# taz.de -- Aus der Quoten-taz: Hausfrau kontra Putin | |
> Jewgenija Tschirikowa ist die erste Wutbürgerin Russlands. Unerschrocken | |
> kämpft sie gegen den Männerbund im Kreml. Und für ihren Wald. | |
Bild: Putin interessiert sich nicht für Wald. | |
Zweifel gab es auch. Nicht viele, denn Jewgenija Tschirikowa, 36, erlaubt | |
sich selten Angst. Einmal fielen Nazis in das Zeltlager ein, mit dem die | |
Umweltschützer die Bulldozer stoppen wollten. Es war fünf Uhr morgens. „Wir | |
sind gekommen, um zu töten“, brüllten die Männer, sie trugen Masken und | |
Schlagstöcke. | |
Tschirikowa tippte rasch die Nummer der Polizei in ihr Handy, da fürchtete | |
sie sich noch nicht. Doch dann kam die Polizei. Ließ die Nazis ziehen. Und | |
verhaftete die Umweltschützer. „Wir waren die Opfer, saßen hinter Gittern�… | |
erinnert sich Tschirikowa. „Dies war der hoffnungsloseste, dunkelste Tag | |
meines Lebens.“ Aber aufgeben? „Russland ist gerade in einer interessanten | |
Umbruchphase“, sagt sie. Nicht aufgeben, niemals. | |
Jewgenija Tschirikowa wäre beinahe eine zufriedene Frau. „Ich habe alles“, | |
hämmert sie einmal auf dem Smartphone in ihren Twitter-Account, da hatten | |
Polizisten sie gerade aus dem Zeltlager weggeschleppt . „Ich habe einen | |
Mann, Kinder, Freunde, eine Wohnung. Ich bin jung und habe nicht einmal | |
Cellulitis.“ Nur eins fehle: „Ein normales Land.“ | |
## Wut gegen Willkür | |
Tschirikowa ist eine kleine, dünne Frau mit Kurzhaarschnitt, sie trägt | |
Jeans und selten hohe Absätze, sie ist nicht reich oder größenwahnsinnig, | |
auch pragmatisch, einerseits. Andererseits gehört sie nicht zu den | |
Menschen, die traurig mit den Schultern zucken, wenn sie auf etwas | |
verzichten müssen. Also kämpft sie. Gegen Präsident Wladimir Putin, seine | |
korrupte Elite, gegen Willkür und Gleichgültigkeit, all das also, was | |
Russland heute so ausmacht. Die Vernunft empfiehlt diesen ungleichen Kampf | |
nicht. | |
„Das ist ja so“, überlegte ihre kleine Tochter einmal, „als würde eine | |
Katze gegen einen Bulldozer kämpfen!“ In Wirklichkeit ist alles schlimmer, | |
nämlich ungefähr so: Hausfrau gegen KGB. | |
Als alles anfing, waren Tschirikowa und ihr Mann gerade mit ihren zwei | |
kleinen Töchtern aus Moskau weggezogen, dem Moloch mit seinen zehnspurigen | |
Einfallstraßen. Auch die Vorstadt Chimki ist nicht beschaulich, es gibt | |
keine Einfamilienhäuser oder Gärten, graue Bettentürme ragen trist in den | |
Himmel. Tschirikowas Familie lebt in einem flachen Häuserblock aus den 50er | |
Jahren, zwei Zimmer, 42 Quadratmeter. Das ist wenig für vier. Dafür können | |
sie in fünf Minuten in den Wald laufen. | |
Im Sommer 2006, Tschirikowa schiebt gerade den Kinderwagen spazieren, | |
bemerkt sie kleine rote Punkte auf den Bäumen. Abends forscht sie im | |
Internet. Schnell wird klar: Der Wald soll weg. Für eine Autobahn. | |
Tschirikowa kann es nicht fassen, sie liest: Das Naherholungsgebiet darf | |
laut Gesetz gar nicht bebaut werden. Empört läuft sie ins Stadtamt. „Putin | |
hat es entschieden“, sagt man ihr. „Also ist es Gesetz.“ | |
Das muss sich doch stoppen lassen, denkt sie. Bürgerrechtler winken ab. Zu | |
aussichtslos sei dieser Kampf, Widerstand gefährlich. Aber Tschirikowa hat | |
keine Ahnung von Politik. Zu Wahlen ist sie nie gegangen. Putin, so denkt | |
sie damals, ist ein hübscher Mann: so durchtrainiert. Die Kremlpartei | |
Einiges Russland hält sie für eine Vereinigung von Umweltschützern, weil im | |
Wappen ein Bär zu sehen ist. „Ich war ahnungslos“, sagt sie „politisches | |
Gemüse“. | |
Tschirikowa hat Zeit, sie kümmert sich gerade zu Hause um die Kinder und | |
kramt ihre alten Lehrbücher aus dem Managerkurs heraus, nach denen sie mal | |
an der Uni gelernt hat. Sie ist eigentlich Ingenieurin und Volkswirtin und | |
gründete mit ihrem Mann Michail eine kleine Firma für Energieberatung. „Ich | |
wollte den Widerstand organisieren“, sagt Tschirikowa, „und ging streng | |
nach den Regeln einer PR-Kampagne vor.“ | |
Die junge Mutter druckt Flugblätter und klebt sie an Bäume, organisiert | |
Treffen, hinterlässt ihre Telefonnummer. Sie denkt sich: Lieber kein Büro | |
mieten, nichts kaufen, denn das kann in Russland, in dem das Recht nie auf | |
der Seite der Ungehorsamen steht, schnell wieder weg sein. Bis heute | |
treffen sich die Umweltschützer oft in ihrem Wohnzimmer, zwischen | |
Tropenaquarium und Schrankwand. | |
## Perfide greifen sie die Familie an | |
Bald ist klar: Beim Straßenbau geht es um viel Geld. Es ist ein Projekt von | |
Wladimir Putins ehemaligem Judopartner Arkadij Rotenberg, einem der neuen | |
Oligarchen. Auch korrupte Politiker aus Chimki sind darin verwickelt. Dabei | |
hatte Putin selbst den Wald zum „Transport- und Industriegebiet“ | |
umgewandelt. Tschirikowa wollte mit Politik nie etwas zu tun haben. Auf | |
einmal ist sie mittendrin. | |
Angenehm ist das nicht. Russland gehört zu den zehn gefährlichsten Ländern | |
der Welt, bis heute. „Über Risiken darfst du nicht nachdenken“, sagt | |
Tschirikowa. „Sonst wirst du verrückt. Du musst tun, was von dir abhängt. | |
Dann kommt, was kommen soll.“ Es kommt eine Menge. Unbekannte lauern ihrem | |
Weggefährten Michail Beketow auf, dem Chefredakteur der Lokalzeitung. Er | |
überlebt den Überfall mit Glück. | |
Tschirikowa selbst wird von einem Auto angefahren, festgenommen, sie | |
übernachtet in den Käfigen auf der Polizeistation und organisiert von dort | |
aus die Kinderbetreuung. Ihren Mann werfen Unbekannte in den Schnee und | |
prügeln ihn blutig. „Ich war sauer auf ihn“, erzählt sie. „Wieso geht er | |
alleine in den Wald?“ Sanftmut verliert sich schnell in all dem Ärger. | |
Einmal stehen Beamte vom Jugendamt vor der Tür. Es gebe anonyme Hinweise: | |
Tschirikowa vernachlässige ihre Kinder. Die müsse man unter Umständen | |
mitnehmen. Panik bricht aus. „Hör endlich auf mit dem Wald“, flehen ihre | |
Verwandten. Sie ignoriert die Angehörigen, lässt sich in ihrem Wohnzimmer | |
filmen, bittet darum, im Jugendamt anzurufen und stellt den Aufruf ins | |
Internet. Hunderte helfen, sofort. Beruhigt ist Tschirikowa dennoch nicht. | |
„Wenn in der Schule fremde Leute nach dir fragen, gehst du sofort zur | |
Lehrerin“, bläut sie danach ihrer siebenjährigen Tochter ein. „Zu meiner | |
Lehrerin?“, fragt diese. „Die ist die erste, die mich weggibt.“ Tschiriko… | |
ist geschockt: Ist sie naiver als ihr Kind? | |
## Kurzer Hauch der Hoffnung | |
Im Wald liegen inzwischen Baustämme in der Waldschneise, die Konflikte mit | |
der Polizei werden härter. Im Jahr 2010 organisiert Tschirikowa die erste | |
Demonstration in Moskau. 5.000 Menschen kommen. Nicht viel für eine Stadt | |
mit zwölf Millionen Einwohnern, und doch unglaublich viel für Russland, das | |
apathische, traurige Land. Auch Hunderte Polizisten rücken an und kassieren | |
auf dem Puschkinplatz gleich erst einmal die Verstärker ein. Der Rocksänger | |
Jurij Schewtschuk, in Russland so berühmt wie Udo Lindenberg in | |
Deutschland, reist an. | |
Er stellt sich vor die Leute, nur mit seiner Gitarre um den Hals und singt | |
gegen den Autolärm an, eine Hymne über Heimat und Freiheit. Viele werden | |
sich später bewegt an diesen Moment erinnern, an eine zarte Hoffnung, es | |
könnte sich doch etwas ändern in Putins Riesenreich. Für ein paar Monate | |
wird der Bau der Straße gestoppt. | |
Das Staatsfernsehen berichtet nie über die Umweltschützer am Chimki-Wald, | |
aber über das Internet verbreiten sich die Neuigkeiten rasch. Andere | |
Initiativen entstehen. Am Baikalsee kämpfen Naturschützer gegen ein | |
Zellulosewerk, in Petersburg um die alten Häuser im Zentrum. Die Autofahrer | |
in Moskau heften blaue Eimer auf die Autodächer und protestieren so gegen | |
die Beamten, die mit Blaulicht an allen Staus vorbeirasen. Der Blogger und | |
Anwalt Alexej Nawalnyj prangert im Internet Korruption an. Das gesamte | |
junge Moskau scheint sich auf einmal gegen den Kreml zu verbünden. | |
Zu den Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen im vergangenen Dezember | |
kommen Zehntausende. Damit hat niemand gerechnet. Tschirikowa steht nun | |
vorne auf der Bühne. "Freunde!", brüllt sie. "Ich bin so stolz! Wir sind | |
Bürger geworden!" Fast romantisch ist das, viele lächeln, anderen kommen | |
die Tränen, weil auf einmal so viele Menschen in der Kälte stehen. Weiße | |
Luftballons segeln in den eiskalten Winterhimmel. | |
## Dann wird Putin wiedergewählt | |
Und dann wird Wladimir Putin wiedergewählt. Die Trasse durch den Wald wird | |
gebaut, die Band Pussy Riot verurteilt. Spezialeinheiten durchwühlen die | |
Wohnungen von Putin-Gegnern, im Mai werden Dutzende Demonstranten | |
verhaftet. Mehrere Jahre Haft drohen ihnen. Ein kalter Wind weht nun | |
wieder, auch Jewgenija Tschirikowa spürt die neue, harte Zeit. | |
Anfang Oktober kandidiert sie für den Posten des Bürgermeisters von Chimki. | |
Ihr Gegner ist der Kandidat des Kremls. Tschirikowa ist längst eine | |
öffentliche Person. Das Staatsfernsehen zeigt Filme über sie. Wie sie in | |
die amerikanische Botschaft geht, dort angeblich Instruktionen empfängt. | |
Reich geworden sei durch die Ausländer, heißt es. Sie sei eine bezahlte | |
Spionin. Ihre Stimme ist viel schärfer geworden als sie es noch vor drei | |
Jahren war. Manchmal fangen Mitglieder der Kremljugend-Parteien sie ab oder | |
rufen sie auf dem Handy an. Am Lager im Wald stehen oft kräftige Herren in | |
Zivil. Das muss man aushalten können. Tschirikowa keift sie an. | |
Ihr Wahlkampfstab liegt neben einem Gemüseladen, es ist ein winziger, | |
vollgestopfter Raum. Nur Freiwillige arbeiten für sie. „Bei uns geht immer | |
alles ums Geld“, sagt sie. „Ich will nur Leute, die für ihre Ideen | |
kämpfen.“ Auch bei dieser Wahl wird gefälscht, es prügeln sich sogar | |
Wahlbeobachter mit dem Leiter einer Wahlkommission, der mit den | |
Wählerlisten abhauen will. Aber die Wahl ist nicht nur deshalb verloren. | |
Viele Menschen glauben der Propaganda. | |
„Das Problem ist nicht, dass sie den Kreml toll finden“, erklärt Jewgenija | |
Tschirikowa, „sondern die Gleichgültigkeit.“ Viele zweifeln schon: Spült | |
die Protestwelle je Putin aus dem Kreml? Tschirikowa weiß es nicht. Ihr | |
Trick: Weitermachen. Sie glaubt an Wunder. Manchmal passieren welche. Dann | |
bringt vielleicht eine einzelne, unerschrockene Frau in Chimki so viel in | |
Bewegung, dass die selbstgerechten Männer im Kreml diese nicht mehr | |
ignorieren können. | |
## Bettina Sengling, 44, studierte Slawistin und Buchautorin, war von 1995 | |
bis 2003 Moskau-Korrespondentin des Stern. Heute ist sie Reporterin im | |
Auslandsressort des Magazins. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie | |
ärgert, dass Auslandsberichterstattung noch immer eine Männerdomäne ist. | |
16 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Sengling | |
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