# taz.de -- „Sandy“ in New York: Ein Brettspiel wäre nett | |
> Solange man nicht auf der Straße ist, ist so ein Hurrikan eine ziemlich | |
> langweilige Angelegenheit. Und natürlich sind wir nicht mehr auf der | |
> Straße. | |
Bild: Auch mal wieder nett: Auf dem Tisch brennt eine Kerze. Auf dem Herd kocht… | |
NEW YORK taz | Spätestens nach der zweiten Warnmeldung sind wir nicht mehr | |
auf der Straße. Es geht dann jedes Mal die iPhone-Sirene unserer | |
Mitbewohnerin an, alles klingt sehr dramatisch und es kommen neue | |
Anweisungen. Drinnen bleiben. Nicht Autofahren. | |
Die erste Warnmeldung kommt, als James noch mal kurz rüber in den kleinen | |
Laden will. Er hat sich seine Jacke schon angezogen. Vielleicht haben die | |
Monopoly oder so was, sagt James. Wir haben an alles gedacht, was so in der | |
Zeitung stand. Wir haben Eier hart gekocht, Reis, Nudeln. Wir haben Brot | |
gehortet, bevor die Regale leer waren und Wasser literweise in den sechsten | |
Stock getragen, in unser kleines Zimmer in Brooklyn, New York. | |
Sie hätten auch Brettspiele auf die Liste schreiben sollen. Irgend so was. | |
Als das Internet aus ist, fällt uns das dann auch auf. Wir hatten vorher | |
noch Breaking Bad angesehen und die anderen beiden, James und seine | |
Freundin, Memento. Dann war die WLAN-Verbindung plötzlich weg. Wir hatten | |
Strom, das Licht leuchtete und fackelte nur leicht zwischendurch. | |
Irgendwelche Kabel schlugen gegen die Häuserwände, angeblich waren große | |
Teile von Manhattan schon völlig ohne Strom, aber bei uns hingen alle | |
Macbooks und iPads und auch der Fernsehbildschirm im Wohnzimmer noch an den | |
Steckdosen und leuchteten. Aber das Internet... | |
„Ein Brettspiel wäre nett“, sagt James und zieht eine Jacke an. Da sind | |
schon all die Sirenen draußen, der Wind macht dieses Geräusch, das klingt | |
als würden Plastikplanen aufgebläht, immer wieder. Sirenen, manchmal eine | |
Hupe. Gelegentlich läuft jemand über die Straße, führt einen Hund aus. Es | |
tropft zum Fenster rein, durch die Klimaanlage, die hineingebaut ist und | |
lauter offene Ritzen hat. Wir sehen diese Nachricht, alle: Keine Verbindung | |
zum Internet. Und jetzt? | |
## Hühnersuppe und jede Menge Licht | |
Was macht man noch mal ohne Internet. „Brettspiele“, sagt James. Er steht | |
da in seiner Lederjacke, als die iPhone-Sirene losgeht. „Nur kurz, die | |
haben bestimmt Brettspiele“, sagt er. Seine Freudin schaut ihn an: | |
Wirklich? „Es ist ja nur über die Straße“, sagt James, „ein Mal rüber, | |
schnell, wirklich schnell, und die haben bestimmt Brettspiele.“ „Sie hatten | |
ein Kartenspiel“, sagt James, als er zurückkommt. Immerhin. | |
Wir kochen etwas, essen. Wir lesen die Nachrichten auf Twitter über unsere | |
Smartphones. Manhattan ohne Strom, weite Teile New Yorks ohne Strom oder | |
Internet oder überflutet. Wir sind die ohne Internet. Erst mal. „Das | |
Zentrum von Sandy müsste bald da sein“, sagt James. Er hat das im Radio | |
gehört, drüben im Laden. Es waren ziemlich viele Leute da, auch zwei | |
Polizisten, sehr ernst. Schlimm werde das, hätten die gesagt. Auf dem Tisch | |
brennt eine Kerze. Auf dem Herd kocht Hühnersuppe. Das Licht ist an, auch | |
überall. | |
In Manhattan ist die Überschwemmung so schlimm wie seit 1960 nicht mehr. Es | |
fährt keine U-Bahn, kein gar nichts. Aber immer noch laufen Leute über die | |
Williamsburg Bridge. Irre? „Es wird jetzt ernst“, sagt James' Freundin. | |
„Gemütlicher Barbecue in Brooklyn“, sagt sie. Draußen diese Sturmgeräusc… | |
Wehende Baumkronen. Fünf Tote, meldet CNN oder die New York Times, wer weiß | |
das schon so genau, Twitterstream, läuft auch über. Wir trinken ein | |
bisschen Vodka, Bier und Whisky. Was soll man auch machen. Ohne Internet. | |
## Ashton Kutcher wünscht alles Gute | |
Man kann jetzt irgendwie auch kein Buch lesen. Es ist schon auch ein | |
bisschen aufregend. Es ist ja der schlimmste Hurrikan seit, was weiß ich | |
wann. Meine Tante aus Texas ruft an. Ob wir okay sind. „We're good“, sage | |
ich. „You're okay“, sagt meine Tante, „you're not good“. Ist ja Hurrika… | |
Ein bisschen Breaking Bad wäre jetzt gar nicht so schlecht, aber es gibt ja | |
kein Internet. Früher hatte man noch Fernseher. Und Brettspiele. Früher. | |
Kann man vielleicht irgendwie über das iPad oder das iPhone ins Internet. | |
„Oh damn“, sagt James' Freundin. Mann vom Baum erschlagen. New York ist | |
überflutet. In manchen U-Bahnen in Lower Manhattan steht das Wasser. Die | |
Nachrichten tropfen über Twitter herein. Wir haben immer noch Licht, 21:44. | |
„Es wäre wirklich cool, mal auf die Brücke zu gehen“, sagt James. Nur um … | |
sehen, was in Manhattan los ist. Nicht, dass ich es machen würde... Eine | |
Frau stirbt an einem Elektroschock, als sie in eine Pfütze tritt. „Hätte | |
ich sein können“, sagt James. | |
22:55 Uhr. Wir haben noch Strom. Wir spielen Bullshit. Ein Kartenspiel. | |
Ganz lustig, aber auch nicht lange. Wir warten. Draußen stürmt es. Wir | |
fragen uns, warum ständig diese Zahlen über Twitter geschickt werden. | |
Soundsoviele Menschen ohne Strom. Soundsohohe Wellen. Vielleicht ist es | |
eine Möglichkeit, das Gefühl zu bewahren, dass der Mensch irgendwie die | |
Kontrolle behält. Wir messen. Wir haben alles im Griff. Wir haben die | |
korrekten Zahlen. Ashton Kutcher wünscht via Twitter alles Gute. Lady Gaga | |
auch. Die Bürgermeister und Gouverneure warnen weiter. Draußen schreien | |
Menschen. Sirenen. Autohupen, als hätte jemand eingebrochen. Wind, immer | |
dieser Wind. | |
Ein wenig klingt er manchmal auch wie Wellen am Meer. Da laufen immer noch | |
Menschen rum da draußen. Verhuscht, aber sie laufen. 11 Tote mittlerweile | |
an der Ostküste, auf Twitter. Und trotzdem laufen da diese Menschen, unten | |
auf der Straße, im orangen Licht, zwischen den herbstfarbenen Blättern kann | |
man sie genau erkennen. Als der Wind schon wirklich gefährlich über die | |
Brücken peitschte, am späteren Nachmittag, liefen da immer noch Jogger. Ich | |
habe mindestens fünf gezählt. 23:51 Uhr. Um Mitternacht müsste die | |
schlimmste Flut vorbei sein, sagt der New Yorker Bürgermeister. James ist | |
schlafen gegangen. Vielleicht eine ganz gute Idee. | |
30 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
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