Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verbraucherschützer gegen Windräder: Herr Krawinkel unter Strom
> Was treibt die Erfinder der Strompreisdebatte? Holger Krawinkel, einer
> ihrer profiliertesten Vertreter, will mehr Effizienz und Sparsamkeit.
Bild: Alle Räder stehen still... – Bei erneuerbaren Energien ist nach Ansich…
BERLIN taz | Holger Krawinkel weiß genau, wie viel Strom er in seinem
Zweipersonenhaushalt verbraucht. „1.500 Kilowattstunden pro Jahr“, sagt er,
fast ohne nachzudenken. Damit ist Krawinkel weit vorne. Er hat zu Hause
ziemlich viel optimiert: effiziente Lampen, sparsame Spülmaschine. Der
statistische deutsche Durchschnittsverbraucher zieht fast doppelt so viel
Strom wie er aus dem Netz.
Kein Wunder: Krawinkel ist vom Fach. Sein Auftrag: Verbraucher vor zu hohen
Stromkosten zu beschützen. Dafür kämpft er täglich an seinem Arbeitsplatz
beim Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin. Und er ist einer der
Erfinder der Debatte, dass ökologisch hergestellte Elektrizität bei uns zu
viel kostet. Sucht man einen Experten, der über die teure Solarenergie und
den kostenträchtigen Windstrom vom Meer schimpft, landet man schnell bei
ihm.
Diese Diskussion hat einen hohen Aufregungspegel erreicht. Vom
„Armutsrisiko Strom“ ist die Rede. Hunderttausenden Hartz-IV-Empfängern
kappen die herzlosen Energiekonzerne angeblich die Leitungen, weil die
Leute den teuren Saft nicht mehr bezahlen können. Warum? Wegen der
kostenträchtigen Solarenergie! Wahrscheinlich gibt es bald Berichte, dass
Bürger in ihren Wohnungen erfrieren, weil draußen zu viele Sonnenzellen
stehen.
Nächster Höhepunkt der Debatte: Montag, der 15. Oktober. Dann schlagen die
Stromnetzbetreiber vermutlich vor, die Ökoumlage, die alle Haushalte für
sauberen Strom zahlen müssen, auf gut 5 Cent zu erhöhen.
Die Beine übereinandergeschlagen, sitzt der 56-jährige Krawinkel
zurückgelehnt in seinem kargen Büro in Berlin-Kreuzberg – zwei
Computerbildschirme auf dem Tisch, ein paar Akten im Regal. Zu Hause
leistet er sich einen Luxus – einen Stromluxus. Dort hat er einen
Weinkühlschrank, der die edlen Tropfen auf 6, 10 und 16 Grad kühlt, passend
zur Sorte. Krawinkel ist aufgewachsen im hessischen Städtchen Heppenheim an
der Bergstraße, wo auch Rennfahrer Sebastian Vettel herkommt. Schon seiner
Oldenburger Studentenwohngemeinschaft brachte Krawinkel von dort trockenen
Weißwein mit.
## Zwei Gläser Bier pro Monat
Treibt der Weinkühler Krawinkels Stromrechnung in ungeahnte Höhen? „Wenn
ich 4,50 Euro pro Monat für erneuerbare Energien zahle, habe ich persönlich
damit überhaupt kein Problem“, sagt er. Woher diese Milde? Es sind die
Fakten. Zurzeit kostet die Energiewende jeden Haushalt nur 3,6 Cent pro
verbrauchter Kilowattstunde. Krawinkel zahlt damit jährlich etwa 54 Euro
für die Ökoenergie. Haushalte, die nicht so sparsam sind wie er, kommen auf
vielleicht 80 Euro pro Jahr, knapp 7 Euro im Monat. Das ist der Gegenwert
zweier großer Gläser Bier. Für vier Fünftel der Bundesbürger spielen solche
Summen keine Rolle. Für die Armen schon. Denen aber muss die Regierung das
staatlich garantierte Existenzminimum erhöhen, das auch den Strompreis
abdeckt.
Wie ist es angesichts der geringen individuellen Kosten dann zu erklären,
dass die Stromdebatte so hitzig verläuft? Warum zieht Holger Krawinkel seit
fünf Jahren gegen die Solarenergie zu Felde? Er sagt: „Meine Kritik gilt
den zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten der Solarförderung.“ Für diese
habe die Regierung der gesamten Gesellschaft unerträgliche Summe
aufgebrummt. Man könne die Energiewende viel billiger machen, wenn der
Ökostrom nur aus Windkraftwerken an Land käme, meint der
Verbraucherschützer.
## Bildung statt ineffiziente Solaranlagen
Um diese Argumente zu untermauern, hat Krawinkel eindrucksvolle Rechnungen
veröffentlicht. Demnach kostet beispielsweise allein die Energie aus den
Solaranlagen, die im Jahr 2009 in Betrieb gingen, insgesamt 14 Milliarden
Euro mehr als nötig. Wenn man solche Summen für die gesamte Zeit seit
Erfindung der Ökostromförderung im Jahr 2000 ansetzt, kommt man auf Beträge
von weit über 100 Milliarden Euro, die alle Stromverbraucher für die teuren
und ineffizienten Photovoltaikmodule berappen.
Mit diesem Geld könnte man auch sinnvolle Dinge tun, meint Krawinkel: die
Bahn ausbauen oder das Bildungssystem. Mit solchen Zahlen und Thesen hat
Krawinkel die Debatte richtig in Schwung gebracht.
Aber er hält das Copyright nicht allein. Auch Manuel Frondel war stark
beteiligt. Seit 2004 beobachtete der Wissenschaftler vom
Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen
die hohe Garantievergütung, die die Betreiber der Sonnenkraftwerke von den
Verbrauchern erhielten. Vor fünf Jahren wagte sich Frondel erstmals mit
einer Berechnung in die Öffentlichkeit. Sein aktuelles Urteil: „Die realen
Nettokosten für alle zwischen 2000 und 2011 installierten
Photovoltaikanlagen belaufen sich auf knapp 100 Milliarden Euro.“ Frondel
sagt: „Finanziell ist der Solarboom ein Desaster. Dass Geld verschwendet
wird, geht mir gegen den Strich.“
Was ist von solchen Zahlen zu halten? Nicht viel, argumentiert unter
anderem der Solarenergie-Förderverein. Krawinkel könne nur deshalb so hohe
Mehrkosten berechnen, weil er einen zu niedrigen Börsenstrompreis als
Vergleichsmaßstab heranziehe. Bereinige man diesen Fehler, löse sich schon
die Hälfte der angeblichen Geldverschwendung in Wohlgefallen auf.
Allerdings räumen auch die Solarfreunde ein: Ja, unter dem Strich ist
Sonnenstrom teurer als Atom- und Kohlestrom, aber auch als Windstrom aus
Kraftwerken an Land.
## Manchmal weht kein Wind
Dass wir uns die Solaranlagen trotzdem etwas kosten lassen sollten,
begründet Eicke Weber, der Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare
Energiesysteme in Freiburg, so: Wenn man die annähernd komplette Versorgung
Deutschlands mit erneuerbaren Energien erreichen wolle, dürfe man sich
nicht allein auf ihre derzeit billigste Variante, die großen Windmühlen an
Land, verlassen. Schließlich wehe manchmal kein Wind. Dann sei man auf
andere Quellen angewiesen, so Weber. Zum Beispiel die Sonne.
Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Mit ihren Argumenten haben die
Solargegner erreicht, dass die Bundesregierung die Förderung bereits massiv
reduziert hat. Das mag ökonomisch gerechtfertigt sein. Wegen der teilweise
zu hohen Förderung hat die Solarwirtschaft in den vergangenen Jahren
tatsächlich schöne Extragewinne eingefahren. Doch die Kostendebatte kommt
auch den Forderungen mächtiger Lobbyverbände entgegen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie und des Zentralverbands des
Handwerks plädieren bei jeder Gelegenheit für „kosteneffiziente Lösungen“
und „bezahlbare Strompreise“. FDP-Chef Philipp Rösler verlangt, das
gegenwärtige Fördersystem für den Ökostrom abzuschaffen und durch ein
anderes zu ersetzen – eine Position, die auch RWI-Wissenschaftler Manuel
Frondel unterstützt.
## Personelle Verquickung
Vor allem aber freuen sich die traditionellen Energieunternehmen. Jede
Kilowattstunde, die aus Wind- und Solarkraft fließt, vermindert den Umsatz,
den etwa Eon und RWE mit Atom- und Kohlestrom erzielen. Ein Manager, der
diesen Zusammenhang genau kennt, leitete die Gesellschaft der Freunde und
Förderer des RWI: Heute noch leitet Rolf Pohlig als Finanzvorstand die
Geschicke des RWE-Konzerns.
Spielt diese personelle Verquickung für die wissenschaftliche Ausrichtung
des RWI eine Rolle? Manuel Frondel sagt nein: „Seit ich Leiter des
Kompetenzbereiches Umwelt und Ressourcen beim RWI bin, haben wir kein
Projekt mehr für RWE gemacht.“ Sein Interesse sei es, unnötige Subventionen
zu verhindern, so Frondel. Deshalb habe er ebenso die staatliche Förderung
des Steinkohlebergbaus kritisiert, was der traditionellen Energieindustrie
überhaupt nicht in den Kram gepasst habe.
Und wie steht es um die Motivation des Verbraucherschützers? Holger
Krawinkel ist Sozialdemokrat. Grundsätzlich lehnt er es nicht ab, dass der
Staat in die Wirtschaft eingreift, im Gegenteil. Aber er sagt: „Bei der
Förderung der erneuerbaren Energien hat der Staat teilweise versagt. Wenn
er das Geld der Bürger einsetzt, soll er es effizient und sparsam tun.“ Und
er warnt: „Lassen Sie uns nicht noch mehr Geld verschleudern, vor allem für
einen zu schnellen Ausbau der Offshore-Windkraft!“ Bei den großen Windparks
auf der Nord- und Ostsee sieht Krawinkel die nächste Kostenwelle rollen.
9 Oct 2012
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Energieversorgung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausbau des Stromnetzes: Wie viele Kilometer sind nötig?
Um die Energiewende zu schaffen, sind mehr Stromnetze nötig: 4.900
Kilometer Erweiterung sind geplant. Viel zu viel, kritisieren
Umweltschutzverbände.
Energieerzeugung in Deutschland: Kohlestrom als Exportschlager
Trotz der Abschaltung von acht AKWs produziert Deutschland viel zu viel
Energie – vor allem aus Kohle. Exportiert wird der Strom in die
Nachbarländer.
Offshore-Ausbau: Nordländer stänkern gegen Bayern
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering wirft der CSU
vor, Offshore eigentlich abzulehnen. Auch andere Politiker sehen einen
Nord-Süd-Konflikt.
Investitionen in Erneuerbare Energien: Trend zur kleinen Anlage
Die Investitionen in Erneuerbare sinken. 2012 werden sie wohl erstmals seit
acht Jahren rückläufig sein. Vor allem der Geldfluss in Großprojekte
stockt.
Philipp Rösler zu erneuerbarer Energie: „Die Kosten in den Griff kriegen“
Strom muss bezahlbar bleiben. Sonst akzeptieren die Bürger die Energiewende
nicht, glaubt Wirtschaftsminister Philipp Rösler.
Bund will Stromversorgung sichern: Spannung aufrecht halten
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Entschädigung für den
Weiterbetrieb notwendiger, aber unrentabler Kraftwerke vor.
Reaktion auf Kritik am EEG: Umweltverbände keilen zurück
Nabu und der Deutsche Naturschutzring kritisieren die Angriffe auf das
Erneuerbare-Energien-Gesetz. Doch eigene Reformvorschläge fehlen.
Kommentar Strompreisdebatte: Altmaiers Dilemma
„Bezahlbare Strompreise“ für alle wird es so nicht geben. Der
Umweltminister muss entweder die Industrie beteiligen oder Geringverdiener
unterstützen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.