# taz.de -- Adria-Rundreise: Das Illy-Meer | |
> Bis in die Neuzeit war die Adria ein venezianisches Meer, dann ging es | |
> epochenweise bergab. Und heute? Eine Umrundung in fünf Etappen. | |
Bild: Wie ein Symbol ragt der Turm der Kaffeerösterei Illy in Triest in den Hi… | |
Nach Venedig oder nach Triest? Linksrum oder rechtsrum? Wie umrundet man | |
ein Meer? Wir entscheiden uns gegen den Uhrzeigersinn. Die Adria geht nicht | |
mit der Zeit. Die Adria ist notorisch nostalgisch. | |
Also von Grado, wo man von Villach kommend unmittelbar auf die Adria stößt, | |
Richtung Venedig. Hinter uns die Alpen, vor uns knapp 2.000 Kilometer | |
Küste. Dann sind wir wieder in Grado – so es unser alter Renault Clio, | |
Italiener, Albaner, Montenegriner, Bosnier, Kroaten und Slowenen zulassen. | |
Die Idee stammt von einem Franzosen. Fernand Braudel, Historiker und | |
Begründer der Mentalitätsgeschichte, hat in seinem Standardwerk über die | |
Geschichte des Mittelmeers einmal behauptet, dass die Adria etwas | |
Besonderes sei. Dass sie von allen Untermeeren des Mittelmeers das | |
„zusammenhängendste“ sei. Natürlich hatte Braudel die Adria der Venezianer | |
im Kopf. Den Zerfall Jugoslawiens und das Völkerschlachten der neunziger | |
Jahre hat er nicht mehr erlebt. Was ist geblieben vom Verbindenden? Was | |
trennt noch immer? Gibt es wenigstens eine Adriaküche? | |
## Dolcefarniente, der Sehnsuchtsort | |
An der Adria war ich zum ersten Mal am Meer. 1965 war das, in Caorle. Zwei | |
Jahre war ich alt. Eigentlich wollten meine Eltern die Ferien am | |
Millstätter See verbringen. Doch in Kärnten regnete es – und die Adria | |
versprach Sonne. So haben nicht nur Dolce Vita und Dolcefarniente den | |
Sehnsuchtsort hervorgebracht, sondern es war auch das Wetter. | |
Doch das gefiel nicht jedem. Jetzt sei Caorle „der Strand von Wien, München | |
und Ulm“, gruselte sich Pier Paolo Pasolini schon 1959. Im Auftrag der | |
Illustrierten Successo hatte der Regisseur die italienische Küste von San | |
Remo bis Triest bereist, den Stiefel runter und wieder hoch, und war dabei | |
auch in das einst verschlafene Fischerdorf gekommen, das nun den Deutschen | |
gehörte: „Auf 3.000, 4.000 Einwohner und 1.000, 2.000 Sommerfrischler aus | |
Venetien kommen 8.000 Deutsche“, notierte Pasolini in seiner Reportage „Die | |
lange Straße aus Sand“ und trauerte den Zeiten hinterher, als Caorle noch | |
ein Geheimtipp war. „Ich schwöre, es war einer der schönsten Orte der Welt. | |
Es gab keine Brücken, die Kanäle und Lagunen überquerte man auf sehr | |
langsamen Flößen. Keiner kannte es.“ | |
## Das erste Mal am Meer | |
Mein Caorle sah anders aus. Nicht „Teutonengrill“ oder „Hausmeisterstrand… | |
sondern baden und buddeln; nicht sentimental, sondern quietschbunt; ich | |
trauerte nicht über Verlust, sondern begann zu entdecken: die lustigen | |
Dreiradlaster, auf denen die Lautsprecher unentwegt plärrten. Das Gelato am | |
Strand, das so ganz anders schmeckte als das Softeis im schwäbischen | |
Eislingen. Das Zelt, das nun für drei Wochen die heimatliche Wohnung | |
ersetzte. Nichts davon würde ich, der Zweijährige, in Erinnerung behalten, | |
nur den Geschmack dieser drei Silben: Ca-or-le. Mein erstes Mal am Meer | |
wird immer mit dem Fischerort verbunden sein, der Pasolini zerronnen war | |
wie Sand zwischen den Fingern. | |
Fabrizio Boscarato ist froh über die Kundschaft. Mächtig stolz führt uns | |
der Archäologe durch die abgedunkelten Räume des Nationalmuseums in Adria. | |
Einst gab die Stadt dem Meer den Namen, und Boscarato weiß, warum. „Als die | |
Griechen am Mittelmeer ihre Kolonien gründeten, kamen sie auch in den | |
Norden jenes Meeres, das sie bis dahin Mare Superum, das Obere Meer, | |
genannt haben.“ Boscarato fasst sich an den Ziegenbart. „Plötzlich | |
entdeckten sie den Handelsort, der schon vor den Etruskern da war, und | |
haben ihm die Ehre erwiesen. So wurde aus dem Mare Superum das Mare | |
Adriaticum.“ Adria, die Stadt, importierte Keramik und verkaufte den | |
Griechen Weizen. „Die Stadt war multikulturell wie später das ganze Meer. | |
Venetier, Etrusker und Griechen haben auch untereinander geheiratet. Die | |
Grabbeigaben beweisen es.“ | |
Adria freilich zahlte für sein erfolgreiches Branding einen hohen Preis. | |
Zum Handelsort aufgestiegen war es wegen seiner Lage an der Mündung des Pos | |
ins Meer. Über die Jahrhunderte hinweg aber verlandete das Podelta, und | |
Adria wurde zur Binnenstadt. Unter den Römern nahm bald Aquilea die Rolle | |
als Handelsort ein. Doch der Name Mare Adriaticum blieb. Nicht einmal die | |
Venezianer haben es geschafft, dem Meer ihren Namen, Golfo di Venezia, zu | |
geben. Damals galt das Wort der Griechen noch etwas. Byzantinische Spuren | |
sind bis heute an der Adria vorhanden. Peschici etwa leuchtet so weiß über | |
dem Gargano, dass man es gut für eine Stadt auf den Kykladen halten könnte. | |
## Die Adriaküste ist das dritte Italien | |
Diese Stadt feiert sich selbst. Seit einer Stunde beobachten wir die | |
anschwellende Menschenmenge. Herausgeputzt und frisch frisiert, schlendern | |
Jung und Alt über die Hafenpromenade von Trani, einst ebenbürtig mit Bari, | |
der heutigen Hauptstadt Apuliens. Corso. Südlicher Corso. Apulischer Corso. | |
Ein armer Süden ist das hier nicht. Das „dritte Italien“ haben sie die | |
Adriaküste schon in den 70er Jahren genannt. Das erste ist der reiche | |
Norden, das zweite der Mezzogiorno, das dritte ist das Italien an der | |
Adria. Mit dem Meer ist Trani geradezu verwachsen. Die Kathedrale wird von | |
den Wellen umspült, ebenso das Kastell der Staufer. | |
Apulien ist ein Ort für Schwaben. Nirgendwo wird ihnen so viel Ehre | |
erwiesen wie im Land des Stauferkaisers Friedrich II. Überall finden wir | |
eine Via Federico oder eine Bar Svevo. In Jesi, dem Geburtsort des | |
Schwabenkaisers aus Apulien, kündet sogar eine arabische Inschrift vom | |
freudigen Ereignis. Friedrich hatte eine muslimische Leibgarde, und die | |
durfte, vor allem in Lucera, so viele Moscheen bauen, wie sie wollte. | |
Die Adria als Brücke zwischen Okzident und Orient? Vielleicht doch nicht | |
nur Tourismuswerbung? Nichi Vendola, der schwule, linke Präsident von | |
Apulien, hat einmal seinen Traum verraten: „Es ist ein Traum von | |
Vermischung: eine Komposition arabischer Noten und balkanischer Klänge; | |
dazu Griechisches – wie die weißen Steine von Otranto – und Provencalisches | |
– wie in den Klängen des Apennins. Ich träume den Traum eines friedlichen | |
Miteinanders, von gegenseitiger Bereicherung bei aller Andersartigkeit, von | |
einem Zusammenleben, bei dem alle Beteiligten gewinnen.“ | |
## Albanien ist touristenfein | |
Hinter Otranto, der weißen Stadt, endet die Adria. Vor uns Militäranlagen, | |
Abhörstationen. Albanien ist nur 72 Kilometer entfernt. An der Straße von | |
Otranto lagen der Westen und der Osten auf Lauer. Heute verraten nur noch | |
die 750.000 Bunker, die Albaniens Diktator Enver Hoxha bauen ließ, vom | |
Eisernen Vorhang. „Ihr kehrt am besten gleich wieder um“, rät uns eine | |
Griechin, als wir in Igoumenitsa ankommen und von der Weiterfahrt nach | |
Sarrandë erzählten. „Albanien hat sich von den Folgen des Kommunismus noch | |
nicht erholt.“ | |
Gern hätten wir ihr vom Gegenteil berichtet. Davon, dass sich Sarrandë | |
touristenfein gemacht hat, während Igoumenitsa Durchgangsstation geblieben | |
ist. Dass wir in Borsh an der Albanischen Riviera ein Fischerdorf gefunden | |
haben, in dem der Fisch, der Wein, der Ziegenkäse, das Gemüse aus dem Netz | |
und dem Garten unseres Herbergsvaters stammt. Ja, es gibt sie, die | |
Adriaküche. Pizza und Pasta gehören nicht dazu. | |
Wir hätten der Griechin, deren Vorfahren im heutigen Durrës die erste | |
Kolonie an der Adria gründeten, auch erzählen können, dass die Schmuggler | |
noch immer ihr Unwesen treiben, wir ihnen aber nicht begegnet sind und | |
irgendwann aufhörten, unser Auto abzuschließen, weil Albanien sicher ist. | |
Wenn es ein kommunistisches Erbe gibt, ist es eine gewisse Unbekümmertheit | |
dem Glauben gegenüber. In Shirokë, einem muslimischen Fischerdorf am | |
Shkodra-See, haben sie uns schon am Morgen mit Raki verabschiedet. Es war | |
der emotionalste aller Abschiede auf dieser Adriareise. | |
## Fest in der Hand der reichen Russen | |
Abramowitsch-Jachten: Ich habe keine Ahnung, wie groß die Jacht von | |
Abramowitsch ist, aber das müssen Abramowitsch-Jachten sein. Außerdem ist | |
da dieses Werbebanner: Azimut Yachts, Montenegro. Zwei Filialen hat die | |
Abramowitsch-Jacht-Filiale: in Moskwa, Rossija und in Budva, | |
Tschernogorija. Fest in der Hand der reichen Russen ist die | |
montenegrinische Küste. Als die Venezianer noch die Adria beherrschten, | |
verlief in Kotor die Grenze zum Osmanischen Reich. Hoch in die Berge wurde | |
die Stadtmauer gebaut, weil die Türken keine Seemacht waren, sondern übers | |
Hinterland kamen. | |
Die Russen kommen über die Adria und kaufen die Küste, klagt unser | |
Gastgeber. Über die Küste kamen auch die Venezianer. Bis heute kann man den | |
Gegensatz beobachten: der schmale Küstenstreifen weltoffen und | |
kosmopolitisch, im Hinterland sammelt sich das Ressentiment. | |
Ciao. Hvala. So grüßt der Getränkelieferant seine Kundschaft in einem | |
kleinen Laden in Piran. Tschüss auf Italienisch und Danke auf Slowenisch. | |
Wenn die Adria ein Meer der verschiedenen Kulturen ist, die es dennoch | |
miteinander verbindet, ist Istrien die Seele dieses Meers, sagt Goran | |
Vojnovic. Der slowenische Autor und Filmemacher hat mit „Piran. Pirano“ | |
einen Film über das schwierige, aber nicht unlösbare Verhältnis der | |
ehemaligen und neuen Bewohner in der slowenischen Küstenstadt gedreht. Auf | |
Istrien ist die Zeit des Kalten Krieges und der vielleicht blutigsten | |
Grenze Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vorbei. | |
Ciao. Hvala. Das hätte auch von Ricardo Illy kommen können. Der Spross der | |
Kaffeedynastie aus Triest hatte nach seiner Wahl zum Bürgermeister die | |
erste Rede auf Slowenisch gehalten. Eine Provokation für Italiens | |
Nationalisten und ein Willkommensgruß an die, die die ehemalige Hafenstadt | |
der Donaumonarchie nun als Tor zum Osten sahen. Letztere sollten recht | |
behalten. Illy-Kaffee gibt es inzwischen nicht nur in Italien. Auch in | |
Borsh, unserem Geheimtipp an der albanischen Küste, stand eine | |
Illy-Maschine. Vielleicht ist das die Gemeinsamkeit, nach der wir gesucht | |
haben. Keine hochtrabende Brücke der Kulturen, sondern die Adria als | |
Illy-Meer. | |
20 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Uwe Rada | |
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