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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Tote Kinder? Du bist schuld!
> Die desillusionierte Klimaschützerin Claudia Langer klagt in ihrem Buch
> die grüne Community für ihren Zynismus an. „Notwehr“, sagt sie am
> Telefon.
Bild: Ach, geht doch alle weg!
Claudia Langer hat die Nachhaltigkeitsplattform Utopia gegründet und
entwickelt. In der ganzen Zeit stand sie für eine Kommunikation jenseits
der traditionellen Über-Ich-Moral des klassischen Öko. Über Moral verfügen
ja fast alle Menschen: Keiner will durch Temperatur- und
Meeresspiegelanstieg die Gesellschaften ruinieren. Trotzdem handelt kaum
einer.
Und schon gar nicht, wenn der Moral-Öko kommt und einem vorwirft, dass alle
fünf Minuten ein Kind stirbt. Das stimmt selbstverständlich, aber wie soll
ich, Täter, mich zu der Anklage produktiv verhalten? Wie soll ich dafür
sorgen, dass nur noch alle sechs Minuten ein Kind stirbt?
Ha. Sehen Sie, schon wird man zynisch. Typischer Abwehrreflex. Deshalb fand
ich es auch vorwärtsweisend, dass Langer, 46, es lebbar probierte,
„strategischen Konsum“ von ökosozialen Produkten propagierte und sofort
unter heftigen Beschuss der Moralisten geriet: Erstens sei Langer früher
Werberin gewesen. Zweitens gehe es doch eigentlich nur darum, sich ein
maximal gutes Gewissen bei minimalem Einsatz zu verschaffen.
Und nun kommt ausgerechnet Claudia Langer mit dem Buch „Die Generation Man
müsste mal“ (Droemer) und klagt darin Mittelschicht, Eliten und „grüne
Lifestyle-Milieus“ (sich selbst eingeschlossen) an, dass alle fünf Minuten
ein Kind stirbt und wir die Zukunft unserer Kinder „kaltblütig“ opfern.
Gleichzeitig will sie, dass die Angeklagten endlich ihren „Zynismus
überwinden“.
## Sie schmust nicht mehr, sie schreit jetzt
Ich rief sie an und fragte, was los sei. „Ich habe mich total
radikalisiert.“ Um Gottes Willen. „Das ist Notwehr“, sagte Langer. „Ich
hab’s ja anders versucht. Aber das
Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-klopfen der grünen Community, weil wir
Onlinepetitionen unterschreiben und im Biosupermarkt waren, das hat ja
nicht funktioniert bisher.“ Die Klimasituation eskaliere, die Zivilisation
hebe sich selbst auf, und wir ignorierten das oder beschäftigten uns
selbstgefällig mit allerlei Placebos. Deshalb schmuse sie nicht mehr,
sondern schreie jetzt.
Sie haben ja in der Sache recht, Frau Langer, sagte ich. Aber wie soll uns
so eine Radikalmoral handlungsfähig machen? Der moderne Mensch im
Klimawandel, das ist eine unauflösbar widersprüchliche Situation. Wer lebt,
arbeitet, soziale Beziehungen hat, lebt ökologisch inkonsequent. Das gilt
erst recht, wenn er sich gesellschaftlich engagiert. Dann muss er noch
mobiler sein. Aber es gibt unterschiedliche Qualitäten der Inkonsequenz.
Wir brauchen keine Anklage, wir brauchen eine Antwort auf die Frage, wie
man aus seiner Mittäterschaft die Kraft ziehen kann, um sich als moralisch
inkonsequentes Individuum konsequent in den Teil der Gesellschaft
einzubringen, der Umsteuer-Projekte voranbringt.
„Ich suche auch noch die Gebrauchsanweisung, wie es funktioniert“, sagte
Langer. „Es geht mir zunächst darum, dass wir bitte einfach mal wirklich
hinschauen, was wir da machen.“ Die Frage sei, und das könnten viele Eltern
ihren Kindern nicht beantworten: „Wofür stehst du? Und vor allem: Was tust
du?“
Ich habe Denken und Leben ökologisiert, sagte ich zu Langer. Meine Kinder
wissen sehr genau, wofür ich stehe. Was soll ich denn noch tun? „Sie müssen
vom Beobachter zum Akteur werden“, sagte Claudia Langer. „Gehen Sie am
besten in die Politik.“
Hm. Sucht irgendeine Öko-Partei in Deutschland oder anderswo zufällig einen
Spitzenkandidaten aus dem Volk?
30 Sep 2012
## AUTOREN
Peter Unfried
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