| # taz.de -- Der Süden Libyens: Grenzenlose Freiheit | |
| > Die libysche Regierung hat den Süden des Landes zur militärischen | |
| > Sicherheitszone erklärt. Vertreter der Tubu betrachten dies als | |
| > Missachtung ihrer Rechte. | |
| Bild: Kriegsdenkmal bei Jadu. | |
| SEBHA/TRIPOLIS taz | Kurz vor der Landung heulen die Triebwerke der | |
| Maschine auf, das Flugzeug startet durch. Den Passagieren fährt der | |
| Schrecken in die Glieder. Empört berichtet der Pilot über Bordlautsprecher | |
| von aufsteigenden Leuchtspurgeschossen neben der Landebahn. | |
| Im zweiten Anlauf gelingt es ihm dann, die Maschine sicher auf dem | |
| Flughafen von Sebha aufzusetzen. Er wünscht den Reisenden schließlich | |
| gequält lächelnd viel Glück. „Willkommen im Fezzan“, sagt er. Fezzan, so | |
| heißt diese Region im Süden Libyens, mitten in der Sahara. | |
| Sebha ist eine von zwei größeren Orten im Fezzan, etwa 100.000 Einwohner | |
| zählt die von ethnischen Konflikten geplagte Stadt. Nur wenige Beamte | |
| erscheinen zur Arbeit, trotzdem versucht Polizeichef Ibrahim Saleh hinter | |
| seinem riesigen Schreibtisch Autorität und Sicherheit auszustrahlen. „Die | |
| Schüsse kamen von einer Hochzeitsgesellschaft“, erklärt er die Vorgänge am | |
| Flughafen. „Wir haben die Lage in Sebha nicht wirklich im Griff, aber | |
| bewegen können Sie sich hier problemlos.“ | |
| ## Einfallstor für Schleuser und Schmuggler | |
| Dies nehmen viele wortwörtlich. Libyens westliche Sahara ist zu einem | |
| Einfallstor für Schleuser und Schmuggler jeder Art geworden. Immer wieder | |
| rasen voll beladene Lastwagen auf der Hauptstraße Richtung Norden. Am | |
| westlichen Ende der Oase beginnt das scheinbar grenzenlose Dünenmeer der | |
| Sahara. | |
| Algerien ist nicht weit, aber wer sich auskennt, bewegt sich seit dem | |
| Verschwinden der staatlichen Ordnung ohne Pass wie ein Europäer innerhalb | |
| der Grenzen von Schengen. | |
| Die Sahara ist zum gesetzlosen Raum geworden, nur vor den Patrouillen der | |
| algerischen Armee muss man auf der Hut sein, heißt es in Sebha. Immer | |
| wieder werden Flüchtlinge aus „Afrika“, wie man hier sagt, aufgegriffen. | |
| Für die Libyer beginnt Afrika südlich der Sahara. | |
| Im Dezember hat das Innenministerium in Sebha ein großes Auffanglager für | |
| die Flüchtlinge aus Somalia, Niger oder Tschad eröffnet. „Wir deportieren | |
| monatlich bis zu 800 Leute zurück in ihre Heimatländer“, sagt Mohammed | |
| Madany, der stellvertretende Leiter. „Es wird das größte Flüchtlingszentrum | |
| Libyens.“ | |
| Die Wände des Lagers sind von einer Ausbruchaktion rußgeschwärzt. Einige | |
| Flüchtlinge hatten ihre Matratzen angezündet und konnten im Chaos in die | |
| Wüste entkommen. „Was soll man machen“, fragen die jungen Wachen. Sie haben | |
| Mitleid mit ihren Schutzbefohlenen. „Die wollen auch nur einen Job und in | |
| Würde leben“, sagt Madany. | |
| Die Leute im Café an der Hauptstraße sind dagegen gar nicht gut auf die | |
| Flüchtlinge zu sprechen. „Uns hat die Revolution nur Unsicherheit | |
| gebracht“, schimpft der 32-jährige Mohammed, „immer mehr Immigranten kommen | |
| aus Zentralafrika. Das ist schon eine Art Besatzung. Abends trauen wir uns | |
| kaum noch auf die Straße.“ | |
| Dort diskutiert man wütend die Vorkommnisse der letzten Wochen: Am 6. | |
| Dezember sind 197 Gefangene aus dem örtlichen Gefängnis geflohen. | |
| Al-Qaida-Kämpfer auf dem Weg nach Mali finden Unterschlupf auf Farmen am | |
| Stadtrand. Letzte Woche gab es zahlreiche Opfer bei einer Schießerei | |
| zwischen Angehörigen verschiedener Stämme wegen eines gestohlenen Autos. | |
| Und dann das angebliche Attentat auf den Chef des Nationalkongresses, | |
| Mohammed Magarief, bei seinem Besuch vergangene Woche. Er blieb unverletzt. | |
| Wie so vieles in Libyen in diesen Tagen bleiben die Umstände der Tat | |
| ungeklärt. | |
| ## Ignorante Regierung | |
| Abdul Monem Alyasers Gesicht ist voller Sorgenfalten. Der ehemalige Leiter | |
| des parlamentarischen Sicherheitskomitees hat genug von der Empörung der | |
| Leute im Straßencafé, er will endlich konkrete Maßnahmen. „Die alte | |
| Regierung hat im Fezzan völlig versagt“, sagt er bitter. „Die Armee hat | |
| immer noch kaum Fahrzeuge, keine Munition, keine Waffen. Die Schmuggler | |
| sind bestens ausgerüstet.“ | |
| Zusammen mit 20 weiteren Abgeordneten hatte Alyaser demonstrativ einige | |
| Sitzungen des Nationalkongresses in Tripolis boykottiert. Seither ist es | |
| ein bisschen besser geworden, aber eben nur ein bisschen. „Das ist nur | |
| Kosmetik“, schimpft er und sagt warnend: „Solange wir nicht mehr | |
| Unterstützung erhalten, gelangen weiterhin Drogen, Waffen und Extremisten | |
| von hier unkontrolliert nach Tripolis. Und auf Europa rollt eine | |
| Flüchtlingswelle zu.“ | |
| Doch die Lage in Sebha ist noch komplexer. Nach Schätzung der | |
| Stadtverwaltung erhielten während der Revolution rund 40.000 Männer aus | |
| Nachbarländern die libysche Staatsbürgerschaft. Als Dank für ihren Kampf | |
| aufseiten des Gaddafi-Regimes. Sie wollen in Sebha bleiben, im Tschad und | |
| dem Niger gibt es noch weniger Jobs. Und in Libyen werden Handwerker | |
| gebraucht. | |
| ## Die Intoleranz trifft die Falschen | |
| Die Vorurteile gegenüber all den neuen Fremden treffen nun diejenigen, die | |
| sich als einzige im Fezzan der Revolution von Anfang an angeschlossen | |
| hatten: die Tubu. Noch vor den Arabern kamen ihre Vorfahren aus Äthiopien | |
| und Eritrea in die unwirtliche Gegend, in der jeder Regenschauer eine | |
| Sensation ist. | |
| Zusammen mit den Tuareg und Berbern sind die Tubu die Ureinwohner | |
| Südlibyens. Ihr Siedlungsgebiet befindet sich aufgrund willkürlicher | |
| Grenzziehungen in der Kolonialzeit in Libyen, im Tschad und im Niger. | |
| „Wir waren im Fezzan die Ersten und – bis zur Eroberung Sebhas durch die | |
| Revolutionäre – auch die Einzigen, die sich auf die Seite der Revolution | |
| gestellt haben“, erklärt Mohammed Lino, ein Journalist und Tubu-Aktivist. | |
| „Absurd, dass wir im neuen Libyen Opfer rassistischer Vorurteile sind. | |
| Viele arabische Libyer akzeptieren einfach nicht, dass wir Teil dieses | |
| Landes sind.“ | |
| Während Gaddafi Flüchtlinge zu Söldnern und oft über Nacht zu Libyern | |
| machte, blieben viele Tubu aus Sebha oder dem Nachbarort Murzuk weiterhin | |
| staatenlos. Bis heute. Selbst Tubu im Staatsdienst erhalten nur selten den | |
| libyschen Pass. Die eigentlichen Revolutionäre im Fezzan sind fremd im | |
| eigenen Land. Doch gerade sie wollen Teil des neuen Libyen sein. | |
| ## Die libysche Armee fehlt | |
| Mohammed Lino ist mit Ahmed Kokimi, Chefredakteur der Tubu-Zeitung Labara | |
| Zala, und Journalist Khaled Wali auf Recherchetour im sogenannten | |
| Bermuda-Dreieck unterwegs. Damit meinen sie das Grenzgebiet zwischen | |
| Libyen, Algerien und Niger. Hier, 500 Kilometer südlich von Sebha, sind es | |
| ausschließlich junge Tubu, die freiwillig die Grenzen kontrollieren. Von | |
| der libyschen Armee fehlt weit und breit jede Spur. | |
| Schmuggler und Bewaffnete machen die Gegend unsicher. Irgendwo im | |
| Wüstensand liegen Medikamente, Waffen und Munition. Frei verfügbar. | |
| „Die regulären Grenztruppen bekommen Sold, bleiben aber in den Kasernen“, | |
| beschwert sich Mohammed Lino. „Ich frage mich, wie die Regierung so die | |
| Grenzen schließen will.“ Seit Mitte 2011 schieben die Tubu-Einheiten hier | |
| freiwilligen Schichtdienst. Einigen Schmugglern nehmen sie einen Teil ihrer | |
| Ware ab. Wegezoll. „Wir müssen ja auch von etwas leben“, sagt ein junger | |
| Mann kurz angebunden. | |
| Die freiwilligen Grenzwächter sind vor allem den Islamisten ein Dorn im | |
| Auge. „Die Al-Qaida-Sympathisanten errichten gerade ein Netzwerk von | |
| Nordmali bis zur ägyptischen Grenze. Nur drei Tage brauchen sie mit ihren | |
| nagelneuen Toyotas für die Strecke“, sagt Lino. „Sie geben sich als | |
| religiöse Gruppen aus, sind aber doch nur an Macht und Geld interessiert. | |
| Und sind für uns, für Libyen und Europa gefährlich. Warum arbeitet die | |
| Regierung in Tripolis also nicht endlich mit uns Tubu zusammen?“ | |
| ## Eine Delegation wartet | |
| Die Szene der religiösen Fraktion der ehemaligen Revolutionäre ist | |
| vielfältig, sie reicht von den Salafisten über die mächtige, aber moderate | |
| Muslimbrüderschaft bis hin zu den radikalen Anhängern der Takfiri-Bewegung, | |
| die auch Morde an zu liberalen Muslimen gutheißt. | |
| Die Führer dieser Gruppierungen sind durch Verfolgung und Haft während der | |
| Gaddafi-Ära eng verbunden. Sie eint außerdem der Wille, die Religion und | |
| die arabische Sprache zum einzigen Maßstab des neuen Libyen zu machen. Ein | |
| Recht auf die eigene Sprache und Kultur nichtarabischer Minderheiten in der | |
| neuen Verfassung lehnen sie ab. | |
| Im Hotel Mehari in Tripolis sitzt Issa Abdel Majid Mansur, einer der | |
| politischen Führer der Tubu in Libyen. Er führt eine Delegation seines | |
| Stammes an. Seit zehn Tagen warten sie auf ein Gespräch mit Premier Ali | |
| Zeidan oder dem Vorsitzenden des Nationalkongresses, Margarief. | |
| Issa Mansur will erreichen, dass die Regierung die Revolutionäre offiziell | |
| in die Grenzeinheiten aufnimmt. Und ihnen Sold zahlt. Libyen habe eine | |
| 4.600 Kilometer lange Grenze. „Die kann man nur gemeinsam sichern“, sagt | |
| er. Von der Regierung hat sich noch niemand blicken lassen. | |
| 9 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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