. Das Sicherheitschaos im | |
| Westjordanland werde zunehmen. „Dass es hier knallt, ist eine Frage der | |
| Zeit“, ist er überzeugt und berichtet über Sozialproteste in Nablus, als | |
| die Nationalen Sicherheitstruppen die Order bekamen, unter keinen Umständen | |
| mit Gewalt vorzugehen – „auch wenn auf uns geschossen werden sollte“. Es | |
| dürfe kein Blut fließen, habe der Kommandant gewarnt, denn man wisse von | |
| „vielen Demonstranten, die mit Schusswaffen kommen“. | |
| Samir und seine Kameraden bei der Polizei geraten durch die Proteste in ein | |
| Dilemma, denn politisch stehen sie den Demonstranten näher als ihrer | |
| Führung. Wenn es hart auf hart kommt, „dann werden sich viele von uns auf | |
| die Seite der Straße schlagen“. | |
| Auch Dschamal Sbeidi glaubt, dass es einen neuen Aufstand geben werde, der | |
| sich zu Beginn gegen die PA richten und später auf Israel ausweiten werde. | |
| Wenn es der ägyptischen Armee nicht gelungen sei, das eigene Volk unter | |
| Kontrolle zu bringen, „dann schafft es die PA hier erst recht nicht“, sagt | |
| er. Abbas täte gut daran, selbst die Autonomiebehörde aufzulösen und Israel | |
| erneut das Westjordanland übernehmen zu lassen. | |
| Anschließend könne dann der militante Widerstand gegen die Besatzung wieder | |
| aufgenommen werden. Auch sein Neffe Zakaria steht bereit für den Kampf – | |
| „aber erst, wenn die politische Führung darüber entscheidet“. * Name | |
| geändert | |
| 18 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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