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# taz.de -- Vergewaltigungen in Indien: „Manche fordern Kastration“
> Die indische Frauenaktivistin Urvashi Butalia über die Protestwelle gegen
> Vergewaltigungen und die sich wandelnden Geschlechterrollen auf dem
> Subkontinent.
Bild: Die Todesstrafe würde es noch unwahrscheinlicher machen, dass Vergewalti…
taz: Frau Butalia, wie erklären Sie sich die starken Proteste nach der
Vergewaltigung einer Studentin in Delhi? Lag es an der besonderen
Brutalität oder daran, dass das Opfer aus der Mittelschicht kommt?
Urvashi Butalia: An beidem. Es gab schon noch brutalere Vergewaltigungen
von Frauen der Dalit [Kastenlose], aber ohne solche starken Reaktionen.
Jetzt gab es nichts, was man dem Opfer „anlasten“ konnte. Sie war mit einem
Freund nur im Kino, wollte nicht so spät nach Hause – es war erst 21 Uhr –,
und sie nahm einen Bus. Es war also alles „legitim“, sie kam nicht etwa um
Mitternacht aus einer Bar und war „provokativ“ gekleidet. Dann wären die
Reaktionen geringer gewesen.
Hinzu kommt, dass die Menschen einfach wütend sind, denn es hat mehrere
Vergewaltigungsfälle in den letzten Monaten gegeben. Es gibt ein Gefühl
wachsender Unsicherheit: dass Täter immer dreister werden, weil sie keine
Strafen fürchten müssen und den Opfern die Schuld in die Schuhe schieben
können.
Wie bewerten Sie die Reaktionen der Regierung?
Sie waren schrecklich, unangemessen und viel zu spät. Fünf Tage lang wollte
niemand die Demonstranten treffen oder dem Opfer seine Sympathie
aussprechen. Stattdessen gab es Schuldzuweisungen zwischen Politik und
Polizei. Als Ministerpräsident Manmohan Singh sich schließlich äußerte,
blieb dies dürftig. Verantwortung für das Versagen der Politik übernahm er
nicht. Stattdessen wurden Demonstrationen gewaltsam aufgelöst.
Glücklicherweise kann die Regierung den Fall wegen der Proteste nicht
ignorieren. Ein Komitee soll jetzt Gesetzesvorschläge machen, doch darin
sitzen keine Frauenaktivisten. Frauengruppen werden trotzdem Vorschläge
machen.
Manche fordern die Todesstrafe für Vergewaltiger.
Sie fordern auch Kastrationen. Wir haben bereits eine Mindeststrafe für
Vergewaltigung im Polizeigewahrsam von zehn Jahren Haft. Diese wurde aber
nie angewandt, weil die Richter immer eine Ausrede fanden. So würde es auch
die Todesstrafe für Vergewaltigung nur auf dem Papier geben. Bekanntlich
kennen die meisten Vergewaltigungsopfer die Täter, weil diese oft aus ihrem
Umfeld, oft aus der eigenen Familie stammen. Die Todesstrafe macht es noch
unwahrscheinlicher, dass Vergewaltigungen durch Verwandte und Bekannte
angezeigt werden. Die angebliche Abschreckung hätte also den gegenteiligen
Effekt.
Welche Rolle spielt sexuelle Gewalt gegen Frauen in der indischen
Gesellschaft?
Vergewaltigungen sind eine der tabuisiertesten Verbrechen. Indien ist in
einem starken Wandel begriffen. In den Städten gibt es ganz neue Berufe für
Frauen, doch die städtische Infrastruktur hält damit nicht Schritt, zumal
viele neue Jobs nicht klassisch von 9 bis 17 Uhr dauern. Zugleich ändern
sich durch die Urbanisierung und neue Medien die Art der Kleidung, die
Geschlechterrollen und die sozialen Codes. In diesem Wandel, der mit einem
Anstieg der Kriminalität einhergeht, sind Frauen besonders verletzlich.
Hinzu kommen die Traditionen, die Wert auf Hierarchien, das Kastensystem
und überholte Geschlechterrollen legen. Söhne werden als Nachkommen stark
bevorzugt.
Warum werden in Indien Vergewaltiger kaum bestraft?
Weil Gesetze, die medizinische Beweisaufnahme und die Strafverfolgung
mangelhaft sind. Aber auch, weil es Opfern extrem schwerfällt zu sprechen.
Ohne Unterstützung ihrer Familien ist es sehr schwer für sie. Das Gesetz
wurde 1983 durch den Einsatz der Frauenbewegung verbessert. So können Opfer
etwa anonym bleiben, und es gibt teilweise eine Beweislastumkehr. Aber es
ist schlecht anzuwenden bei Massenvergewaltigungen, Vergewaltigung durch
Soldaten oder Polizisten oder Gewaltverbrechen in der Ehe. Auch sind
Polizei, Ärzte, Anwälte und Richter nicht genug sensibilisiert.
28 Dec 2012
## AUTOREN
Sven Hansen
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## TAGS
Frauenmord
Indien
Vergewaltigung
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