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# taz.de -- 118. -122. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess I: Alles was atmet, wi…
> Ein Ex-Kämpfer aus dem Umfeld des FDLR-Militärführers Mudacumura packt
> über die Kriegsstrategie der Hutu-Miliz aus. Die Prozesstage
> zusammengefasst Teil I.
Bild: Ein FDLR-Kämpfer im Busch im Ostkongo.
STUTTGART taz | Zum Abschluss des Jahres 2012 empfing der 5. Strafsenat des
OLG Stuttgart seinen bisher wohl ergiebigsten Zeugen im laufenden
Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni,
Präsident und 1. Vizepräsident der im Kongo kämpfenden ruandischen
Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Zeuge X
gehörte jahrelang zum engsten Umfeld des FDLR-Militärchefs im Kongo,
General Sylvestre Mudacumura.
Er weiß nicht nur sehr viel über die in der Anklage als Kriegsverbrechen
aufgezählten Angriffe der FDLR auf kongolesische Dörfer im Jahr 2009 – so
viel sogar, dass er zu einigen Punkten die Aussage verweigert, weil er sich
damit selbst belasten könnte. Er weiß auch sehr viel über das Innenleben
der FDLR, bis hin zum Verhältnis zwischen General Mudacumura und dem
Angeklagten Murwanashyaka, den beiden mächtigsten Männern der Miliz.
X sagt im Dezember 2012 volle fünf Tage aus. Und – ein Novum in diesem
Prozess – er wird ausführlich von Murwanashyaka direkt befragt. Der
Hauptangeklagte, der seit Prozessbeginn jegliche Aussage verweigert, darf
stundenlang Fragen stellen.
Unfreiwillig verrät der FDLR-Präsident dabei auch seine überraschend intime
Kenntnis von FDLR-Details aus dem Kongo. Wenn etwas beweist, wie genau
Murwanashyaka Bescheid wusste über die Aktivitäten seiner Miliz im Feld,
dann die Fragen über unzählige Orte, Daten, Strukturen und Personen, die er
selbst vor Gericht stellt.
## Eine typische Karriere
X floh nach dem Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 nach Kongo-Brazzaville;
1998 stieß er zu den ruandischen Hutu-Kämpfern, die mit Kongos
Regierungsarmee kämpften und sich ALIR (Armee zur Befreiung Ruandas)
nannten, woraus 2000 die FDLR wurde. Er traf Mudacumura 1999 in der
Zentralafrikanischen Republik, bevor dieser von dort aus ins kongolesische
Lubumbashi flog, um in den Krieg einzutreten, den er bis heute führt.
X stieg später auf bis in die Eskorte von Mudacumura am FDLR-Hauptquartier
in Nord-Kivu, er kam dann zur FDLR-Militärpolizei und schließlich zur
Reservebrigade, bis er 2010 desertierte und nach Ruanda zurückkehrte. Eine
typische Karriere eines ruandischen Hutu-Kämpfers.
## „Ich habe den Befehl gesehen“
Umstandslos bestätigt X den ominösen Befehl der FDLR-Führung an ihre
Kämpfer vom März 2009, eine „humanitäre Katastrophe“ unter der
kongolesischen Zivilbevölkerung anzurichten. Das war die Reaktion der
ruandischen Miliz darauf, dass Kongos Armee zu Jahresbeginn begonnen hatte,
in der Operation „Umoja Wetu“ gemeinsam mit Ruandas Armee gegen sie
vorzugehen.
„Ich habe es schon gesehen“, sagt X, als die in einem UN-Bericht enthaltene
Abschrift des Befehls auf die Leinwand im Gericht ausgestrahlt wird. „Ich
habe ihn in meiner Kompanie gelesen. Als der Text in der Kompanie ankam,
stand oben 'Intégral', es war also der komplette Text, es stand auch
'Unités: Toutes', also betraf der Text alle Einheiten“.
Der Text war, wie alle solchen schriftlichen Befehle, auf Französisch
abgefasst, sagt X. Er wurde, wie alle solchen schriftlichen Befehle, in
einem Heft des Kommandos seiner Einheit aufbewahrt, in das er Einsicht
hatte. Es gab separate Hefte für ein- und ausgehende Telegramme. Das von
Mudacumuras Sekretär Gaspard war besonders dick.
Das Telegramm konnte nur vom Oberkommando gekommen sein, ist sich X sicher.
„Kein anderer darf Anweisungen geben an alle Einheiten der FOCA“ (so heißen
die Soldaten der FDLR, von denen Mudacumura der Oberkommandierende ist).
## „Ich hörte immer mit“
Gefragt nach dem Grund für den Befehl, sagt X: „Es wurden schlechte
Aktionen gemacht, damit die internationale Gemeinschaft Ruanda zwingt, mit
der FDLR Verhandlungen zu führen“. Woher weiß er das? „Weil ich immer
mithörte, wenn die Führer auf der oberen Ebene sprachen“.
Auf die Frage, ob es eine Anweisung gab, Verbrechen an der kongolesischen
Bevölkerung zu begehen, sagt X: „Als die Kongolesen uns Schlechtes antaten,
gab es eine Anweisung: Wenn man einen Kongolesen erwischt, jedem Kongolesen
musste etwas Schlechtes angetan werden, um den kongolesischen Bürgern Angst
zu machen“.
Was genau sollte getan werden? „Jeden Kongolesen, ob Soldat oder Zivilist,
zu töten, zu plündern und Häuser in Brand zu setzen, damit die Zivilisten
fliehen und nicht zurückkommen können“. Er weiß auch: Bei „kleineren
Angriffen“ mussten die FDLR-Einheiten „die Häuser in Brand setzen. Weil sie
wenige Leute waren, musste es schnell gehen.“
X bestätigt auch die Drohbriefe, mit denen die FDLR regelmäßig ihre
Angriffe ankündigte. Die habe es überall gegeben, wo ruandische Hutu
kämpften, sogar in fernen kongolesischen Provinzen wie Katanga oder
Equateur. Es wurde vor der Tötung ruandischer Flüchtlinge gewarnt: „Dann
seid ihr selbst schuld wenn ihr sterbt, obwohl wir euch gewarnt haben“.
## „Den Kongolesen Schlechtes antun“
In dem Zusammenhang wird X nach dem berüchtigten Begriff „Opération
Punitive“ (Strafoperation) gefragt, der eine Anweisung der FDLR-Führung an
ihre Kämpfer zum Umgang mit der kongolesischen Zivilbevölkerung 2009
darstellen soll. Auch das bestätigt X, anders als so manche anderen
ehemaligen FDLR-Kämpfer, die in Stuttgart ausgesagt haben. „Die Operation
wird gemacht, um Leute zu warnen“, erklärt er.
Die Bedeutung sei gewesen, „dass das, was sie uns antun, schlecht war und
wir ihnen Schlechteres antun... Immer wenn den FDLR etwas Schlechtes
angetan wurde, gab es Opération Punitive“. Beispiel? „Es gibt kein
konkreteres Beispiel als Busurungi.“
Die Zerstörung des Dorfes Busurungi mit über 90 Toten in der Nacht vom 9.
zum 10. Mai 2009 ist das schlimmste einzelne der FDLR vorgeworfene
Kriegsverbrechen in der deutschen Anklage. X will zum Angriff direkt nicht
aussagen, um sich nicht selbst zu belasten. Auch zu den Vorgesprächen dazu
nicht. Aber er sagt aus, dass auch dieser Angriff vorab per Telegramm
angeordnet und hinterher per Telegramm gefeiert wurde.
## Am Ende stand: „Glückwunsch“
„Immer wenn etwas passiert, muss es vorher ein Telegramm geben“, erklärt
er: „Die Soldaten sollen sich sammeln, das Bataillon X soll so und so viele
Soldaten stellen“. Konkret habe die Anweisung zu Busurungi geheißen: „Alles
was atmet, was in Busurungi ist, wird entfernt“.
Laut Telegramm nach dem erfolgreichen Angriff auf Busurungi, daran erinnert
er sich, hieß die Operation „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das Fernschreiben
war gerichtet an „alle Einheiten“, kam also von ganz oben. Da stand drin,
dass die FDLR-Kämpfer „militärische Ausrüstung erbeutet haben und auch
zivile Ausrüstung, und sie haben es im Detail beschrieben, dass sie ganz
Busurungi in Brand gesetzt haben, dass die Operation 100% erfolgreich war.
Am Ende des Telegramms stand: Glückwunsch“.
## Zivilisten an Angriffen beteiligt
Nicht mit allem, was in Busurungi geschah, will X einverstanden gewesen
sein. So rühmte sich ein Oberstleutnant „Mandarin“, bei dem Angriff
„jemanden getötet und ihm seine Genitalien abgschnitten zu haben“. Da gab
es Streit. Aber Mandarin wurde nicht bestraft, wo doch die Verteidigung
immer hervorhebt, bei der FDLR würden Verbrechen systematisch untersucht
und verfolgt.
Das Gericht fragt noch weitere Angriffe ab. In Kipopo, bestätigt X, griff
eine FDLR-Spezialeinheit die kongolesischen Regierungseinheiten an. „Sie
haben geschossen, den Ort in Brand gesetzt und Leute in ihren Häusern in
Brand gesetzt, es waren kongolesische Zivilisten“. Grund war, dass lokale
Mai-Mai-Milizen vorher 20 ruandische Zivilisten getötet hatten.
X bestätigt als erster Zeuge, dass auch ruandische Zivilisten, mit der FDLR
lebende ruandische Hutu-Flüchtlinge, am Angriff auf Busurungi beteiligt
waren. Er bestätigt auch die Existenz der zivilen Hilfstruppe „Résistance
Civile“ für solche Einsätze: dies seien „Zivilisten, denen man beibrachte,
wie man mit dem Gewehr umgeht“. Genauer: „Es waren Männer eines gewissen
Alters, die nicht mehr die Kraft haben für die militärische Ausbildung“.
## Grundschulfach: „Tutsi sind böse“
Aber nicht nur die Alten, auch die ganz Jungen wurden für den Krieg
getrimmt. Ab dem ersten Schuljahr, also schon ab dem Alter von 7 Jahren,
wurden Kindern in FDLR-Schulen der Umgang mit Kleinwaffen wie der
Kalaschnikoff beigebracht, sagt X. Das habe er im Ort Mibaraka mitbekommen:
„2005, als ich dort in Urlaub war, sah ich es auf dem Stundenplan“. Auf dem
Stundenplan stand auch Ideologie. Ideologie? Ruandische Geschichte, und
„dass die Tutsi böse Leute sind“, erklärt X.
Ruandische Zivilisten aus der Flüchtlingsbevölkerung halfen oft den
FDLR-Soldaten beim Tragen von Beute oder Verletzten, „es war Gesetz oder
Befehl“, sagt X. Auch kongolesische Zivilisten wurden zuweilen dazu
gezwungen. Es gab auch Plünderungen auf Befehl, „sie haben es missions de
ravitaillement (Versorgungsmissionen) genannt“, durchgeführt von einer
Spezialeinheit der Reservebrigade auf deren Anweisung.
Der Großteil der Beute ging an die Reservebrigade oder wurde ans
Oberkommando geschickt, zum Verkauf. Es gab auch Plünderungen als
„versteckte Operationen“, für die kein schriftlicher Befehl existiert.
## Immerhin: C-Waffen verboten
Ja, die Tötung von Zivilisten sowie Vergewaltigungen seien zwar bei der
FDLR streng verboten gewesen und mit Todesstrafe belegt, bestätigt X. Es
gab entsprechende Befehle Mudacumuras an die Truppe. „Das wurde bei der
FDLR oft gesagt. Aber es gab Zeiten, wo die Gesetze nicht befolgt wurden“.
Es gab in der FDLR-Militärausbildung auch Kurse zum humanitären
Völkerrecht. „Man muss unterlassen, chemische Waffen bei Menschen zu
benutzen“, erinnert sich X daran, und: „Wenn man einen Feind festhält, soll
man ihn nicht grausam töten“. Über Menschenrechte seien die FDLR-Kämpfer
aber nicht unterrichtet worden.
## Kongolesen als Feinde
Früher kam die FDLR gut mit den Kongolesen aus, erläutert X. Schließlich
bezogen sich ihre Kriegsziele nicht auf den Kongo, sondern auf Ruanda. „Die
FDLR hat niemals gekämpft um Gebiete zu erobern“, sagt X. „Das Ziel der
FDLR war nicht, Gebiete zu halten. Die FDLR wollte, dass Ruanda befreit
wird. Die FDLR wollte nach vorne und nicht dort bleiben“, also nicht im
Kongo.
Aber nachdem Kongos Armee und lokale Milizen Anfang 2009 mit der FDLR
brachen, erklärte die Miliz die kongolesische Bevölkerung in ihren
Einflussgebieten zum Feind. „Die kongolesische Zivilbevölkerung entschied,
uns zu hassen“, sagt X. Er bestätigt eine frühere Aussage, die er gegenüber
dem Internationalen Strafgerichtshof gemacht hat, wonach kongolesische
Zivilisten in Stellungen der kongolesischen Armee als Feinde betrachtet
wurde.
„Ich bestätige es“, sagt er auf eine entsprechende Nachfrage; denn „sie
haben den Soldaten den Weg gezeigt, wo unsere ruandischen Flüchtlinge
sind“. Deswegen, das sei eine Anweisung gewesen, seien solche Zivilisten
legitime Ziele für Angriffe der FDLR – also „Strafoperationen“ wie der
Angriff auf Busurungi. „Wenn sie so eine Aktion durchführten, hatte die
FDLR etwas Ruhe“, sagt X.
## Kongos Hutu „haben uns verraten“
Er beschreibt die Doppelrolle, die die lange mit der FDLR verbündete
kongolesische Hutu-Miliz Pareco (Kongolesische Widerstandspatrioten) beim
Angriff auf Busurungi spielte. Vor dem Angriff hätten Pareco-Kämpfer
Aufklärung für die FDLR gemacht – hinterher seien sie mit Kongos Armee
zurückgekommen.
Die kongolesischen Hutu hätten 2009 die FDLR verraten, gibt X eine bereits
von anderen Zeugen geäußerte Sicht der Ereignisse wieder, als die
ruandischen Miliz ihre bisherige Unterstützung im Kongo verlor und von
allen Seiten bekämpft wurde. Der traditionelle kongolesische Hutu-Führer im
Distrikt Masisi habe von Kongos Regierung ein Auto bekommen, damit er mit
der FDLR bricht.
[1][Mehr zum Thema in Teil II: Zeuge X über die Spannungen in der
FDLR-Führung]
14 Jan 2013
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B. Schmolze
D. Johnson
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