# taz.de -- Ausbau des Stromnetzes: Wie viele Kilometer sind nötig? | |
> Um die Energiewende zu schaffen, sind mehr Stromnetze nötig: 4.900 | |
> Kilometer Erweiterung sind geplant. Viel zu viel, kritisieren | |
> Umweltschutzverbände. | |
Bild: Mit 4.900 Kilometern mehr Netz sieht man weniger vom Himmel. | |
BERLIN taz | Klaus Rohmund hat das schon erlebt, was den Bürgern von | |
Flensburg bis Friedrichshafen in den kommenden Jahren bevorsteht. In der | |
Nachbarschaft seiner Heimatgemeinde Meißner im Norden Hessens wird eine | |
Stromleitung mit 380.000 Volt geplant. Sie soll den Strom aus Windrädern | |
und Kohlekraftwerken aus dem Norden in die Industriezentren im Süden | |
transportieren. | |
Die neue Superleitung durch Hessen gehört zu jenen 4.900 Kilometer an neuen | |
Trassen, die die vier Betreiber des Höchstspannungsnetzes in den nächsten | |
zehn Jahren bauen wollen. Zusammen mit der Modernisierung von 5.800 | |
Kilometern an alten Trassen kommen auf die Stromverbraucher Kosten von 20 | |
Milliarden Euro zu. | |
Das haben die Netzbetreiber errechnet. Im Auftrag der Bundesregierung haben | |
sie von Juli 2011 bis August 2012 eine Art Masterplan für die Energiewende | |
erstellt. Im Netzentwicklungsplan (NEP) legen sie dar, woher der Strom | |
kommen soll, wenn 2022 die letzten AKWs vom Netz gehen. Im Gegensatz zu den | |
vagen Konzepten, die in der Energiedebatte kursieren, schafft der NEP | |
Fakten. Ohne seine Leitungen wird es weder neue Windräder noch neue | |
Fabriken geben. | |
Ob tatsächlich alle Trassen nötig sind, prüft derzeit die Bundesnetzagentur | |
als unabhängige Behörde. Das letzte Wort hat Anfang 2013 der Bundestag. Der | |
Gesetzgeber legt dann im Bundesbedarfsplan fest, welche Leitungen gebaut | |
werden. | |
Schon morgen endet allerdings für Bürger die letzte Möglichkeit, Einfluss | |
zu nehmen. Bei der Bundesnetzagentur können sie noch bis Freitag | |
Stellungnahmen zum Netzentwicklungsplan abgeben. | |
## Ungenutztes Element der Bürgerbeteiligung | |
Ein wesentliches Element zur Bürgerbeteiligung wird dabei aber ungenutzt | |
bleiben. Im Sommer 2011 hatte die Bundesregierung für jeden betroffenen | |
Bürger die Möglichkeit geschaffen, die Daten anzufordern, die die | |
Netzbetreiber für den NEP verwendet hatten. | |
Im Dezember 2010 hatten 70 Umweltverbände und Bürgerinitiativen den „Plan | |
N“ der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unterzeichnet, in dem sie die | |
Veröffentlichung der sogenannten Lastflussdaten forderten. Die Daten zeigen | |
für jeden der 3.000 Höchstspannungstransformatoren in Deutschland, wie viel | |
Energie aus Kohlemeilern, Windrädern oder Solaranlagen auf die | |
Stromautobahnen fließt und wie viel die Leitungen an den Knoten des Netzes | |
wieder an die Verbraucher abgeben. | |
Klaus Rohmund hat einen Teil der Daten bereits gesehen, als die Netzfirmen | |
interessierten Bürgern im Januar in Berlin vorrechneten, wie sie zu ihren | |
Prognosen kommen. „Ich kam mir vor wie ein Erstsemester in der falschen | |
Fachrichtung.“ Um die Daten sinnvoll interpretieren zu können, brauchen die | |
Bürger also die Hilfe eines Sachverständigen. Der Gesetzgeber hatte Umwelt- | |
und Verbraucherschützer im Sinn. Doch auch die kapitulieren vor der | |
Datenflut. | |
„Wir haben nicht die nötige Expertise und uns fehlen die finanziellen | |
Mittel“, sagt Holger Krawinkel von der Verbraucherzentrale Bundesverband. | |
Ähnliches erklärten Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, WWF und Nabu. Ein | |
Beratungsunternehmen zu beauftragen, koste eine fünf- bis sechsstellige | |
Summe, sagt Peter Ahmels von der DUH. | |
## Hohe Kosten | |
Werde in den Modellrechnungen auch nur eine Leitung geändert, bräuchten | |
selbst Experten mit leistungsfähigen Rechnern Wochen, um zu überprüfen, ob | |
das Gesamtnetz stabil bleibe, erklärt Professor Armin Schnettler von der | |
RWTH Aachen auf Anfrage. Der Wissenschaftler ist eine von neun Personen, | |
die die Lastflussdaten erhalten haben. Wer die übrigen Empfänger sind, will | |
die Bundesnetzagentur unter Verweis auf Persönlichkeitsrechte nicht | |
verraten. | |
Auf Anfrage erklärte auch Greenpeace, von der Netzagentur die Berechtigung | |
zur Überprüfung der Daten erhalten zu haben. Wegen der hohen Kosten | |
schreckt aber auch die Umweltschutzorganisation vor einer Analyse zurück. | |
Die Grünen wollten abwarten, welche Leitungen die Netzagentur bestätige, | |
erklärte ein Sprecher. | |
Schnettler will mit Hilfe der Lastflussdaten zunächst seine Rechenmodelle | |
beschleunigen, damit für alternative Planungen künftig schneller geprüft | |
werden kann, ob sie einzelne Leitungen überflüssig machen. Die DUH schätzt, | |
dass 30 Prozent der Netzkapazität wegfallen könnten, wenn die Leitungen | |
nicht mehr auf die seltenen Spitzenwetterbedingungen für Windräder | |
ausgelegt würden. | |
Überprüfen ließe sich dies mit eigenen Berechnungen auf Grundlage der | |
Lastflussdaten. Die Bundesnetzagentur hat solche Alternativrechnungen | |
bisher aber nicht veranlasst. Nach Informationen der taz hat lediglich das | |
Umweltbundesamt eine Studie in Auftrag gegeben, die Alternativen überprüft. | |
Ergebnisse sollen allerdings frühestens 2014 vorliegen. Bis dahin werden | |
die Detailplanungen für viele Trassen bereits angelaufen sein. | |
Infos der Bundesnetzagentur zur Konsultation: [1][www.netzausbau.de] | |
1 Nov 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.netzausbau.de | |
## AUTOREN | |
Manuel Berkel | |
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