# taz.de -- Politische Kuhhändel: Wie auf dem Viehmarkt | |
> Am Sonntag wird die Koalition mal wieder schachern, um Praxisgebühr und | |
> Betreuungsgeld. Kuhhändel gehören zum politischen Geschäft. Eine | |
> Typologie. | |
Bild: Ähnlichkeit mit Vertretern im politischen Tagesgeschäft nicht ausgeschl… | |
## 1. Der Multi-Kuhhandel | |
Darum ging es: Kanzler Gerhard Schröder (SPD) wollte unbedingt die Steuern | |
senken. Es folgte: die Mutter aller Kuhhändel. | |
Zeitpunkt: 2000 | |
Das war der Deal: Um die notwendige Zustimmung im Bundesrat für die große | |
rot-grüne Steuerreform zu erwirtschaften, trieb Schröder eine ganze | |
Kuhherde durch die Länderkammer. | |
Es griffen zu: Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen, zwar CDU, aber | |
Berliner und damit bereit, für Geld alles zu machen. Er verkaufte sein Ja | |
für jährlich 100 Millionen Mark - na ja, und 20 Millionen für das | |
Olympiastadion waren auch noch drin. | |
Rainer Brüderle, damals FDP-Minister in Rheinland-Pfalz, erkämpfte 1,75 | |
Milliarden Mark einen Extra-Steuererlass für den „Mittelstand“, den er wie | |
üblich nach Maßgabe seiner Wählerschaft definierte. Sogar die | |
Linkspartei-Vorgängerin PDS, die in Mecklenburg-Vorpommern mitregierte, sah | |
eine kleine Kuh von nahem: Vizeministerpräsident Helmut Holter erfuhr im | |
persönlichen Gespräch mit Schröder, dieser werde über seine Ideen | |
nachdenken. | |
## 2. Der Schein-Kuhhandel | |
Darum ging es: Bewältigung der Eurokrise mit möglichst viel Zustimmung im | |
Bundestag. Es handelte sich um eine Verkaufsverabredung, die als Kuhhandel | |
geschmäht wurde. Dabei gab es gar nichts auszuhandeln. | |
Zeitpunkt: 2012 | |
Das war der Deal: Die schwarz-gelbe Koalition bekam die Zustimmung von SPD | |
und Grünen zum Fiskalpakt, einer Art Spar-Verpflichtung der Eurostaaten. | |
SPD und Grüne wiederum bekamen von der Regierungskoalition das Versprechen, | |
sich jetzt aber wirklich für eine Finanztransaktionsteuer (formerly known | |
as Tobinsteuer) einzusetzen. | |
„Kuhhandel!“, riefen Wirtschafts- und Finanzlobby, die nun einmal keine | |
Steuer auf Börsengeschäfte wollen. Doch sofern mit Kuhhandel ein Deal mit | |
politisch eigentlich unverwandten Tatbeständen gemeint ist, hatten sie | |
Unrecht. Denn im Kampf gegen die Eurokrise ist es nicht unangemessen, | |
fiskal- und finanzpolitische Instrumente miteinander zu kombinieren. | |
Noch wichtiger: Man hatte es hier mit einem bloßen Scheinhandel zu tun. | |
Denn SPD und Grüne wollten dem Angela-Merkel-Kurs sowieso zustimmen – schon | |
allein um regierungsfähig auszusehen. Und Merkel hatte ihrerseits schon | |
lange zuvor versprochen, sich um die Finanztransaktionsteuer zu bemühen. | |
## 3. Der Verlierer-Kuhhandel | |
Darum ging es: Die Grünen rüsteten sich für Bundestagswahl und | |
Regierungsübernahme. Regieren, das würde bedeuten, sich an die Realität | |
anzupassen, hieß es. Der wichtigste grüne Kuhhändler Joschka Fischer | |
beschloss: Wir geben den Linken eine radikale Umweltpolitik und kriegen | |
dafür von ihnen freie Hand in der Außenpolitik. Das ging schief. | |
Zeitpunkt: 1998 | |
Das war der Deal: Parteitag, Magdeburg. Fünf Mark für einen Liter Benzin, | |
das muss drin sein!, fanden die Grünen. Es sollte schon auch ökologisch | |
aussehen, wenn sie mit der SPD im September an die Regierung gewählt | |
würden. Die obergrünen Strategen dachten sich: Wenn wir Jürgen Trittins | |
Fundis (so hießen die früher) die fünf Mark lassen, dann gestehen sie dem | |
Joschka umgekehrt zu, dass man in der Nato bleiben muss und den | |
Balkankonflikt nicht mit Friedenstauben-Buttons löst. | |
Aber dann wurden erst die fünf Mark verabschiedet. Und dann brachte | |
Christian Ströbele den Friedens-Antrag durch. Und dann war es in der Welt: | |
die Grünen, eine pazifistische Autofahrer-Abzocker-Partei. Die Medien und | |
die anderen Parteien frohlockten. Die Grünen blieben für viele, viele Jahre | |
traumatisiert. | |
## 4. Der Trojanische Kuhhandel | |
Darum ging es: Die große Koalition musste ein Antidiskriminierungsgesetz | |
schreiben, die EU wollte das so. Unterm Deckmantel dieser Umsetzungsaufgabe | |
wurden fröhlich Kühe verschoben. | |
Zeitpunkt: 2006 | |
Das war der Deal: Bei Union wie SPD hielten fast alle das ganze Geschwätz | |
von Diskriminierung wegen Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung | |
und dergleichen für, na ja, Geschwätz eben. | |
Aber die EU wollte etwas sehen. Schon Rot-Grün hatte sich damit abgekämpft, | |
bis 2005. Und irgendwann musste man einer dieser SPD-Ziegen im Kabinett, | |
namentlich Justizministerin Brigitte Zypries, auch einmal etwas gönnen. | |
Also gut. Am Ende durfte im „Gleichbehandlungsgesetz“ auch die sexuelle | |
Orientierung als möglicher Diskriminierungsgrund stehen. Und die Landwirte | |
– maßgeblich vertreten wie stets durch die CSU – bekamen eine | |
Steuererleichterung. | |
## 5. Der Wucher-Kuhhandel | |
Darum ging es: Die große Koalition brauchte eine der Größe der Koalition | |
angemessene Gesundheitsreform. Der CDU gelang es, bereits verkaufte Kühe | |
noch einmal – und dazu noch sehr teuer – zu verkaufen. | |
Zeitpunkt: 2005 | |
Das war der Deal: Eine Gesundheitsreform von Union und SPD, die richtig | |
viel verändern sollte, ohne eine einzige Interessengruppe zu erschrecken - | |
das konnte nur schiefgehen. Denn bei Gesundheit lagen CDU und SPD nun | |
wirklich auseinander. Doch wollte die CDU unbedingt den Gesundheitsfonds, | |
eine Art Beitragssammelkasse, über deren Sinn die Republik bis heute | |
grübelt. | |
Und so nutzte die Union die Notlage der SPD brutal aus, denn die stellte ja | |
die Ministerin Ulla Schmidt, die auch etwas Großes vorweisen wollte. Da | |
behauptete die CDU einfach, die SPD bekomme etwas, was aber es schon gab, | |
nämlich den Kassenfinanzausgleich (für Fans: morbiditätsorientierter | |
Risikostrukturausgleich). Weil das Wort dazu so schwierig war, fiel den | |
SPD-Anhängern dann auch gar nicht auf, dass der doch 2004 schon beschlossen | |
worden war. | |
3 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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