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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Danke, Deichkind!
> Warum ist Kinderarbeit leider geil, Sebastian Dürre? Anruf bei einem
> Hamburger Post-HipHopper. Und die Erkenntnis: Nichts ist nur weiß. Alles
> ist immer auch schwarz.
Bild: Sie nennen ihn „Porky“: Sebastian Dürre
Bei allem Respekt für die Großschriftsteller Ian McEwan und Jonathan
Franzen muss man doch sagen, dass noch kein Kunstwerk das individuelle und
gesellschaftliche Verhalten in Sachen Klimawandel and more so auf den Punkt
gebracht hat wie „Leider geil“, der Song von Deichkind. Hamburger
Post-HipHopper. Beliebt und erfolgreich. Außer im klassisch linken
Spektrum. Dort gelten sie als zu unernst.
„Leider geil“ ist mein Hit des Jahres 2012. „Autos machen Dreck / Umwelt
geht kaputt / doch ’ne fette neue Karre is – leider geil“. Der Text ist
eine präzise Dekonstruktion unserer menschlichen Schizophrenie: Korrekte
Meinungen in Sachen Umwelt und Produktionsbedingungen und gleichzeitig
komplett amoralische Handlungen. „Kleine Kinderhände, / nähen schöne
Schuhe, / meine neuen Sneakers sind – leider geil.“
Ich ließ mir einen Telefontermin bei Sebastian Dürre geben, Künstlername
„Porky“, Bassist und MC (Master of Ceremonies) und neben Philipp Grütering
Texter und Komponist von Deichkind. „Warum ist Kinderarbeit leider geil,
Herr Dürre?“. Hm, sagt er. „Wenn wir die Produktion nach Asien auslagern,
kriegen wir hier die CO2-Werte runter und stehen besser da. Und die Kinder
dort haben was zu tun.“ Er wartet, ob ich darauf anspringe.
## Keine politische Band
Wozu? Ich weiß ja auch, dass Moralstatements nicht gegen die gelebte
Retrokultur unserer Zeit ankommen. Das kann nur eine neue Kultur, die auf
einer Vorstellung von Zukunft beruht. Ich wende also meine Schweigetaktik
an. Bis er nachlegen muss. Es stellte sich heraus, dass das Spiel mit
Zynismus zur Band-Kommunikation gehört. Außerdem ist es halb vier und er
gerade erst aus seinem Mittagsschlaf erwacht. Aber gut: Deichkind seien
keine politische Band, doch „Leider geil“ sei eine Bestandsaufnahme. „Wie
wenn man jemandem auf die Schulter haut, damit er aufwacht.“
Er ist 35, er hat Kinder, und auch wenn er nicht auf „durchdachten Quatsch“
steht, beschäftigt ihn die Frage, worum es im Leben wirklich geht. Er
möchte möglichst wenig Schaden anrichten auf der Welt, kann aber „nicht wie
Dr. Sielmann barfuß durch den Dschungel gehen, um nur ja kein Blatt zu
zertreten“. Er sei schon ein radikal denkender Typ, er wolle Change, er
kämpfe auf der guten Seite der Macht.
## „Erhobenen Hauptes verglühen“
Theoretisch? „Klar, theoretisch“, sagt er. „Alles gut gemeint. Alles.“ …
praktisch? „Wir werden verglühen, und dann sollte man das erhobenen Hauptes
machen.“ Ist das dann letztlich die Botschaft von „Leider geil“? Tja, sagt
er, er würde auch gern eine Erklärung haben. Aber es sei Zeit gewesen, dass
es mal jemand sagt. Der Mann gefällt mir.
Deichkind seien „Sinnstifter und Sinnvernichter“, hat ein Kritiker
analysiert. Da ist was dran. Zum Beispiel hat ihr Song über
urheberrechtsverletzendes Runterladen namens „Illegale Fans“ dazu geführt,
dass sie in wenigen Monaten eine halbe Million Platten verkauft haben.
Jochen Distelmeyer war empört. Was ist mit den anderen Bands, die nicht
überleben, wenn ihre kreative Arbeit nicht bezahlt wird? „Ja, ab auf die
Bühne“, sagt Dürre, „oder im Café als Bedienung arbeiten“.
Er will keine Geschenke an Weihnachten und schenkt auch nichts. Er braucht
kein Geld. Er hat Geld. Er hat eine fette Karre. Einen Audi A6 2.7. Er
produziert seine Wärme mit Solarpanel. Nichts ist nur weiß. Alles ist immer
auch schwarz. Das ist nicht das Problem. Das ist der Ausgangspunkt. Danke,
Deichkind.
14 Dec 2012
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Kinderarbeit
Energiewende
FDP
Grüne
CDU
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