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# taz.de -- Kolumne Männer: Running Man
> Männer mögen sich nicht. Warum liefen sie sonst Marathon? Keine
> Schmerzen? Zu langsam!
Bild: So werden männliche Marathonläufer am Liebsten angefeuert.
Neulich habe ich beschlossen, mich zu mögen. Geh nachsichtiger mit deinen
Schwächen um, sagte mir eine innere Stimme, schließlich ist niemand
perfekt. Ich dankte der freundlichen Stimme herzlich, denn ihre Worte kamen
gerade rechtzeitig. Ein Marathon-Lauf stand bevor. Und es gibt kaum eine
bessere Gelegenheit, sich ausgiebig nicht zu mögen.
Mach dein Ding, vergleiche dich nicht mit anderen Läufern, sagt mir die
Stimme, als ich mich ins vollgepfropfte Starterfeld zwänge. Um mich herum
in der morgendlichen Kühle stehen fast 41.000 aufgeregte Menschen. Vier von
fünf sind, wie immer, Männer. Der Tross setzt sich in Bewegung, erst
langsam, dann immer schneller. Ein schönes Rennen wünsch ich dir! Wem auch
immer diese Stimme gehört: Ich bin froh, dass sie da ist.
Denn es fällt den meisten Männern weit schwerer, sich zu akzeptieren, als
zumeist angenommen wird. Oder beweisen Marathonläufer etwa Selbstachtung,
wenn sie sich öffentlich die Brustwarzen mit Pflaster abkleben und
Fettcreme in den Schritt schmieren? Nein, diese Menschen plagt der Zwang,
sich durch mess- und vergleichbare Leistungen ihres Wertes als Mensch zu
versichern. Aber da mache ich nicht mehr mit. Bei meinem siebten Marathon
laufe ich nicht mehr gegen die Uhr, sondern für mich. Wenn es Männern bloß
nicht so schwer gemacht würde.
Am Straßenrand halten Zuschauer selbst gemachte Schilder in die Höhe.
„Keine Schmerzen? Zu langsam!“, steht auf einem. Auf einem anderen: „Heul
doch!“ Wer steht an einem Sonntag extra früh auf, um stundenlang
Wildfremden den Tag zu versauen – abgesehen vom ZDF-Fernsehgarten? Und wen
spornen die Zurechtweisungen an? Dabei kenne ich die Antwort. „Quäl dich“,
steht auf vorgefertigten Schildern. Darunter ist Platz für den Vornamen
eines zu Beschimpfenden. Ich sehe darauf keinen einzigen Frauennamen, aber
„Thomas“, „Klaus“ und „Du Sau“.
Wo ich mich so umschaue, sagt mir die innere Stimme, könntest du dich ruhig
mal etwas mehr anstrengen.
Noch mehr? Ich kann nicht schneller. Auf wessen Seite bist du, blöde
Stimme?
Och, ich mein ja nur. „Ich kann nicht“ wohnt in der Ich-will-nicht-Straße.
Dass so ein Über-Ich auch ständig mit der Außenwelt kommunizieren muss.
Männer orientieren sich besonders stark an äußeren Vorgaben. Bis heute
lernen sie, sich für vermeintliche Schwächen als unmännlich zu verachten.
Frauen gehen netter miteinander um. „Erika, du schaffst das schon!“, steht
auf einem bunten Schild. „Du siehst toll aus, Gisela!“ auf einem anderen.
Männer können sich glücklich schätzen, wenn sie zu lesen bekommen: „Der
Kopf ist leer, die Beine brennen, Micha, hör nicht auf zu rennen!“ Den Rest
des Rennens quäle ich mich. Der Kopf ist leer, die Beine brennen. Durchs
Ziel laufe ich in neuer persönlicher Bestzeit.
Da hast du aber gerade nochmal Glück gehabt.
Der nächste Morgen. Ich habe kaum Schmerzen. Klare Sache: Ich Sau war zu
langsam. Meine Stimme hat recht: Nächstes Mal nehme ich mehr Fettcreme.
23 Oct 2012
## AUTOREN
Matthias Lohre
## TAGS
taz.gazete
Glück
Trittin
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