Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 126.-129. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: 30 Stockschläge auf d…
> Von Urlaub bis Goldhandel: In der FDLR war alles geregelt, mit
> schriftlichen Genehmigungen und archiviertem Funkverkehr. Ein
> Ex-Hauptfeldwebel erzählt.
Bild: Ein FDLR-Soldat sucht seinen Urlaubsantrag im kongolesischen Busch, Anfan…
STUTTGART taz | Hauptfeldwebel W hat eine typische FDLR-Militärkarriere
hinter sich: Vor dem Genozid an Ruandas Tutsi 1994 in Ruanda schon
ansatzweise militärisch ausgebildet, floh der ruandische Hutu 1994 wie
Millionen andere ins benachbarte Zaire und landete schließlich in der
Zentralafrikanischen Republik, ein langer Weg zu Fuß über Bukavu,
Kisangani, Lisala, Gemena und dann schließlich bei Zongo über den
Ubangi-Fluss nach Bangui. Untergebracht waren die Flüchtlinge dort in
Flüchtlingslagern in Bouca.
Zu einem ungenannten Zeitpunkt kehrte W als Soldat nach Zaire -
mittlerweile Demokratische Republik Kongo - zurück, um Kongos Armee im
Kongokrieg 1998-2003 gegen Ruanda zu unterstützen. W erhielt eine
militärische Fortbildung in Katanga. Seine Truppe hieß „Forces Spéciales�…
in ihr waren mehrere Brigaden ruandischer Hutu-Kämpfer aus der
Zentralafrikanischen Republik und aus Kongo-Brazzaville gesammelt. Sie ging
bei der Gründung der FDLR 2000 in dieser auf.
2002, als Ruanda und Kongo Frieden schlossen und Kongo die Demobilisierung
der FDLR zusagte - ein nicht gehaltenes Versprechen - gehörte W zu den
FDLR-Kämpfern, die in der Militärbasis Kamina in Katanga zusammengezogen
wurden, um als erste nach Ruanda zurückgebracht zu werden. Es kam damals zu
einem Aufstand der ruandischen Hutu-Kämpfer, die Repatriierung wurde
abgesagt und die FDLR-Einheiten gingen zurück in den Busch und schlugen
sich - wieder zu Fuß, aber in umgekehrter Richtung - zu ihren Kameraden
nach Ostkongo durch, wo sie ab 2003 ihren Staat im Staate errichten
sollten.
W war 2003 bis 2009 in Nord-Kivu. Zu den Aufgaben von W‘s Einheit gehörte
die Zusammenarbeit zwischen der FDLR und Kongos Regierungsarmee FARDC.
Letztere habe die FDLR zu Versammlungen mit der kongolesischen
Zivilbevölkerung abgehalten, in den Gebieten, in denen die FDLR präsent
war, sagt er in seiner Vernehmung vor dem OLG Stuttgart im
Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni,
Präsident und 1. Vizepräsident der FDLR, zwischen dem 14. und 23. Januar
2013.
## „Erlaubnisformulare ausfüllen und unterschreiben“
Unter anderem arbeitete W in der Verwaltung. „Ich machte eine Liste von
Soldaten und schrieb auf, welcher Soldat die Erlaubnis hatte, irgendwohin
zu gehen, Erlaubnisformulare von Soldaten ausfüllen und unterschreiben zu
lassen, damit die Soldaten in Urlaub gehen können“, beschreibt er seine
Tätigkeit. „Wenn jemand zu spät aus dem Urlaub zurückkam, hat er 30
Stockschläge auf den Hintern bekommen. Man hat das aufgeschrieben und dem
FOCA-Kommando (Militärkommando der FDLR, d.Red.) mitgeteilt“. Diese Art der
Bestrafung hat er mehrfach gesehen, sagt W.
Es wurden auch Genehmigungen ausgestellt, Handel zu betreiben. W‘s Einheit
befand sich in einem Gebiet mit Goldminen, ausgebeutet von der lokalen
Bevölkerung. Auf dem nahen Markt von Kasugho wurden Waren gegen Gold
getauscht - „Kleidung, Salz, Alkohol, Radios, Werkzeuge um Gold zu graben,
ich glaube man nennt es Schaufel“, sagt W. Die FDLR gaben der lokalen
Bevölkerung Naturalien und ließen sich in Gold und mit Lebensmitteln
bezahlen, teils als Tauschhandel, teils auf Kreditbasis.
Der Markt von Kasugho war ein wichtiger Umschlagplatz für die FDLR. Die
Verteidigung will wissen, was man sich für das Gold kaufen konnte -
„Nahrung? Ein Auto? Ein Flugzeug? Salz?“ „Man konnte kein Flugzeug kaufen…
antwortet W. „Kleidung, Lebensmittel oder Telefone. Oder wenn man heiraten
wollte, konnte man die Hochzeit damit finanzieren.“
## Ein Heft für Postausgang, eines für Posteingang
W arbeitete später auch als Funker. Er beschreibt seine Tätigkeit: „Mein
Kommandeur schrieb die Nachricht auf und gab sie mir, dann habe ich die
Nachricht kodiert, dann wurde die Nachricht zum Funkgerät geschickt wo die
Nachricht hinsollte. Nachdem die Nachricht geschickt wurde, bleibt die
Nachricht im Heft für ’Nachrichten - Out‘“ - in dekodierter Form, wie er
auf Nachfrage der Verteidigung klarstellt. „Wenn eine Nachricht kommt,
dekodiere ich die Nachricht, dann tue ich sie in das Heft für ’Nachrichten
- In‘ und brachte die Nachricht zum Kommandeur.“
Aber ab Ende 2008 ging das nicht mehr - „weil wir Solaranlagen nutzten und
die Solaranlage funktionierte nicht mehr gut. Wir konnten das Akku nicht
aufladen, daher konnten wir das Gerät nicht benutzen“.
Als das Funkgerät ausfiel, wurden Mobiltelefone benutzt. Das war zufällig
auch die Zeit, als die FARDC sich von der FDLR abwandte und schließlich
2009 anfing, gemeinsam mit Ruanda gegen die FDLR zu kämpfen. Dann war es
nicht mehr möglich, nach Kasugho zu gehen und Telefoneinheiten zu kaufen.
Kongolesische Zivilisten schickten Einheiten. Es wurden dann auch keine
Funknachrichten mehr kodiert und in Heften aufbewahrt wie vorher.
In direkter Befragung durch den Angeklagten Murwanashyaka - diese Befragung
in der Muttersprache wird trotz Einwand der Bundesanwaltschaft zugelassen -
bestätigt der Zeuge, dass keine Funknachrichten an oder von Murwanashyaka
oder Musoni kamen bzw. gingen. Später, gegen Ende der richterlichen
Befragung, wird klar, dass W‘s Einheit gar keinen Funkverkehr mit Europa
tätigte, sondern nur mit dem FOCA Kommando vor Ort kommunizierte.
## Desertieren ist verboten
Irgendwann nach Beginn der gemeinsamen kongolesisch-ruandischen
Militäroperation „Umoja Wetu“ gegen die FDLR 2009 wurde auch Ws Einheit
angegriffen. „An das Datum erinnere ich mich nicht, es war ein Freitag
gegen 13Uhr“, erzählt W. Schon um 9 Uhr war die FDLR-Einheit von der
lokalen Zivilbevölkerung gewarnt worden, dass Kongos Armee angreifen werde,
und befand sich in Alarmbereitschaft.
“Es war ein Angriff von FARDC-Soldaten. Sie griffen uns an und schossen auf
uns. Etwa 20 Minuten gab es Kampfhandlungen. Dann flohen wir und gingen
zurück. Was wir tragen konnten, nahmen wir mit.“ Die Einheit sei nie mehr
auf ihren Hügel zurückgekehrt. Aus dieser Situation sei W später
desertiert.
Einer der Richter stellt dazu kuriose Fragen, zum Beispiel ob er vorher
seinen Vorgesetzten Bescheid gesagt habe. Nein, sagt W. Warum nicht? „Ich
denke, ich sollte es ihnen nicht sagen, sie hätten es nicht akzeptiert“,
antwortet W und lächelt. Hatte er Angst vor Strafe? „Ich hätte es nie sagen
können, sie hätten es nicht akzeptiert. Man kann nicht um Erlaubnis zum
Desertieren bitten.“ Und was passiert bei unerlaubter Desertion - wie
hätten die Vorgesetzten reagiert? „Sie hätten es verboten.“
Redaktion: Dominic Johnson
18 Feb 2013
## AUTOREN
Bianca Schmolze
## TAGS
Kongo
Kriegsverbrecherprozess
FDLR
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Kongo
Kongo
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Kongo
Kongo
Kongo
## ARTIKEL ZUM THEMA
130.-133. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess I: Vom Flüchtling zum Spezialkämp…
Ein Ex-FDLR-Kämpfer erzählt aus der Vorläuferzeit der Miliz, als ruandische
Hutu-Flüchtlinge durch den Kongo gejagt wurden. Aber die Befragung bleibt
lückenhaft.
Friedensabkommen Kongo: Der überwachte Staat
Am Sonntag hat halb Afrika ein regionales Friedensabkommen für den Kongo
unterschrieben. Das erklärte Ziel: Reformen unter Aufsicht.
124.-125. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: 9087mal telefoniert
Das BKA präsentiert Erkenntnisse, die es aus der Überwachung der
Telekommuikation der Angeklagten zwischen 2008 und 2009 gewann.
123. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Mehr weibliche Kader“
Als die FDLR-Miliz Anfang 2009 zum Ziel kongolesisch-ruandischer Angriffe
wurde, begann sie, ihre Friedfertigkeit zu betonen. Lange währte das nicht.
118-122 Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess II: Der Präsident und der Haudegen
Nachdem Präsident Murwanashyaka dem Alkohol entsagte, hielt Militärführer
Mudacumura ihn für ein Weichei. Enthüllungen aus dem Innenleben der FDLR
Teil II.
118. -122. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess I: Alles was atmet, wird entfernt
Ein Ex-Kämpfer aus dem Umfeld des FDLR-Militärführers Mudacumura packt über
die Kriegsstrategie der Hutu-Miliz aus. Die Prozesstage zusammengefasst
Teil I.
Debatte Ruanda: Ruanda in der Tradition des Grauens
Seit einem Jahr stehen in Stuttgart zwei ruandische Milizenführer der Hutu
vor Gericht. Zwischenbilanz eines historischen Prozesses.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.