# taz.de -- Kolumne Männer: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers | |
> Warum behandeln sich viele Männer so schlecht? Weil sie es können. | |
Als ich am Montagmorgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in | |
meinem Bett zu einem ungeheuer Unbeweglichen verwandelt. Ich lag auf meinem | |
geschundenen Rücken und sah, wenn ich den Kopf ein wenig hob, meine nutzlos | |
gewordenen, schmerzenden Beine. Ich fragte mich, wer so bösartig gewesen | |
war, über Stunden so heftig auf meine Beine zu schlagen, dass sie nur noch | |
schmerzende Gewichte waren. Langsam stieg die Erinnerung in mir auf. Ich | |
hasse Marathonläufe. | |
Moment, das klingt zu harsch. Ich formuliere es ein wenig um: Ich liebe | |
Marathonläufe. Vielleicht lässt sich mit den Kategorien von Zuneigung und | |
Ablehnung nicht erklären, was Menschen dazu bringt, über Monate öde | |
Trainingsläufe zu absolvieren. Und das nur, um Geld fürs Privileg zahlen zu | |
dürfen, an einem Sonntagmorgen früh aufzustehen und - umringt von mehr als | |
40.000 anderen Teilnehmern, von denen erstaunlich viele nervöse Blähungen | |
haben - 42,195 Kilometer zu laufen. | |
Vier von fünf Marathonläufern sind Männer. Warum ist das so? Ich ignoriere | |
den irritierenden Gedanken, dass es was mit den Blähungen zu tun haben | |
könnte, und vermute: Es steckt Ehrgeiz dahinter. Die Einsicht klingt | |
simpel. Aber auch das Offenkundige bleibt uns oft verborgen. Zum Beispiel | |
ist Lady Gaga eine Mischung von Haddaway ("What is love?") und Cher (Cher), | |
und trotzdem feiert das Feuilleton sie. Was ich sagen will: Wir müssen | |
scheinbar Bekanntes hinterfragen. Was genau ist Ehrgeiz, und warum treibt | |
er Männer dazu, sich zu schaden? | |
Ehrgeiz ist das Bemühen um gesellschaftliche Anerkennung durch Leistung. | |
Als "gesunder" Ehrgeiz gilt Eifer, der anderen nicht schadet, etwa durchs | |
Ausfahren der sprichwörtlichen Ellenbögen. Als "krankhaft" hingegen gilt | |
die Konzentration aufs Siegen um seiner selbst willen, was bis zur | |
Selbstzerstörung reichen kann. Nach dieser Definition ist Marathonlaufen | |
krankhaft. Denn es geht dabei ums zweckfreie Bezwingen seiner selbst, und | |
es schadet der eigenen Gesundheit wie der anderer, etwa durch schweißnasses | |
Heimfahren in der U-Bahn. | |
Nach dem Lauf telefonierte ich mit einem Freund. Es war sein zweiter | |
Marathon. Der Mann war am Boden zerstört: Er hatte 13 Minuten länger | |
gebraucht als geplant. "Vielleicht ist das alles nichts für mich", sagte er | |
mit einer Stimme, die mich fürchten ließ, mit "alles" könne er weit mehr | |
meinen als das Langstreckenlaufen. Meine Vermutung tröstete ihn nicht, dass | |
vielleicht die permanente Überarbeitung in der ihm gehörenden Firma damit | |
zu tun habe, außerdem die Sorge um zwei kleine Kinder und der Umstand, dass | |
er deshalb nur vier Stunden pro Nacht schläft. | |
Da wurde mir klar: Männer glauben nicht nur, ihr Wert als Mensch richte | |
sich nach ihrer Leistung. Sie wollen auch diejenigen sein, die sich für | |
scheinbares Versagen am heftigsten schmähen. Alles muss man selber machen. | |
Apropos Autoaggression: Sollte ich je wieder laufen können, nehme ich zum | |
Joggen neue Kopfhörermusik zum Aufstacheln mit. Sehr hilfreich finde ich | |
alles von Lady Gaga. | |
28 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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