# taz.de -- Debatte Afghanistan: Die Kraft der Frauen | |
> Wer sich am Hindukusch für Menschenrechte einsetzt, wird vom Westen im | |
> Stich gelassen. Auch die deutsche Regierung verrät die Demokratie. | |
Bild: Eine Frau verkauft in Herat, Afghanistan, alte Kleidung auf einem Markt. | |
Jede Woche ereignen sich in Afghanistan abscheuliche Verbrechen an Frauen | |
und Mädchen wie kürzlich die Enthauptung einer 20-Jährigen durch einen | |
Verwandten: Die junge Frau soll sich geweigert haben, sich auf Geheiß ihrer | |
Schwiegermutter zu prostituieren. Nur die wenigsten der vielen ähnlichen | |
Fälle schaffen es in die internationalen Medien. Fakt ist aber: 80 Prozent | |
aller Afghaninnen jeden Alters sind tagtäglich Gewalt ausgesetzt, | |
ausgeführt zum allergrößten Teil von Ehemännern, Brüdern, Onkeln. | |
Geschlagen wird aber auch von Müttern und anderen weiblichen Verwandten. | |
Aber wen kann das wundern? Nach Jahrzehnten des Kriegs, des Terrors, der | |
Entwurzelung und Entmenschlichung ist die afghanische Gesellschaft schwer | |
traumatisiert. Sie zu befrieden braucht nicht nur viel Zeit, sondern vor | |
allem komplexe Hilfestellungen, um äußere Strukturen und innere Kräfte | |
aufzubauen, damit die Nachkriegsgesellschaft selbstbestimmt und | |
gleichberechtigt eigene Wege gehen kann. Was aber, wenn jene, die Hilfe | |
bringen, in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen, statt | |
bedürfnisorientiert Entwicklung zu fördern? | |
Doch es war und ist nicht alles schlecht in Afghanistan: Seit dem Sturz der | |
Taliban gibt es Frauen (und einige wenige Männer), die mit viel Mut einer | |
wirklichen Befriedung zugearbeitet haben. Sichtbar wurden sie kaum, doch | |
eine von ihnen ist jetzt bekannt: die afghanische Ärztin und | |
Frauenrechtlerin Sima Samar. | |
Anfang Dezember wird sie in Stockholm für ihren „Mut und ihre | |
Entschlossenheit im Kampf für Menschenrechte und die Rechte von Frauen“ mit | |
dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Als Ärztin und Frauenrechtlerin | |
kennt sie das ganze Leid afghanischer Männer und Frauen. Während ihrer Zeit | |
als Frauenministerin erfuhr sie die Härte ihrer korrupten, | |
rückwärtsgewandten und machtgierigen Kollegen im Parlament. | |
## Neue Morde | |
Als Direktorin der unabhängigen afghanischen Menschenrechtsorganisation | |
Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHCR) schlägt ihr seit | |
Jahren der Geist derer entgegen, die die Aufdeckung und Ahndung der | |
Kriegsverbrechen der letzten drei Jahrzehnte verhindern wollen und dafür | |
auch nicht vor neuen Morden zurückschrecken. | |
Wo immer sie tätig war, setzte sich Samar seit Mitte der 1980er Jahre für | |
die Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und Mädchen in Afghanistan | |
ein. Elf Jahre nach dem Einmarsch der Nato in Afghanistan leiden diese nach | |
wie vor unter den repressiven Strukturen, unter Folter, Vergewaltigung und | |
Unterdrückung. | |
Umso wichtiger ist es, dass die internationale Gemeinschaft sich endlich | |
geschlossen und kompromisslos gegen Gewalt gegen Frauen und für deren | |
gerechte zivilgesellschaftliche Beteiligung am afghanischen Friedensprozess | |
starkmacht. Umso mehr, weil sie seit 2001 wiederholt die „Befreiung der | |
afghanischen Frau“ als ein Argument ihrer Afghanistan-Politik angeführt | |
hat. | |
## Befreiung nur in Talkshows | |
Auch hierzulande bemühten PolitikerInnen in unzähligen Talkshows immer | |
wieder „die Mädchenschulen und die armen Frauen in der Burka“, um die | |
Ausgaben der deutschen SteuerzahlerInnen zu rechtfertigen. Doch ein Blick | |
auf die Kosten des Afghanistan-Einsatzes entlarvt dessen Widersprüche: So | |
lagen die deutschen Ausgaben für den Zivilaufbau bis 2010 mit rund einem | |
Viertel der Gesamtkosten weit unter den Militärausgaben, und nur ein (!) | |
Prozent dieser Gelder wurden in Frauenprojekte investiert. | |
Statt ihre bisherige Politik zu revidieren und der Förderung und dem Schutz | |
der Menschenrechte in Afghanistan, wenn auch verspätet, dann doch zumindest | |
jetzt die nötige Priorität einzuräumen, hat die Bundesregierung für sich | |
ein völlig anderes Fazit gezogen. In ihren neuen Leitlinien, die seit | |
September den politischen Umgang mit „fragilen Staaten“ wie Afghanistan | |
ressortübergreifend definieren sollen, heißt es: weniger Demokratieexport, | |
mehr Beachtung lokaler Traditionen und Machtstrukturen! Das nenne ich | |
wirklich eine grandiose Taktik der erneuten Vernebelung. | |
Von Anfang an waren die Anstrengungen für einen echten Demokratieaufbau | |
lächerlich und viertelherzig – letztendlich ging es um die Rechtfertigung | |
einer Politik der Bündnistreue, die dem Wahlvolk möglichst attraktiv | |
verkauft werden musste. Und nun, wo es – wie Thomas Ruttig an dieser Stelle | |
kürzlich schrieb (vgl. taz vom 27. 9. 2012) – um MEHR Demokratie statt | |
weniger gehen müsste, weil nur die Demokratie die Probleme lösen kann, | |
werden uns völlig nebulöse neue Leitlinien präsentiert. | |
## Erfolglose Nato | |
Berlin will bei der Stabilisierung fragiler Staaten künftig an lokalen | |
Legitimationsvorstellungen und Traditionen anknüpfen. Was aber heißt das | |
für die afghanischen Frauen, die bislang in allen Gremien des Landes | |
dramatisch unterrepräsentiert sind, deren politischer Beteiligungswille in | |
der Öffentlichkeit mit Schmähung, Verfolgung und Gewalt klein gehalten | |
wird? Die tagtäglich unter der stark konservativ-patriarchal geprägten | |
Gesellschaft leiden? Für einen gerechten gesellschaftlichen Frieden gälte | |
es, diese Strukturen zu bekämpfen, nicht sie zu akzeptieren. | |
Denn wer braucht die Rückkehr zu alten Traditionen? Vielleicht jene, die | |
keine Verantwortung für das Neue übernehmen wollen? Wichtiger als alles | |
andere wäre es, diejenigen zu unterstützen, die sich vor Ort bereits seit | |
langem mutig für Veränderungen einsetzen und Alternativen aufzeigen, kluge, | |
selbstbewusste Frauen wie die Preisträgerin Sima Samar. | |
Doch welche Chance haben die Gerechtigkeitsvorstellungen von Frauen wie | |
Samar in einer Gesellschaft, in der bestehende Machtstrukturen nicht nur | |
lokal, sondern auch international als kulturelle Gegebenheiten akzeptiert, | |
ja sogar zementiert werden? | |
Elf Jahre erfolgloser Nato-Einsatz stellen unmissverständlich unter Beweis: | |
Diese Art der Hilfestellungen war nicht hilfreich, die bestehenden | |
politischen Rollen- und Legitimationskonzepte konnten bislang keinen | |
nachhaltigen Frieden tragen. Es ist Zeit für Neues. Die Afghaninnen sind | |
vorbereitet – sind es die westlichen PolitikerInnen auch? | |
27 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Monika Hauser | |
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