# taz.de -- Exinnenminister Baum über NSU: „Die V-Leute müssen an die Kette… | |
> Jahrelang sei die Gefahr von Rechts ausgeblendet worden, sagt | |
> Ex-Innenminister Baum (FDP). Es müsse verhindert werden, dass mit | |
> Staatsgeld Neonazis finanziert werden. | |
Bild: Mehr Kontrolle im Umgang mit V-Leuten fordert Gerhart Baum. | |
taz: Herr Baum, vor einem Jahr erfuhren wir, dass es eine Mörderbande | |
namens NSU gab. 13 Jahre Untergrund, 10 Tote – und der Staat lag im | |
Tiefschlaf. Wie tief ist der Einschnitt? | |
Gerhart Baum: Das ist ein Trauma für das Land. Und für die | |
Sicherheitsbehörden. Diese zehn Menschen könnten noch leben, wenn sie | |
funktioniert hätten. | |
Warum wurde die Gefahr des Terrors von rechts übersehen? | |
Wir waren jahrelang, auch in meiner Zeit als Innenminister, herausgefordert | |
durch die Gewalt der RAF. Darauf hat die Republik intensiv reagiert, in | |
Teilen überreagiert. Die gleichzeitigen Morde, die von Rechtsextremen | |
verübt wurden, wurden dagegen ausgeblendet. Jahrzehntelang galt: Der Feind | |
steht links. | |
Was muss sich im Sicherheitsapparat ändern? | |
Es muss sich das Bewusstsein schärfen, dass der Rechtsextremismus eine | |
wirkliche Gefahr ist. Und natürlich müssen auch die Strukturen überprüft | |
werden, etwa die Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden. | |
Die Debatte wird ja grundsätzlicher geführt: Brauchen wir noch einen | |
Verfassungsschutz? | |
Der Verfassungsschutz ist jetzt in der Bringschuld: Er muss uns erklären, | |
warum wir ihn brauchen. Ich bin der Meinung, wir brauchen ihn zur Abwehr | |
einiger Gefahren dringend, etwa der neuen Form des islamistischen | |
Terrorismus. Da liefert er wertvolle Hinweise, mit denen Anschläge | |
verhindert werden können. Bei der Beobachtung verfassungsfeindlicher | |
Bestrebungen sollte er sich aber auf das Wesentliche konzentrieren: Den | |
Bürgern zu sagen, welche Kräfte unsere Ordnung angreifen. | |
Können das die Bürger nicht selber erkennen? | |
Zum Teil schon. Die Linkspartei können wir politisch einordnen, dazu | |
brauchen wir keinen Verfassungsschutz. Die Beobachtung dieser Partei und | |
ihres Personals kann der Staat getrost einstellen. Aber es gibt auch | |
gefährliche extremistische Gruppen, die nicht so ohne Weiteres | |
durchdringbar sind. | |
Das NSU-Debakel hat zum Teil unglaubliche Zustände in den Länderbehörden | |
offenbart. Als das NSU-Trio in den Untergrund ging, war der | |
Verfassungsschutz Thüringens eine Unsicherheitsbehörde. | |
Das stimmt leider, ja. | |
Brauchen wir in Deutschland wirklich fast 40 Geheimdienste und | |
Kriminalämter? | |
Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit, eindeutig. Aber ich bin skeptisch | |
gegenüber denen, die jetzt alles zentralisieren wollen. Das bringt auch | |
Gefahren mit sich. Wichtig ist, dass Informationen nicht irgendwo in | |
Landesbehörden liegenbleiben, sondern ausgetauscht werden. | |
Warum braucht der Verfassungsschutz V-Leute, also vom Staat bezahlte | |
Verräter? | |
Wir können in der Welt, in der wir leben, nicht auf Informationen | |
verzichten, die man sich auf diese Weise beschafft. Entscheidend ist, dass | |
es klare Regeln gibt, wie man V-Leute anwirbt und mit ihnen umgeht. Und vor | |
allem, wie verhindert wird, dass mit Staatsgeld rechtsextreme Aktivitäten | |
finanziert werden. Man muss die V-Leute an die Kette legen. | |
Es gibt den Vorschlag, ein geheimes Parlamentsgremium, die G 10-Kommission, | |
soll den Einsatz von V-Leuten vorab genehmigen. Eine Art Spitzel-TÜV. | |
Meine Erfahrung mit diesem Gremium ist, dass die dortigen Kontrolleure | |
weitgehend den Vorstellungen der Sicherheitsbehörden folgen. Und sie können | |
auch kaum was anderes tun, denn sie haben keine Urteilsgrundlage außer dem, | |
was ihnen die Dienste vorlegen. Das wird nicht funktionieren. Oder soll das | |
Parlament etwa die V-Leute vorladen und sie inspizieren? | |
Geht Ihnen die Aufklärung des NSU-Debakels zügig genug? | |
Für die Opferangehörigen muss es unerträglich sein, wie lange die | |
Aufklärung dauert. Der NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin arbeitet gut, | |
die Abgeordneten geben sich große Mühe, aber sie kommen nur langsam voran. | |
Doch wenn am Ende wirklich etwas herauskommt, was uns für die Zukunft | |
hilft, ist Gründlichkeit wichtiger als Schnelligkeit. | |
9 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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