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# taz.de -- Kolumne American Pie: Brutale Erschütterung
> Die Tragödie um den American-Football-Spieler Javon Belcher wirft viele
> Fragen auf. Er setzte eine seltsame Suizid-Serie von NFL-Profis fort.
Bild: Zeugen des Selbstmords beim Spiel danach: Scott Pioli und Romeo Crennel v…
Es war nur ein Spiel zwischen zwei schlechten Football-Mannschaften. Am
Ende hatten die Kansas City Chiefs 27:21 gegen die Carolina Panthers
gewonnen. Ein Ergebnis ohne Wert, denn Chancen auf die Playoffs haben beide
Teams nicht mehr. Die Panthers hatten einer enttäuschenden Saison bloß ein
weiteres frustrierendes Kapitel hinzugefügt, die Chiefs nach acht
Niederlagen in Folge immerhin mal wieder einen Sieg eingefahren.
Freuen über das seltene Erfolgserlebnis aber wollten und konnten sie sich
nicht, hatte sich doch am Tag zuvor eine Tragödie in Kansas City
abgespielt. Chiefs-Verteidiger Javon Belcher hatte zuerst seine Freundin
Kasandra Perkins, die Mutter seiner dreimonatigen Tochter, mit neun
Schüssen ermordet. Anschließend fuhr er zum Trainingsgelände der Chiefs,
bat Cheftrainer Romeo Crenell und Manager Scott Pioli auf den Parkplatz,
sagte ihnen, er sei ihnen zu großem Dank verpflichtet, und brachte sich
dann vor ihren Augen um.
Belcher hat anscheinend keinen Abschiedsbrief hinterlassen und auch sonst
keine Erklärungen abgegeben, bevor er die schreckliche Tat beging. Die
Ermittlungen der Polizei haben nur ergeben, dass sich der 25-Jährige und
seine drei Jahre jüngere Lebensgefährtin zwei Wochen zuvor getrennt haben
und immer wieder gestritten hätten. Auch am Samstag war es zum Streit
gekommen, bevor Belcher die junge Mutter erschoss. Das Motiv für die Tat
ist ungeklärt.
Die Erschütterung war groß. Die Spieler der Chiefs beklagten den Verlust
einen vorbildlichen Mannschaftskameraden und sein Agent Joe Linta den Tod
„eines gütigen, selbstlosen, hart arbeitenden, engagierten Bürgers“.
Kollege Andy Studebaker ließ wissen, „Jovan war wie ein Bruder für uns“.
Nichts habe im Vorfeld auf die spätere Tragödie hingewiesen. Belcher hätte
sich sogar als Mitglied einer Aktionsgruppe gegen häusliche Gewalt
engagiert.
So allumfassend war die Trauer und die Liebe, die dem ehemaligen
Mannschaftskameraden hinterhergeschickt wurde, dass der ehemalige
Football-Profi und jetzige TV-Experte Tom Jackson sich genötigt sah, im
Sportkanal ESPN darauf hinzuweisen, dass Javon Belcher „eigentlich ein
Mörder ist und ich alle darum bitten möchte, eher Kasandra Perkins zu
gedenken“.
## Mehrere Gehirnerschütterungen
Die meisten halten sich bislang respektvoll mit Erklärungsversuchen zurück.
Im Internet und der nicht ganz so seriösen Presse allerdings wird längst
wild spekuliert. Die Sport-Website „Deadspin“, die schon mehrere Skandale
enthüllt hat, zitiert aus Mails eines anonym bleibenden angeblichen
Freundes von Belcher. Der behauptet, der tote Profi hätte „jede Nacht
schwer getrunken“, unter dem Einfluss von Schmerzmitteln gestanden und
zuvor mehrere Gehirnerschütterungen erlitten. Nach einem Spiel Mitte
November soll er „benommen“ gewesen sein und Probleme mit dem
Kurzzeitgedächtnis offenbart haben.
Der Vorfall reiht sich ein in eine bedenkliche Suizidserie. In den
vergangenen zwei Jahren haben sechs aktuelle oder ehemalige NFL-Profis
Selbstmord begangen, darunter Stars wie Junior Seau. Erst im Juli hatte
sich O. J. Murdock von den Tennessee Titans umgebracht.
Mittlerweile darf es als gesichert gelten, dass der Sport zumindest
mitverantwortlich ist für die auffällige Häufung von Suiziden. Football ist
brutal, viele Spieler erleiden regelmäßig Gehirnerschütterungen, werden
alkohol- oder schmerzmittelabhängig und klagen nach dem Ende der Karriere
über Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust und Schwermut. Bei mindestens 20
verstorbenen Ex-Profis wurde posthum das sogenannte „Boxer-Syndrom“, die
Dementia Pugilistica, diagnostiziert, eine Gehirnschädigung, die für
Depressionen verantwortlich ist.
Unter Depressionen litt auch Dave Duerson, der die Selbstmordserie im
Februar 2011 eröffnete. Der 50-Jährige schoss sich in den Brust und bat
darum, sein Gehirn zu examinieren. Mittlerweile ist bewiesen, dass auch er
am „Boxer-Syndrom“ litt. Dieser Nachweis wird bei Javon Belcher, der sich
mit einem Schuss in den Kopf richtete, schwieriger zu führen sein.
4 Dec 2012
## AUTOREN
Thomas Winkler
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NFL
Football
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NHL
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Finanzen
Football
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