# taz.de -- Kolumne Männer: Die Stille nach dem Spritz | |
> Warum eigentlich gilt Biertrinken als maskulin? Ein Kneipen-Experiment. | |
Bild: Der Bildbeweis: Männer und Bier gehören zusammen | |
Neulich habe ich nachgewiesen, dass unsere Zeit gar nicht postideologisch | |
ist. Das war leichter, als es klingt, und ich konnte mich dabei betrinken. | |
Mit zwei Freunden traf ich mich in einer Kneipe. Beide Herren sind | |
Journalisten, Mitte dreißig und Akademiker. Der eine betreute als Zivi | |
einst einen Schwerstbehinderten, der andere zwei. Der eine bereiste neulich | |
einsame Karibikinseln, der andere noch einsamere Berggipfel. Sie glaubten, | |
sie hätten alles gesehen. Dann nahm der Kellner unsere Bestellung auf. | |
Freund 1: „Ein Beck’s, bitte.“ | |
Freund 2: „Nehm ich auch.“ | |
Ich: „Ich hätt gern ’nen Aperol Spritz. Mit Sekt.“ | |
Freund 1, irritiert: „Ach, kein Bier heute?“ | |
Freund 2, heiter: „Letztes Jahr war ich mit meinen Eltern unterwegs. Ich | |
bestellte so ’nen Aperol Spritz. Und meine Mutter sagte: ’Aber Junge, das | |
ist doch so was von 2010.‘“ | |
Ich: „Das Zeug trink ich doch nicht, weil es hip ist oder war. Es schmeckt | |
mir halt. Ich trinke seit mehr als 20 Jahren Bier. Es hat geholfen, viele | |
schöne Erinnerungen zu schaffen – oder zu zerstören. Aber immer nur Bier: | |
Das ist doch auf Dauer total öde, oder?“ | |
Es folgte ein irritiertes, peinliches Schweigen, das ich bislang nur erlebt | |
hatte, wenn jemand Afrikaner als „Neger“ bezeichnete oder Fußball als | |
„Hobby“. | |
## Bier und Männlichkeit | |
Rosen sind rot, Veilchen sind blau, und Männer trinken Bier. Amen. | |
Natürlich greifen Männer ab und an zu anderen Alkoholika, und manche kommen | |
angeblich sogar ohne aus. Aber unterm Strich gilt Bier als maskulines | |
Getränk. | |
Deshalb werben bei der Fußball-WM der Männer weltweit operierende | |
Brauereien, auf Voltigier-Meisterschaften hingegen die örtliche Sparkasse. | |
Warum gilt Bier als männlich? Meine Privattheorie lautet: Bier wird mit | |
ähnlichen Eigenschaften verbunden wie die herkömmliche Vorstellung von | |
Männlichkeit. Gusseiserne Stabilität bis zur Sturheit. Da weiß man, was man | |
hat. Ein Paradox: Stabilität gilt als männlich, aber die Definition von | |
Männlichkeit ist besonders fragil. | |
Zieht man gesellschaftliche Definitionen von Weiblichkeit ab, bleibt eine | |
Frau noch immer biologisch definiert als Mensch, der Kinder gebären kann. | |
Ein Mann ist der Typ, der das nicht kann. | |
Die negative Definition muss gefüllt werden durch „typisch“ Männliches wie | |
Stärke, Härte oder Miniatureisenbahnbau. Männlichkeit lässt sich daher auch | |
leicht absprechen. Etwa, indem man einen Mann als „Weichei“ bezeichnet oder | |
indem man schweigt, wenn er statt eines Biers eine Mischung aus Likör und | |
Prosecco bestellt. | |
Dabei ist Bier eigentlich eine Art „Criss“ für Kerle: viel Flüssigkeit im | |
Verhältnis zum Alkohol. „Criss“ tranken zu meiner Schulzeit | |
Neuntklässlerinnen zum „Vorglühen“. Die klebrige Mischung aus Sekt und | |
Orangensaft war wie die Pubertät selbst: grässlich, aber unvergesslich. | |
Meine Freunde überzeugte meine Privattheorie nicht. Sie blieben | |
postideologisch verblendet und beim Bier. Ich suchte Trost an der Theke und | |
bestellte „noch zwei Beck’s und ’nen Aperol Spritz“. Der Kellner fragte: | |
„’tschuldigung: Was war das Erste?“ | |
2 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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