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# taz.de -- Kulturaustausch Berlin-Istanbul: Neugierig auf die Buraks
> Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Das Berliner Radialsystem und das
> Borusan Müzik Evi in Istanbul haben eine Kooperation in Sachen Musik
> eingeläutet.
Bild: Das Borusan Müzik Evi im Stadtteil Beyoglu.
Natürlich gehört die Türkei zu Europa. Unbestritten jedenfalls gehört jener
Teil dazu, in dem das Borusan Müzik Evi, weltläufig auch Borusan Music
House genannt, steht. Wir befinden uns hier im europäischen Teil Istanbuls,
genauer: im Stadtteil Beyoglu, in Deutschland bekannt geworden durch Fatih
Akins Film „Crossing the Bridge“, der die Metropole am Bosporus als
lebendige Musikstadt zeichnet.
Die Stimmung in Beyoglu zu später Stunde wäre mit „pulsierend“ nur
unzureichend beschrieben. Wogende Menschenmassen flanieren am Wochenende
noch spätnachts durch die weitläufige Fußgängerzone. Aus Lokalen, die auch
im Winter zur Straße hin offen stehen, während die Kälte mit Heizpilzen
neutralisiert wird, dringt allerorten laute Musik, die sich manchmal zu
kakophonen Soundknäueln verfilzt.
Eine Band fährt auf einer historischen Straßenbahn hin und her und
musiziert dabei aus Leibeskräften. All dessen muss man sich bewusst sein,
wenn man im Borusan Müzik Evi ein Konzert plant. Denn wenn draußen gerade
die Musiktram vorbeifährt, kann es lustige Interferenzen geben.
## Große Delegation
In dieses Metropolensetting kommt an einem mediterran verregneten
Novemberwochenende das Radialsystem V aus Berlin, um unter dem Label „New
Sounds of Berlin“ einen kleinen Einblick in die junge Kammermusikszene zu
geben. Die Deutschen reisen in großer Delegation, denn man hofft, mit den
Istanbulern eine längerfristige Kooperation eingehen zu können.
Mehrere Streicherensembles sind mitgekommen, um am Bosporus einen weiten
musikalischen Bogen zwischen Barock und Moderne zu schlagen.
Folkert Uhde, künstlerischer Leiter des Radialsystems, hat für die erste
Begegnung mit dem unbekannten Publikum ein akustisches Häppchen
angerichtet, das auf die räumlichen Besonderheiten des schmalen
dreistöckigen Stadthauses in Beyoglu zugeschnitten ist und der Annahme
folgt, dass das klassische Repertoire der Stammkundschaft möglicherweise
nicht so vertraut ist.
Denn das Müzik Evi als Spielort setzt seinen Schwerpunkt sonst eher im
Jazz- und experimentellen Pop-Bereich. „Unsere Zielgruppen sind eigentlich
sehr voneinander getrennt.“ Ahmet Erenli, Leiter der Borusan-Stiftung, die
zahlreiche Projekte und Künstler im Bereich der Musik und der bildenden
Kunst unterstützt, lächelt fein, als er das sagt.
Im Musikbereich finanziert die Stiftung außer dem erst zwei Jahre jungen
Müzik Evi ein eigenes Symphonieorchester, das mit klassischem europäischem
Repertoire vor ausverkauften Sälen auf beiden Seiten des Bosporus spielt
und über tausend Abonnenten hat.
Ins Müzik Evi würden die Abonnenten aber nicht kommen, erklärt Erenli, da
es in der Gegend an Parkplätzen hapere. Später am Abend wird man verstehen,
dass es für die Gesetzteren unter den Musikfreunden auch deshalb wenig
attraktiv wäre, das Haus in Beyoglu aufzusuchen, da es eine gewisse
körperliche Beweglichkeit voraussetzt, sich von den High-Tech-Sitzkissen
wieder hochzustemmen, die im kleineren Saal für die Zuhörenden vorgehalten
werden.
Wer das nicht so mag, darf im größeren Saal allerdings auch auf einem Stuhl
sitzen; denn es wird an mehreren Orten im Gebäude gleichzeitig gespielt.
## Trübe Spree
Und nach all der Musik bietet sich, wenn man hinaus auf die Dachterrasse
tritt, ein atemberaubender Ausblick auf den gar nicht fernen Bosporus, auf
dem die Fähren hell erleuchtet ihre abendlichen Spuren ziehen. Da können
die Berliner atmosphärisch nicht mithalten; auch wenn ihr Radialsystem
direkt am Wasser liegt, ist es doch nur die trübe alte Spree, die dort
unscheinbar vorüberfließt.
Dafür ist das Berliner Haus als Spielort deutlich größer, und das ist ein
Glück; denn als eine Woche nach dem Gastspiel am Bosporus die
Gegenveranstaltung in Berlin stattfindet, wirkt der große Saal des
Radialsystems sehr ausverkauft.
Der Fagottist Burak Özdemir tritt zusammen mit dem Ensemble Musica Sequenza
auf. Özdemir, 28 Jahre jung und geboren in Istanbul, hat mit einem
Stipendium der Borusan-Stiftung unter anderem an der Juilliard School in
New York studiert – als erster Fagottist überhaupt.
Derzeit lebt und arbeitet er wieder in Berlin und ist daher so etwas wie
ein Fleisch gewordener Beleg dafür, dass er schon lange lebt, der
türkisch-deutsche Musikaustausch. Und dass man als Veranstalter einfach nur
zugreifen muss.
Und weil das so schön ist, stellen Jochen Sandig für das Radialsystem und
Ahmet Erenli für die Borusan-Stiftung sich vor dem Konzert gemeinsam vor
das Berliner Publikum und strahlen um die Wette. Dies sei nur der Beginn
einer langfristigen Kooperation, versprechen beide, und Sandig hofft auf
„viele, viele Buraks“, die man ihm noch schicken werde aus Istanbul.
Der Burak, der an diesem Abend ein dankbares Berliner Publikum beglückt,
spielt zusammen mit Musica Sequenza Vivaldi-Konzerte für Fagott, dazwischen
auf dem Klavier eigene Kompositionen, und improvisiert im Anschluss an das
eigentliche Konzert noch mit seinem Fagott im Duo mit DJ Ipek am Mischpult.
Eine insgesamt bestimmt erschöpfende Performance, die Burak Özdemir mit
staunenswerter Energie bestreitet, und ein künstlerisch buntes
Gemischtwarenangebot, das für alle etwas bietet und zeigt, dass der
musikalische Brückenschlag wirklich in viele Richtungen möglich ist. Somit
hat dieses Berliner Konzert etwas bezwingend Programmatisches für den
geplanten regen Musikaustausch zwischen den Metropolen. Auf die anderen
Buraks kann man schon neugierig sein.
6 Dec 2012
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Istanbul
Berlin
Musik
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Türkei
Peter Handke
Architektur
Musik
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